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Geschichte der Gegenwart » Die (un)bedingte Universität. Derridas Vortrag nach zwanzig Jahren » Drucken https://geschichtedergegenwart.ch/die-unbedingte-universitaet-derridas-vortrag-nach-zwanzig-jahren/print/ 1/7 Die (un)bedingte Univer sität. Derridas Vortrag nach zwanzig Jahren Der französische Philosoph Jacques Derrida (1930-2004) widmete sich in seinen letzten Lebensjahren unter anderem der Frage nach der Zukunft der Universität. In einem Vortrag zur ›unbedingten‹ Universität formulierte er dazu einige Vorschläge. Zeit für eine Relektüre. Geschrieben von Sandro Zanetti am 16. August 2020 Vor zwanzig Jahren, am 23. Juni 2000, hielt Jacques Derrida an der Goethe-Universität Frank furt am Main im geschichts träch tigen Hörsaal VI (Adorno!) auf Englisch einen öffent li chen Vortrag über die Zukunft der Univer sität. Einen Vortrag, den er zwei Jahre zuvor schon an der (privaten) Stan ford Univer sity gehalten hatte. Im Jahr nach dem Frank furter Vortrag erschien der Text in Buch form, zuerst auf Fran zö sisch (L'Université sans condi tion), kurz darauf auch in deut scher Über set zung (Die unbe dingte Univer sität) sowie in weiteren Spra chen. Zwanzig Jahre also sind seither vergangen. Sind die Über le gungen noch-oder heute gar erst recht-aktuell? Der Vortrag als Event Ich saß damals im Publikum des Frank furter Vortrags. Das lag nahe, ich wohnte und arbei tete in Frank furt, außerdem beglei teten mich Derridas Arbeiten schon seit einigen Jahren. Daher hatte ich auch gele gent lich an seinen Semi nar sit zungen an der EHESS in Paris teil ge nommen. Dabei war leicht fest zu stellen, dass im Lauf der Zeit der Spagat zwischen der ursprüng lich über schaubaren Semi nar si tua tion und dem ›Event‹ des öffent lich keits wirk samen Derrida-Vortrags (vor allem in der jeweils ersten Semi nar sit zung, die aus einem eröff nenden grund sätz li chen Vortrag zum Semi nar thema bestand, die folgenden Sitzungen waren im Wechsel mit Beiträgen der Seminarteilnehmer:innen dialo gi scher) immer größer wurde-Aufnah me ge räte aller orten, heute wären es Smartphones. 29.1.2021 Geschichte der Gegenwart » Die (un)bedingte Universität. Derridas Vortrag nach zwanzig Jahren » Drucken https://geschichtedergegenwart.ch/die-unbedingte-universitaet-derridas-vortrag-nach-zwanzig-jahren/print/ 2/7 Jacques Derrida, Die unbe dingte Univer sität, aus dem Fran zö si schen von Stefan Lorenzer, Frank furt am Main: Suhr kamp 2001.
„Die Universität müsste also auch der Ort sein, am dem nichts außer Frage steht.“ Eine unbedingte Universität wird mit Jacques Derrida als eine Universität verstanden, die bedingungslos, von jeder einschränkenden Bedingung frei sein sollte. Die Besonderheit der Kulturwissenschaften an der Europa-Universität Viadrina besteht seit der Gründung der Fakultät genau darin: nichts außer Frage zu lassen und sich von den einschränkenden Bedingungen des reinen disziplinären Studiums zu lösen, indem disziplinäre Ausbildung mit einem interdisziplinäre n Rahmen verknüpft wird. Das, was das Denken der Kulturwissenschaften an der Viadrina ausmacht, ist ein Denken, dass sich nicht auf moralische Regeln oder traditionelle Grundsätze stützen kann, sondern das aus sich selbst heraus im Überschwärmen der disziplinären Grenzen beim Nachfragen, Hinterfragen, Widersprechen und Zweifeln entsteht. Zugleich ist diese Besonderheit auch ihr größter Zersetzungsmoment, denn anstelle fertiger Antworten und Verwertungsmöglichkeiten als Studienendprodukt zu liefern, unterliegen die Kulturwissenschaften an der Viadrina ihrerseits einem stetigen Prozess der Selbstbefragung und der Selbstverständigung des In-Frage-Stellens. Das Seminar soll gemeinsam mit den Studierenden sowohl einen ideengeschichtlichen Einblick in diese Besonderheit der Kulturwissenschaften an der Viadrina bieten, als auch diese diskutieren und durch zu erarbeitenden Fallstudien am Prozess der Selbstverständigung teilnehmen. In Anlehnung an das Konzept des Forschenden Lernens sollen die Studierenden durch die Fallstudien (als mgl. Vergleichsstudien, Profilbeiträge, WiKi-Einträge oder historische Analysen, ..) den Blick auf ihr Studium schärfen und sich am stetigen Reformprozess der Kulturwissenschaften beteiligen können.
Bildung der Universität, 2005
Zeitgemäße Betrachtungen einer "unzeitgemäßen" Institution 1. Die Unvereinbarkeit von Innen-und Außenperspektive Was passiert gegenwärtig mit der Universität, in ihr und durch sie, ohne und manchmal wohl auch gegen sie? Die Metapher vom Elfenbeinturm, in dem in einem Klima der Weltfremdheit Sonderlinge mit dem reinen Denken beschäftigt sind, mit der Suche nach der Wahrheit, die, dem überirdisch Schönen und dem idealen Guten verschwistert, nur an einem extramundanen Ort vermutet werden konnte, jenseits der alltäglichen Intrigen und Geschäfte, diese Metapher hat zwar inzwischen ihre Geltung verloren und wird von neuen Metaphern ersetzt. Und dennoch hält sich hartnäckig das Gerücht, die Universität habe-wenigstens in Teilen-gewisse Modernisierungsprozesse nicht mitgemacht, sie verharre noch heute in einer anachronistischen Position, die der des Elfenbeinturms immer noch ähnlich sei. Insbesondere alle Bereiche, die nicht unmittelbar verwertbare und nützliche Wissensproduktion betreiben und eine berufsqualifizierende Ausbildung praktizieren, stehen unter Verdacht, gesellschaftlich irrelevant zu sein und nur unproduktive Kosten zu verursachen. Der Vorwurf der Theorielastigkeit von Ausbildungsgängen, die mit Praxisferne identifiziert wird, lässt sich unschwer als ein aktueller Ersatzterminus für Weltfremdheit erkennen. Auch und vor allem die relative Autonomie der Universitäten und die Freiheit von Forschung und Lehre machen diese allein schon dadurch verdächtig, dass sie nicht unmittelbar der Verwertungslogik oder der Leistungsmessung des öffentlichen Dienens oder der politischen Steuerung unterliegen, was ja nichts anderes heißt, als dass auch in dieser Autonomie ein Rest von Weltabgeschiedenheit gesehen wird, wenn denn die Welt nur das wäre, was von bestimmten Gruppen und Diskursen dafür gehalten wird oder was sich aus der Perspektive eines bestimmten Systems als Welt konstruieren lässt. Die Elfenbeinturm-Metapher selbst ist sicher antiquiert 1 , insofern sie die Universität einseitig mit Weltabgeschiedenheit identifiziert, worin zugleich das Vorurteil der Realitätsferne und Nutzlosigkeit mitschwingt. Übersehen
Laquieze-Waniek, Eva. / Vogt, Erik M. (Eds.): Derrida und Adorno. Zur Aktualität von Dekonstruktion und Frankfurter Schule. Turia & Kant. , 2008
Cover text (en) - Texte de présentation (fr.) - Klappentext (de.) What does Derrida have to do with Adorno? And vice versa: what does Adorno have to do with Derrida? This book examines the relationship between the two philosophers, who have had a significant influence on 20th century thought, and attempts to analyse their differences and points of contact. For example, how do both authors understand the constitution of the subject and to what extent do they criticise idealistic or metaphysical traditions? It then deals with questions of art and the critical theoretical method with which the excluded, disciplined, discarded - the rest of the constitution of the subject - can be made visible. With contributions by: Jay M. Bernstein, Arno Böhler, Othmar Kastner, Eva Laquièze-Waniek, Christoph Menke, Alice Pechriggl, Hugh J. Silverman, Michael Turnheim, Eleni Varikas, Erik M. Vogt and Hent de Vries. Quel est le rapport entre Derrida et Adorno ? Et inversement : quel est le rapport entre Adorno et Derrida ? Cet ouvrage se penche sur la relation entre les deux philosophes, qui ont profondément marqué la pensée du XXe siècle, et tente d'analyser leurs différences et leurs points communs. Comment les deux auteurs comprennent-ils par exemple la constitution du sujet et dans quelle mesure critiquent-ils les traditions idéalistes ou métaphysiques ? Il s'agit ensuite de questions d'art et de méthode théorique critique avec laquelle l'exclu, le discipliné, le rejeté - le reste de la constitution du sujet - peuvent être rendus visibles. Avec des contributions de Jay M. Bernstein, Arno Böhler, Othmar Kastner, Eva Laquièze-Waniek, Christoph Menke, Alice Pechriggl, Hugh J. Silverman, Michael Turnheim, Eleni Varikas, Erik M. Vogt et Hent de Vries. Was hat Derrida mit Adorno zu tun? Und umgekehrt: was Adorno mit Derrida? Das Buch geht dem bislang nur wenig bedachten Verhältnis der beiden Philosophen, die das Denken des 20. Jahrhunderts wesentlich geprägt haben, nach und versucht, ihre Unterschiede und Berührungspunkte zu analysieren. Wie verstehen beide Autoren z.B. die Konstitution des Subjekts und inwiefern kritisieren sie idealistische oder metaphysische Traditionen? Es geht dann um Fragen der Kunst und der kritischen theoretischen Methode, mit der das Ausgeschlossene, Disziplinierte, Verworfene – der Rest der Subjektkonstitution – sichtbar gemacht werden können. Mit Beiträgen von: Jay M. Bernstein, Arno Böhler, Othmar Kastner, Eva Laquièze-Waniek, Christoph Menke, Alice Pechriggl, Hugh J. Silverman, Michael Turnheim, Eleni Varikas, Erik M. Vogt und Hent de Vries. The preface was written by the two editors of the book. La préface a été rédigée par les deux éditeurs du livre. Das Vorwort wurde von den beiden Herausgebern des Buches verfasst.
Heute wird das Gespräch mit dem Philosophen Jacques Derrida (1930-2004) im Vordergrund stehen, im Juni der Philosoph Platon, und im Juli die Philosophie Friedrich Nietzsches. Ich lege bewusst den Akzent auf das Wort Gespräch, denn unser Anliegen mit dieser Reihe ist nicht, einfach einen Vortrag zu halten, gespickt mit philosophischen Fachtermini, um eine systematisch und wissenschaftlich korrekte Darstellung dieser oder jener Philosophie zu liefern. Uns geht es primär darum, Philosophie lebendig zu machen, im Dialog mit Ihnen, Ihren Fragen und Interessen, den philosophischen Diskurs dazu zu machen, was er eigentlich immer schon war und ist – nämlich ein lebendiges, reflektiertes Denken, das aus den Fragen der alltäglichen, gegenwärtigen Lebenswelt entspringt und innerhalb dieser verortet ist. Da nun mit dem Tod eines Philosophierenden, die Relevanz seines Denkens für die Fragen der JetztZeit nicht verloren geht, mit ihm direkt zu sprechen, sich aber aus faktischen Gründen als unmöglich erweist, sind wir auf schriftliche Dokumente angewiesen, um das Gespräch eröffnen zu können. Einige von Ihnen haben bereits den Text, den ich für heute ausgewählt habe, gelesen. Für diejenigen, die den Text vorab nicht in den Händen hielten, habe ich Kopien mitgebracht. Der Titel des Textes lautet: Tympanon, und er wurde von Derrida zu Beginn der 70iger Jahre geschrieben. Am Rande möchte ich hier anmerken, dass es sich um einen zeitlich mittleren Text innerhalb der Schaffensphase Derridas handelt, der die spezifische, ich möchte sagen ausgereiftere Position Derridas, die ihn sozusagen auszeichnet, zum Ausdruck bringt. Tympanon – so der Titel des Textes-ist der Initialaufsatz des Sammelbandes Randgänge der Philosophie. Und meines Erachtens lohnt es sich, einmal auf das Inhaltsverzeichnis des Sammelbandes zu blicken. Dort lesen Sie dann Titel wie: Die différance, Ousia und gramme, Der Schacht und die Pyramide, Die weiße Mythologie oder auch Qual der Quelle. Diejenigen, die sich vielleicht schon philosophischen Büchern ausgesetzt haben, werden jetzt bereits etwas verwundert sein. Denn diese Titel sind eher untypisch für philosophische Abhandlungen. Sie klingen eher nach literarischen Essays – oder, wie auch der Titel Tympanon, man kann sich beim ersten Lesen überhaupt erst einmal kein Bild davon machen,
Roczniki Humanistyczne, 2017
KATARZYNA WÓJCIK * DIE AUSLEGUNG DES WESENS DER DEUTSCHEN UNIVERSITÄT IN DER REKTORATSREDE MARTIN HEIDEGGERS A b s t r a c t. Martin Heidegger hielt bei der Übernahme des Rektorats in Freiburg am 27.05.1933 die Antrittsrede "Die Selbstbehauptung der deutschen Universität". In dieser Rede hat er programmatische Vorstellungen zur Erneuerung der Universität zum Ausdruck gebracht, mit der Berücksichtigung eines aktiven Engagements der Studenten, von denen er einen "Dienst" auf drei Ebenen erwartete-als "Wehr-", "Arbeits-" und Wissenschaftsdienst. Die Rede entsprach zwar nicht den Hauptvoraussetzungen des NS-Bildungsprogramms, zeugt aber von seinem Beitrag zur nationalsozialistischen Gestaltungspolitik der deutschen Universität.
Derridas gebrochene Lanze. Zur Verteidigung des „klassischen emanzipatorischen Ideals“, in: CATO 3/2018, 33-38, 2018
Eine Welle apokalyptischen Denkens führt seit dem Ersten Weltkrieg zu Weltflucht, Kulturrevolution und Geschichtsfeindlichkeit. In der Folge wird durch Verlust der republikanischen Tradition und des klassischen Hellenentums der politische Raum zerstört. Unter Berufung auf Jaques Derrida warnt unser Autor: Wer im Namen eines anarchischen Freiheitsbegriffs die Begriffe des demos und des mündigen Bürgers diskreditiert, macht sich der schlimmsten Komplizenschaften schuldig. Ein Plädoyer für das klassische emanzipatorische Ideal der Aufklärung. VON Egon Flaig gebrochene DERRIDAS LANZE ESSAY
Ambivalenzraum Universität, 2016
Das problematische Verhältnis von Freiheit und Macht. Die Universität ist nicht nur ein Ort der Freiheit. Vielmehr ist sie immer auch ein Ort, an dem es um Macht und Herrschaft geht. Das Verhältnis von professoraler Macht und Freiheit ist ein ambivalentes. Denn die Freiheit der ProfessorInnen schlägt im akademischen Alltag nicht selten in Machtausübung um. Der Grund dafür mag darin liegen, dass eine grundlegende Prämisse des Prinzips der ‚Freiheit von Forschung und Lehre‘ allzu häufig uneingelöst bleibt. Die größte Bedrohung der Freiheit geht dabei zweifellos vom Zeitregime aus, das der bürokratisch komplexen Universität des frühen 21. Jahrhunderts eigen ist. Neben dem Zeitfaktor gibt es aber auch noch andere, diffusere Aspekte, die das Potential haben, die Freiheit von ProfessorInnen zu untergraben. Diese lassen sich vielleicht am besten als psychologische Effekte des für das deutsche Universitätssystem typischen Karriereverlaufs beschreiben.
2016
Im Wintersemester 1996 wurde am Lehrgebiet Praktische Informatik I mit einigen wenigen Kursen und ebenso wenig Studierenden die Virtuelle Universität (VU) der FernUniversität in Hagen gestartet. Heute arbeiten mehr als 25.000 Nutzer aktiv mit dieser Plattform und können aus über 300 Kursen aller Fachbereiche ihr individuelles Studienprofil auswählen. Die Virtuelle Universität (VU) hat allerdings nicht nur enorme Veränderungen von Lehren und Lernen bewirkt, auch die Organisation als Ganzes erfährt inzwischen durch die VU einen Strukturwandel. Viele Publikationen beschäftigen sich mit den technologischen, didaktischen und auch juristischen Aspekten des Wandels; aber kaum jemand beschreibt die kompletten Auswirkungen durch den Einsatz eines solchen Systems und doch wird genau danach sehr häufig gefragt. Nicht nur Studierende, auch Lehrende, Verwaltungsangestellte und Techniker werden vor neue Herausforderungen gestellt. Im folgenden Papier werden die Erfahrungen aus dem Projekt Virtuel...
Universität als Ort, wo Wahrheit als die konstitutionstheoretisch regulative, aber methodologisch konstitutive Idee der Wissenschaft wirklich wird * Vorbemerkung Einige Sätze möchte ich dem, was Herr Rustemeyer gesagt hat, anfügen, wobei ich dies aus der Perspektive eines Soziologen tue, welche eine andere ist, als die des Philosophen. Für den Soziologen ist Philosophie, die lange Statthalter auch der Wissenschaft in der Praxis war, dann zur Wissenschaft derart in Beziehung stand, dass sie die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis reflektierte, und heute, wo Wissenschaft auch dies noch selbst übernommen hat -oder jedenfalls im Prinzip übernehmen kann und muss -, heute ist sie eine purifizierte Form von Praxis, Praxis überhaupt sozusagen, aber eben bei aller erkenntnislogischen Differenz zur Praxis handlungslogisch doch vom gleichen Holz wie diese. Meine Sätze werden sich zunächst auf Wissenschaft, dann auf Wahrheit als eigentümlich geartete Idee der Wissenschaft und schließlich auf die eigentümlich unpraktische Form der Praxis von Wissenschaft: des Strebens nach Wahrheit, eingehen, für das die Universität den utopischen Ort abgibt -analog zur unpraktischen Praxis. Wissenschaft Wissenschaft ist eine späte Errungenschaft der menschlichen Gesellschaft. Wie jede Institution antwortet auch die Institution Wissenschaft auf ein gesellschaftliches Handlungsproblem: das der kulturellen Reproduktion und Erneuerung, welches handlungslogisch aus der notwendigen Krisenbewältigung der Lebenspraxis erwächst. Die Praxis hat im Zuge der Bewältigung ihrer Handlungsprobleme Wissenschaft als eine Sphäre hervorgebracht, in der ein spezifischer Aspekt dieses Problems methodisiert bearbeitet wird. Wissenschaft entwirft hypothetische Welten eines praktischen Andersseins, indem sie Geltungskrisen in einem hervorbringt und bearbeitet. Was in der primären Praxis, unserer Alltagspraxis, meist erst dadurch geschieht, dass Routinen -also bewährte Krisenlösungen -an Handlungsproblemen scheitern und somit neue Krisenlösungen erzeugt werden müssen, führt die Wissenschaft handlungsentlastet gezielt herbei. Mit der Etablierung der Erfahrungswissenschaften verwandelte sich das universelle Handlungsproblem der kulturellen Reproduktion und differenzierte sich aus zu dem Problem der Tradierung bewährten Wissens 1 einerseits, dem Problem der methodischen Überprüfung der Geltung dieses bewährten Wissens und seiner Erneuerung andererseits. Diese Geltungsüberprüfung ohne Not, zu der die Praxis mit Recht und treffend sagt: "Darüber nachzudenken ist doch müßig", bedarf von Anfang an einer Haltung der Kritik. Deren Entfaltung und die Befestigung dieser Haltung ruht in der kollegialen Praxis der Community of scientists, in welcher durch das Ernstnehmen der Argumente, das sich durch Kritik in der Sache ausdrückt, der Person als Kollegen Anerkennung zuteil wird. Gerade weil Wissenschaft auch das Selbstverständliche zum Erklärungsbedürftigen erhebt und seine Geltung überprüft, weil also die Zwecke der Praxis selbst für die Wissenschaft erklärungsbedürftig sind, können diese nicht Legitimationsgrund der Erfahrungswissenschaften sein. Nicht also von der Praxis gesetzte Zwecke oder Verwertungshoffnungen geben den Legitimationsgrund der Wissenschaft ab, sondern nur, dass die Praxis sich als eine begreift, zu deren Identität es nicht nur gehört, Probleme zu lösen, sondern zugleich auch stets, ein Anderssein ihrer selbst entwerfen zu können. Das Gemeinwesen, die Praxis, beruft sich -ob sie will oder nicht -dabei auf einen Mythos (vgl. Post 1969: 270), auf eine Erzählung davon, woher sie kommt, wohin sie geht und wer sie ist. Wenn anders die Praxis unseres 1 Wolfgang Sünkel hat in seiner Phänomenologie des Unterrichts (1996) klar herausgearbeitet, wie die Tradierung von bewährtem Wissen, bewährten Deutungs-und Handlungsmustern ein universelles Handlungsproblem darstellt, das von allen Gesellschaften gelöst werden muss. Universität -utopischer Ort der Wissenschaft -Fassung 19.4.2007 3/8 modernen Gemeinwesens nicht sich einem vormodernen Mythos verschreiben will, so gehören die Errungenschaften der Moderne, eben auch die Wissenschaft, zu ihrer Identität. Die Wissenschaft demgegenüber ist nicht einem Mythos, sondern dem Logos verpflichtet. Ihre Sphäre ist die der Begriffe, ihr Medium ist die Argumentation, ihre Praxis der Streit von Proponent und Opponent, die ihre konkrete lebendige Erfahrung in diesen Streit einbringen, die sie aber durch ihn in Erkenntnis transformieren. Wahrheit Der genannte Streit von Proponent und Opponent, der im Medium der Argumentation, in der Sphäre der Begriffe stattfindet, dieser Streit ist Ausdruck des Mottos, das über unserem Workshop steht: "Streben nach Wahrheit!" Wie steht es nun um dieses Streben? Max Weber führte 1919 in einem Vortrag über Wissenschaft als Beruf folgendes aus: "Die wissenschaftliche Arbeit ist eingespannt in den Ablauf des Fortschritts. […] Jeder von uns […] in der Wissenschaft weiß, daß das, was er gearbeitet hat, in 10, 20, 50 Jahren veraltet ist. Das ist das Schicksal, ja: das ist der Sinn der Arbeit der Wissenschaft, dem sie, in ganz spezifischem Sinne gegenüber allen anderen Kulturelementen, für die es sonst noch gilt, unterworfen und hingegeben ist: jede wissenschaftliche »Erfüllung« bedeutet neue »Fragen« und will »überboten« werden und veralten. Damit hat sich jeder abzufinden, der der Wissenschaft dienen will. […] Wissenschaftlich […] überholt zu werden, ist -es sei wiederholt -nicht nur unser aller Schicksal, sondern unser aller Zweck. Wir können nicht arbeiten, ohne zu hoffen, daß andere weiter kommen werden als wir. Prinzipiell geht dieser Fortschritt in das Unendliche." (Weber 1919: 592f.) Universität -utopischer Ort der Wissenschaft -Fassung 19.4.2007 4/8 Wenn das so ist -wozu dann nach Wahrheit streben? Wenn wir in diesem Weberschen Sinne Erkenntnis zu gewinnen langen, so müssen wir zugleich davon ausgehen, dass diese Erkenntnis (a) einerseits niemals endgültig ist, dass sie (b) andererseits aber auch nicht beliebig ist, sondern mit Gründen erschüttert werden kann; dies ist schon Bdingung dafür, sinnvoller Weise von Kritik sprechen zu können. Wir müssen also zugleich akzeptieren, dass wir niemals "die Wahrheit" besitzen werden, dass in einem ontologischen Sinne Wahrheit zu unterstellen also wissenschaftlich sinnlos ist, da diese Unterstellung niemals überprüft werden kann. Hierauf hat Popper deutlich hingewiesen und dafür, im Rückgriff auf Kants Begriff der regulativen Prinzipien, die weder bewiesen noch widerlegt werden können, von Wahrheit als regulativer Idee gesprochen. Aber Wahrheit ist zugleich mehr. Wenn Erkenntnis nämlich im Streit von Proponent und Opponent, der im Medium der Argumentation sich vollzieht, mit Gründen erschüttert werden kann, müssen wir zugleich notwendig Wahrheit unterstellen -auch wenn sie sich nur in der Erschütterung bewährten Wissens zeigt. Damit ist Wahrheit für die Wissenschaft zugleich ein konstitutives Prinzip. Das hat Popper übrigens so nicht gesehen. Wir haben es also bei der Wahrheit zugleichin einem konstitutionstheoretischen Sinne -mit einer regulativen Idee zu tun, der wir nachstreben können oder auch nicht; und mit einer -in einem methodologischen Sinne -konstitutiven Idee, der nachzustreben wir nicht umhin können, wenn anders wir überhaupt Wissenschaft betreiben wollen. O b wir also Wissenschaft betreiben wollen, ist eine Frage unseres Selbstverständnisses (zum Selbstverständnis der Amish in Pennsylvania etwa gehört es nicht). Wenn wir aber Wissenschaft betreiben, gehört das Streben nach Wahrheit konstitutiv dazu -sonst betreiben wir eben keine Wissenschaft. Was dies für den einzelnen Wissenschaftler bedeutet, hat Weber im Anschluss an die zitierten Sätze ausgeführt: "Und damit kommen wir zu dem Sinnproblem der Wissenschaft. Denn das versteht sich ja doch nicht so von selbst, daß etwas, Universität -utopischer Ort der Wissenschaft -Fassung 19.4.2007 5/8 das einem solchen Gesetz unterstellt ist, Sinn und Verstand in sich selbst hat. Warum betreibt man etwas, das in der Wirklichkeit nie zu Ende kommt und kommen kann? Nun zunächst: zu rein praktischen, im weiteren Wortsinn: technischen Zwecken: um unser praktisches Handeln an den Erwartungen orientieren zu können, welche die wissenschaftliche Erfahrung uns an die Hand gibt. Gut. Aber das bedeutet nur etwas für den Praktiker. Welches aber ist die innere Stellung des Mannes der Wissenschaft selbst zu seinem Beruf?, -wenn er nämlich nach einer solchen überhaupt sucht. Er behauptet: die Wissenschaft »um ihrer selbst willen« und nicht nur dazu zu betreiben, weil andere damit geschäftliche oder technische Erfolge herbeiführen, sich besser nähren, kleiden, beleuchten, regieren können. Was glaubt er denn aber Sinnvolles damit, mit diesen stets zum Veralten bestimmten Schöpfungen, zu leisten, damit also, daß er sich in diesen fachgeteilten, ins Unendliche laufenden Betrieb einspannen läßt?" (Weber 1919: 593) Auf diese Frage muss letztlich jeder, auf den sie trifft, selbst eine Antwort finden. Der, zu dessen Gesetz es gehört, nach dem er angetreten, der wird nach Wahrheit streben, müßig, unpraktisch in dem vorhin angedeuteten Sinne, denn darin erfährt er nicht nur seinen Gegenstand, sondern immer auch sich selbst. Dass er es aber kann, dass er den Raum der Muße dafür findet, für sein unpraktisches Tun, bei dem nicht nur u. U. nichts Nützliches herauskommt, sondern bei dem auch nicht einmal auf Gewissheit im Sinne einer unerschütterlichen Erkenntnis der Wahrheit zu hoffen ist, dafür gibt es im eigentlichen Sinne keinen Ort. Ein Ort nämlich ist, wie sich etymologisch zeigen lässt, das Hier und Jetzt der Praxis. Wir hier, am Rande des Reviers, kennen noch den bergmännischen Ausdruck "vor Ort", was den Ort bezeichnet, wo gerade -akut -der Abbau stattfindet, wo gearbeitet wird. Wenn also ein Ort immer das Hier und Jetzt einer Praxis ist, dann ist die unpraktische Wissenschaft für sich genommen zunächst einmal ortlos:...
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Edition Moderne Postmoderne, 2007
Brünner Beiträge zur Germanistik und Nordistik, 2017
Russland-Analysen. No. 342. P. 10-13, 2017
31. Böhler, A. (2016). Post-Hermeneutik nach Derrida: erstaunliche Brüche. in A. Babka (Hrsg.), Narrative im Bruch: theoretische Positionen und Anwendungen (S. 133-146). Göttingen: V&R unipress., 2016
Okologisches Wirtschaften Fachzeitschrift, 2009
Bildung der Universität, 2005
Informatik-Spektrum, 2000
By Dietmar Wetzel and Stephan Moebius, 2005