Related papers
Sinn, Unsinn, Widersinn des Leidens2010
Sinn, Unsinn und Widersinn des Leidens Eigenartig scheint sie schon zu sein…-die faktische Entwicklung des heilsgeschichtlichen Dialogs der Menschheit über die Zeit hindurch mit Gott. Warum eigenartig? Zu Beginn von Menschsein überhaupt, am archimedischen Punkt des Aufbruchs der Menschheit 1 , an dem Zeitpunkt der Trennung der Entwicklungslinien der ersten "homines" von den restlichen Primaten, war der Mensch wohl dadurch Mensch, dass er als erstes irdische Lebewesen überhaupt religiöse Akte vollbracht hat. Vielleicht ist es kein Zufall, wenn sich die ältesten menschlichen Artefakte-Malereien in dunklen Grotten und Höhlen vor ca. 17.000 Jahren-den Ausgestaltungen eines Jenseits widmen; unsere archaischen Urahnen haben sich das Jenseits wohl durch Dunkelheit, Rituale u.ä. induzierte Visionen an solchen "heiligen Orten" entsprechend primitiv i.S. der ewigen Jagdgründe vorgestellt 2. Was mag wohl damals der Inhalt der ersten Religionen gewesen sein?! Annehmbar scheint die These, dass zumindest zwei Konstituentien unabdingbar waren: a) die Existenz eines Göttlichen, das aufgefächert sein konnte in mehrere hypostasierte Gottheiten, je nach ihrem Grad der Widerspiegelung der innerlich erfahrenen Unendlichkeit und Unverfügbarkeit resp. Macht, und b) die faktische Distanz des Menschen zu einem ersehnten paradiesischen Zustand, also die zutiefst existentielle Erfahrung der Nicht-Göttlichkeit und Gefallenheit, Auslieferung bzw. Verlorenheit des Menschen. Der damit implizierte Modus der Differenz des Ur-Menschen zu Gott ist wichtig: formal kann unterschieden werden zwischen einer simplen positiven Differenz, die den Menschen als Nicht-Gott positiv Mensch sein lässt, sowie einer negativen Differenz 3. Sie ist zutiefst verbunden mit der Erfahrung des Leidens an Sünde, Schuld und Tod. "Eigenartig"-um an den Anfang zurück zu kommen-ist dabei, wie religiös gewordene Primaten mit dieser negativen Grunderfahrung umgehen: meist kapitulieren sie vor dem Leiden, indem sie etwa höheren Gottheiten Opfer darbringen 4 , also das eherne Gesetz des Todes und der Vernichtung akzeptieren und ihm sogar dienen. Opfer impliziert ihrem Wesen nach eine Vernichtungstat: etwas "Niedriges" wird zugunsten eines "Höheren" geopfert. Das Motiv des Opfers ist eine Besänftigung der Gottheit, indem der Negativität des faktischen Daseins entsprechend Tribut gezollt wird. Der opfernde Mensch akzeptiert und vollzieht die Negativität seiner ontologischen Differenz, um dem Schöpfer der negativen Differenz zu gefallen und an seiner Macht teilzuhaben. Das setzt voraus, dass er die "be-opferte" Gottheit als Schöpfer dieser Differenz situiert. Oder er opfert, um von der Negativität erlöst zu werden. Doch auch in diesem Fall vollzieht sich die Erlösung von der Negativität eben durch diese Negativität hindurch: wird vom Tod durch den Tod erlöst?! Der heilsgeschichtliche Dialog vollzieht sich bis zum Auftreten und Wirken Jesu immer mehr in Richtung einer pessimistischen Resignation und Kapitulation vor dem Leiden an der Negativität der ontologischen Differenz. Negativ-dialektische, gnostische Konzeptionen durchziehen bereits die vedische und arische Religion sowie den Hinduismus, später halten sie Einzug in mythologische Weltdeutungen. Da der faktisch negative Widerspruch nicht vereinheitlicht und harmonisiert werden kann, scheint alles Leiden einem dunklen und widersinnigen Urgrund zu entspringen; oder es bleibt grundloser und sich selbst gründender Widersinn. 1 Der archimedische Punkt ist ein Punkt, der sowohl zum sichtbaren Bild gehört als auch außerhalb des Bildes liegt: so ist der Aufbruch der Menschheit sowohl ein historisches Faktum als auch von ganz-menschheitlicher Bedeutung, die sicher nicht auf den singulären Zeitpunkt t=0 reduziert werden kann. Was damals faktisch geschah, als der Mensch durch seinen existentiellen Bezug zu Gott Mensch geworden ist und das SCHLEIERMA-CHERsche "Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit" oder die SPANNsche "Rückverbundenheit" entwickelt hat, besitzt Konsequenzen für das Netzwerk der gesamten Menschheit. Eben daraus resultiert die ätiologische und typologische Bedeutung von Gen 2,4b-3,24. 2 Ein interessantes Indiz für die Plausibilität dieser Hypothese sind gemalte Quadrate der steinzeitlichen Menschen, die aufgrund der Realitätstreue zu ihren Visionen diese zusammen mit den anderen Inhalten abgebildet haben; die Quadrate sieht man meist bei Halluzinationen, die durch neuronale Prozesse im Neokortex bei ständiger Dunkelheit etc. ausgelöst werden. 3 Wird die Unterscheidung zwischen Endlichkeit, Limitation, Privation einerseits und Negation, Gefallenheit, Verlorenheit andererseits vernachlässigt, resultieren leicht negativ-dialektische Theodizee-Konzeptionen, nach denen Leiden durch doppelte Negation überwunden wird. Vgl. Thiede, Werner: Der gekreuzigte Sinn. Eine trinitarische Theodizee, Gütersloh 2007: Endlichkeit wird negativ und nicht als Gott gewollt verstanden (244f). Sie wird-im Unterschied zu PANNENBERG und SÖLLE-als zu überwindende mit PAULUS gefasst und als "malum metaphysicum" mit LEIBNIZ (245). Die "theosis" und Vergöttlichung des Menschen bleibt das Ziel der Schöpfung, also "Theonomie" und keine Heteronomie als Zeichen der negativen Vergänglichkeit (245). 4 Zur genealogischen Darstellung des Opferbegriffs lese man die detaillierte Untersuchung von Negel, Joachim: Ambivalentes Opfer. Studien zur Symbolik, Dialektik und Aporetik eines theologischen Fundamentalbegriffs, Paderborn 2005. Schön herausgearbeitet wird die Ambivalenz des Opferbegriffs: "Liebe, Tod und Opfer stehen nicht nur gegeneinander, sondern in einem paradoxen Verhältnis auch zueinander." (579). Freilich wird der positive Liebescharakter des Opfers exklusiv im Opfertod Jesu offenbar; das Liebesmotiv ist ein christliches Spezifikum (siehe bes. den Hebräerbrief): "Liebe, die erlöst, ist ohne Opfer nicht zu denken." (580). Da Erlösung sich nur dadurch ereignen kann, dass sich der Erlösende auf die Situation des zu Erlösenden einlässt, wird Gott selber Mensch-um "Anteil" zu nehmen "an der prekären Situation der zu Erlösenden" (580). Es waltet eine faktische, keine seinsnotwendige Dialektik im Opferbegriff: "Opfer und Erlösung sind in widersprüchlicher Weise aufeinander bezogen: Erlösung wäre erst, wo Erlösung vom Opfer; Erlösung ist, wo Erlösung durch das Opfer." (582). Mit der sog. Offenbarungsreligion des Christentums scheint sich eine innovative Deutung zu etablieren 5 : die Negativität des Todes ist nun-in Anlehnung an PANNENBERG-antizipatorisch besiegt. Das faktische Leiden etwa des jüdischen HIOB, das letztlich nicht gedeutet werden kann, sondern mit Martin BUBER im sprichwörtlichen "jüdischen Trotz"-"Trotz" allem steht der Mensch zu Gott-endet, wird mit einem finalen Sinn versehen: nicht nur ein blinder und "trotziger" Gehorsam gegenüber Gott, sondern das Tor zum ewigen Leben scheint der "Lohn" des Opfers zu sein 6. Dadurch erfolgt wahre Erlösung vom negativen Tod-und der Ursprung des Leidens scheint in den Hintergrund getreten zu sein angesichts des Fokus auf seine Überwindung. 7 Das ändert sich freilich im Lauf der christlichen Geschichte. Bereits AUGUSTINUS scheint angesichts der Belagerung von Karthago zu resignieren, doch kommt es ihm nicht in den Sinn, Gott einen Vorwurf zu machen. Der Dank gegenüber Gott steht nach wie vor im Vordergrund. Auch Martin LUTHER leidet v.a. an der Angst vor göttlicher Verwerfung, doch setzt er wie selbstverständlich den Menschen als Grund des Leidens voraus-Anthropodizee charakterisiert den Versuch der Rechtfertigung des Menschen vor Gott 8. Erst später kommt LEIBNIZ dazu, als Kerngedanken der natürlichen Theologie-seit dem Mittelalter als "Theodizee" betitelt-die Frage nach der Rechtfertigung Gottes angesichts des Leidens vor dem Forum aufgeklärter menschlicher Vernunft herauszuarbeiten 9. Eben das ist das "Eigenartige": der einst demütige Mensch identifiziert sich zunächst fatalistisch mit dem Leiden als Sackgasse des Todes i.S. der Endstation seiner Existenz, um dann christlich erlöst vom Leiden mit Gott ins Gericht zu ziehen. Das Vorbild des "Lammes, das zum Schlachten geführt wird" und sein Mund nicht auftut, ist passé-trotz aller Legitimität einer rationalen Deutung und existentiellen Hermeneutik des Leidens sollte auf den Ursprung der Theodizee-Frage verwiesen werden. Da Gott notwendiger Ziel-Grund (also nicht nur eine simpel bewirkende oder zulassende Ursache) des Leidens zu sein scheint und Gott selbst widersinnig zu werden droht, insofern sich seine Eigenschaften der Güte, Gerechtigkeit und Allmacht zu widersprechen scheinen 10 , konzentriert sich Philosophie darauf, aus dem faktischen Leiden ein notwendiges Leiden zu machen. Dadurch macht sie aus der vermeintlichen Notwendigkeit des Leidens und des Todes das formale Prinzip der Negation bzw. der Vernichtung ein ebenso vermeintliches Basiselement: ist der Widerspruch des Leidens in der Welt notwendig, so ist der notwendig "zu vergöttlichen" und betrifft auch den göttlichen Urgrund 11-das scheint fast eine Rückkehr zu todgeweihten mythologischen Ur-Religionen zu sein, indem sich der Mensch dem Tod unterwirft. Nihilistisch-skeptische Positionen, die Verabsolutierung der Negativität, die Kapitulation vor dem Tod, die negative Trennung des Denkens vom Sein, von Subjekt und Objekt, sind die traurige Konsequenz einer kritischen Rationalität als Deckmantel eines am Leiden erkalteten menschlichen Herzens. Daher soll im Folgenden Sinn, Unsinn und Widersinn des Leidens "logisch" und "ontologisch-existentiell" skizziert werden. Das erlaubt eine Zu-und Einordnung gängiger Konzeptionen. Eine philosophische Theodizee kann durch eine philosophische Anti-Theodizee widerlegt bzw. eine Patt-Situation zwischen beiden erreicht werden. Eine Lösung scheint eine spezifisch theologische Theodizee zu bieten, die auf faktisches (und nicht notwendiges) Leiden faktisch mit dem Hinweis auf die faktische Überwindung des Leidens reagiert, dem "ex post" ein Sinn zuerkannt werden...