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Volks- und Völkerkunde an der Berliner Universität bis 1945

2010, Geschichte der Universität Unter den Linden 1810-2010

Abstract

Volks-und Völkerkunde an der Berliner Universität bis 1945 Wie viele andere Wissenschaftsgeschichten beginnt auch die der Volkskunde und Völkerkunde nicht im engeren akademischen Raum, auch nicht in Berlin und an seiner neuen Reformuniversität, deren Gründung doch gerade Wissenschaft und Gesellschaft einander näherbringen sollte. Vielmehr standen an der volks-und völkerkundlichen Wiege um 1800 zunächst Akteure aus jener europäischen Romantik Pate, die wir heute wohl als "identitätspolitische" Bewegung bezeichnen würden: Schriftsteller, Wissenschaftler, Ministerialbeamte oder einfach "aufgeklärte" Bürger, die als "dilettierende" Laien den historischen und ästhetischen Wert volkskultureller Überlieferungen neu entdeckten. Sie begeisterten sich für das Volk, das in seinem sozialen und kulturellen "Anderssein" substantieller und lebenskräftiger erschien als die erstarrte adelig-höfische Leitkultur. So wurden Volkslieder und Märchen, Trachten und Handwerkszeug gesammelt, um einerseits in kulturgeschichtlichen Kategorien von Authentizität und Kreativität gewürdigt, andererseits in räumlich-zeitlichen Tableaus regionaler Tradition wie nationaler Kultur angeordnet zu werden. Sprache und Erzählstoffe, Dinge und Symbole schienen das historische Subjekt eines Volkes zu verkörpern, das nun-zumal in Deutschland-aus seinen regionalen Wurzeln und Gliederungen heraus auch zum "nationalen Subjekt", zum Träger des Nationalgedankens des 19. Jahrhunderts berufen schien. Volk als nationaler "lieu de memoire" Damit war ein doppelter Repräsentationsgedanke entworfen: die Idee eines "nationalgeistigen" Volkes wie die Konzeption eines "populären" Wissensarchivs, welches die "Eigenarten" dieses Volkes dokumentieren und seine "Dingwelten" sammeln sollte. Viele der romantischen Laienvolkskundler bewegten sich damit in den geistigen Fußstapfen von Johann Gottfried Herder, der in seinen "Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit" die Kraft der "Volksseele" entdeckt und daraus die beiden paradigmatischen und in mancher Hinsicht fast schon kulturrelativistischen Entwürfe einerseits einer historisch wurzelnden 303 brought to you by CORE View metadata, citation and similar papers at core.ac.uk