Kommunikationstechnologien verändern das soziale Leben: Soziale Beziehungen können mit Telefon, Briefen und E-Mails über große Distanzen aufrechterhalten werden. Radio, Fernsehen und das Internet liefern einen gemeinsamen...
moreKommunikationstechnologien verändern das soziale Leben: Soziale Beziehungen können mit Telefon, Briefen und E-Mails über große Distanzen aufrechterhalten werden. Radio, Fernsehen und das Internet liefern einen gemeinsamen Informationsstand und sorgen für Gesprächsstoff in Alltagsgesprächen. Mit dem Buchdruck werden Zeitungen, Zeitschriften und Bücher in großer Menge verfügbar und versorgen Spezialpublika von Wissenschaftlern, Ärzten und Händlern bis hin zu Jugend-und Subkulturen mit auf sie zugeschnittenen medialen Angeboten. Alleine im Internet finden sich von Partnerbörsen, Internetforen, Mailing-Listen und den vielfältigen Social-Networking-Sites (Facebook, StudiVZ, MySpace etc.) bis zu Bloggern und Twitterern ganz neue Sozialformen. Angesichts der mit dem Web 2.0 verbundenen Vielfalt mag man sich fragen, warum Beobachter schon vor dem Internet von ‚neuer Unübersichtlichkeit' (Habermas 1985) und Postmoderne (Welsch 1994) gesprochen hatten. Der vorliegende Beitrag entwickelt aus verschiedenen Theoriesträngen eine systematische Perspektive auf diese Phänomene, indem kulturelle Formationen auf die ihnen zugrunde liegenden Kommunikationsnetzwerke zurückgeführt werden. Der im Anschluss an diese Einleitung skizzierte Grundgedanke ist, dass kulturelle Formen für ihre Entstehung, Verbreitung und Reproduktion kommuniziert werden müssen -und dass entsprechend soziale Netzwerke als Kanäle dieser Kommunikation einen wesentlichen Einfluss auf die Bildung von kulturellen Einheiten und Differenzen haben (2). So lassen sich etwa Milieus oder Subkulturen als intern verdichtete Kommunikationsnetzwerke mit spezifischen kulturellen Formen charakterisieren. Aber welche kulturellen Formationen ergeben sich, wenn soziale Netzwerke der Face-to-face-Interaktion in nennenswertem Umfang durch mediatisierte Kommunikation ergänzt werden? Dieser Frage wird in den zwei anschließenden Abschnitten nachgegangen: Zunächst geht es darum, wie sich persönliche Kommunikationsnetzwerke durch die Hinzunahme von Kommunikationstechnologien verändern (3). Anschließend wird diskutiert, inwiefern verschiedene Verbreitungsmedien (Buchdruck, Fernsehen, Internet) zur Ausbildung von unterschiedlichen Publika führen (4). Dabei wird etwa die These formuliert, dass das Internet in sehr viel stärkerem Maße internationale Lifestyle-orientierte Subkulturen fördert als das Fernsehen und auf diese Weise zu einer kulturellen Transnationalisierung und Zersplitterung beiträgt. Insgesamt wird auf diese Weise für die Fruchtbarkeit der konzeptionellen Verbindung von Kultur, sozialen Netzwerken und Medienkommunikation argumentiert. J. Fuhse, C. Stegbauer (Hrsg.), Kultur und mediale Kommunikation in sozialen Netzwerken, in: Jan Fuhse / Christian Stegbauer (Hg.): Kultur und mediale Kommunikation in sozialen Netzwerken, Wiesbaden: VS 2011. 32 Jan A. Fuhse 2 Kultur und Kommunikation in sozialen Netzwerken Die in Anschlag gebrachte theoretische Perspektive zieht Argumente aus der Kommunikationstheorie von Niklas Luhmann und der Netzwerkforschung um Harrison White zusammen, verbindet diese aber auch mit Anleihen aus weiteren Forschungssträngen. Daraus ergibt sich eine allgemeine theoretische Perspektive, der zufolge Kultur in sozialen Kommunikationsnetzwerken entsteht und reproduziert wird. Die Brücke zur Anwendung auf Medienkommunikation erfolgt im Sinne der Mediumstheorie, die eine Veränderung von sozialen Kontexten und von Kultur durch unterschiedliche Verbreitungsmedien postuliert (Meyrowitz 1994). Im Zusammenhang der Netzwerktheorie ergibt sich die These, dass die zunehmende Durchdringung dieser sozialen Kommunikationsnetzwerken mit technisch basierten Verbreitungsmedien einen Einfluss nicht nur auf die Netzwerkkonstellationen, sondern auch auf die mit ihnen verknüpften kulturellen Formationen hat. In diesem Abschnitt sollen zunächst die theoretischen Grundlagen für diese These gelegt werden. Dazu müssen die zentralen Begriffe Kultur, Netzwerk und Kommunikation geklärt und in Beziehung zueinander gesetzt werden. 2.1 Begriffliche Klärungen: Kultur und Netzwerke Ausgangspunkt der theoretischen Überlegungen ist zunächst die relationale Soziologie von Harrison White und anderen, die ein Wechselspiel von Kultur und Netzwerken postuliert (Fuhse / Mützel 2010). Unter ‚Kultur' lässt sich grob der verfügbare und gebräuchliche Haushalt von Symbolen und Deutungsmustern fassen, den wir in einem bestimmten sozialen Kontext finden (Archer 1988; Luhmann 1995a; Fuhse 2008: 54). So findet man von Land zu Land, von Dorf zu Dorf, von Freundesgruppe zu Freundesgruppe, aber auch von Internetforum zu Internetforum unterschiedliche Symbole und Deutungsmuster. Mit der Einführung von Kommunikationstechnologien wie dem Buchdruck oder dem Internet ändern sich auch die Bedingungen der Verbreitung und Veränderung von kulturellen Formen. Der zweite Schlüsselbegriff ist der des sozialen Netzwerks. Mit ihm verbindet sich einerseits die Vorstellung, dass sich soziale Strukturen sinnvoll als Netzwerke von Sozialbeziehungen (des Kennens und Schätzens, aber auch der Beeinflussung oder der Ablehnung) beschreiben lassen. Andererseits sind mit dem Netzwerkbegriff auch bestimmte Methoden verknüpft, mit denen Netzwerke analysiert werden (Jansen 1999; Breiger 2004; Knox et al. 2006; Holzer 2006). Diese Methoden sind traditionell mathematisch-formal, indem die Struktur von Netzwerkbeziehungen etwa auf eine Differenzierung in Zentrum und Peripherie oder in bestimmte Kommunikationsrollen untersucht wird. Inzwischen werden aber zunehmend auch qualitativ-interpretative Methoden in der Netzwerkforschung benutzt (Hollstein / Straus 2006). Wie passen nun Kultur, Kommunikationstechnologien und soziale Netzwerke zusammen? ‚Kultur' und ‚soziale Netzwerke' sind in erster Linie analytische Begriffe für die Beschreibung von sozialen Phänomenen, die einerseits auf der Sinnebene (Kultur) und andererseits bei der Struktur von Sozialbeziehungen (Netzwerk) ansetzen. Diese beiden Aspekte von sozialen Phänomenen wurden lange Zeit getrennt betrachtet. Erst in den letzten 20 Jahren setzt sich eine synthetitisierende Sichtweise durch, die Kultur und Netzwerke in einem Wechselspiel sieht. Beispielhaft dafür steht die Entwicklung in der Anthropologie: Kulturelle Formationen in mediatisierten Kommunikationsnetzwerken 33 Einerseits konzentrierte sich die Sozialanthropologie mit ihren Hauptvertretern J.A. Barnes, Elizabeth Bott, J. Clyde Mitchell und Jeremy Boissevain alleine auf die Untersuchung von Netzwerkstrukturen etwa in Verwandtschaftsgenealogien und Tauschbeziehungen. Auf der anderen Seite steht die Kulturanthropologie um Autoren wie Margaret Mead oder Clifford Geertz. Hier spielten Sozialbeziehungen keine Rolle -stattdessen bemühte man sich um ein interpretatives Verstehen von kulturellen Formen. Dass beide Ebenen -Struktur und Kultur -ineinander spielen und miteinander verwoben analysiert werden sollten, wird erst in den 90er Jahren mit den Arbeiten von Ulf Hannerz (1992) und Thomas Schweizer (1996) formuliert.