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Feminismus ist nicht das Gegenteil von Wissenschaft

2017

Abstract

Elsbeth Pulver verkörperte wie wenige gleichermassen die Grandezza und die Eleganz der Literaturkritik. In ihr lebte die Erbschaft fort des grossen Joseph Victor Widmann. Mass genommen aber hatte sie an Hofmannsthal, über den sie promoviert hatte.Sie war streng im Urteil und zurückhaltend im Gestus,a ber unerschütterlich in ihren Überzeugungen, die nie im Dogma, aber in grosser Kenntnis der literarischen Tradition wie des zeitgenössischen Geschehens gründeten. WirS päteren staunten über die Grosszügigkeit wie auch über den stupenden Sachverstand. Wieo ft haben wir in dem Kindler-Band zu den «Zeitgenössischen Literaturen der Schweiz» das von Elsbeth Pulver verfasste Kapitel über die Deutschschweiz als Fundgrube benützt? Es war so unerschöpflich, eloquent und poetisch vernetzt wie heute kein digitales Nachschlagewerk. Elsbeth Pulver schrieb und dachte aus einer Fülle,d ie nur das Ergebnis von Eros und Studium sein konnte.W as solches hiess,l ernten wir von ihr,indem wir ihreKritiken und Essays lasen über Robert Walser,Erika Burkart oder Marie Luise Kaschnitz. Sie verband die Emphase des genauen Lesens mit der Gabe des unerschrockenen, leidenschaftlichen Schreibens. «Die Nachwelt flicht dem Kritiker keine Kränze.Aus der Zeitung,aus dem Sinn; in die Ecke, Besen, sei's gewesen.» So schrieb sie einmal, halb ironisch, halb melancholisch und nicht ohne schelmische Koketterie: Nein, vergessen geht sie nicht, auch wenn sie schon länger nicht mehr geschrieben hat. Nun ist Elsbeth Pulver,l ange JahreL iteraturkritikerin der NZZ, am 18.Juli in Bern im Alter von 89 Jahren gestorben. RomanBucheli