2018, Judentum und Arbeiterbewegung
LangeZ eit spielten Juden eine führende Rolle in linken-sozialistischen, kommunistischen und anarchistischen-Bewegungen. Auch an der Basis bestimmter linker Parteien engagierten sich in der ersten Hälfte des 20.J ahrhunderts zahlreiche Juden. Über die Teilnahme an allgemeinenl inken Bewegungen hinaus gründeten und unterstütztenJ uden in Osteuropa zudem mehrerej üdische sozialistische Parteien, die je ihr eigenes Geprägeu nd zusammen zehntausende Mitgliederh atten. Warum sympathisierten so viele Juden mit den Anliegen der Linken?Z ur Beantwortungd ieser Frageh aben namhafte Wissenschaftler auf vermeintliche jüdische Eigenschaften, den Einfluss bestimmter Vorstellungendes religiösen Judentums und die Marginalität der jüdischen Bevölkerungverwiesen. Es gibt jedoch gute Gründe, die ersten beiden Erklärungsansätze infragezustellen. Inzwischenüben linke Vorstellungen nicht mehr die gleiche Anziehungskraft aufJ uden auswie voreinem Jahrhundert. Das frühere engeV erhältnis vieler Juden zur Linken erweist sich als historischk ontingent.E se ntsprang bestimmten politischen, historischen und wirtschaftlichen Bedingungen, die im Europa des späten 19.und der ersten Hälftedes 20.Jahrhunderts vorherrschten und die auch die politischenA nsichten vieler Juden in den Vereinigten Staaten und anderen Ländern, die eine große Anzahl jüdischer Einwanderer ausE uropa aufnahmen, prägten. In seinem 1911 erschienenen Buch Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie konstatierted er deutsche SoziologeR obert Michels "die besonders stark hervortretende Anwesenheit vonJ uden in der Führerschaft der sozialdemokratischen und revolutionären Parteien".Erverwiesauf "[s]pezifische Eigenschaften des Judentums",d ie seines Erachtens "[…]d en Juden zum geborenen Massenführer,Organisator und Agitator" machten. Michels zufolge zählten zu diesen Eigenschaften ein "die Massen mitreißender Fanatismus,d er felsenfeste, suggestivwirkende Glaube an sich selbst-das Prophetentum in ihm-,[…] und ein noch stärkerer Ehrgeiz und Drang zur Schaustellung eigener Leistungen sowie,inallererster Linie, seine schier unbegrenzteAdaptabilität".¹ Als Belegefür "die quantitative und qualitative Stärke der Juden" in linken Parteien führte er unter anderem Beispiele ausd em Deutschen Kaiserreich, Österreich, den Verei