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Der Jargon der Nützlichkeit

2011, Wissenschaft und Hochschulbildung im Kontext von Wirtschaft und Medien

Abstract

Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts haben sich in Europa Hochschulreformbemühungen zu einer "Bewegung" verdichtet. Typisch dafür ist erstens eine ständig zunehmende Breite der Thematik: Alles, was im Hinblick auf Lehre und Studium an Hochschulen für wünschenswert und reformierbar gehalten wird, soll-so die Tendenz-möglichst in den Bologna-Prozess integriert werden; jede Reformintention soll dadurch heilig gesprochen werden, dass sie mit einem Spiegelstrich in einem der Kommuniqués der Bologna-Nachfolgkonferenzen der Minister aufgenommen wird. Typisch ist zweitens eine enorme normative Spannbreite von weit reichenden Heilserwartungen und beredten Verteufelungen der zur Diskussion stehenden studienbezogenen Hochschulreformen. Insofern erleben wir eine ähnliche Stimmungslage wie bei dem Hochschulreformschub um 1970, dessen Ergebnisse einige Zeit später mit dem treffenden Buchtitel "Great Expectations and Mixed Performance" (Cerych/Sabatier 1986) zusammengefasst worden waren. Sicherlich trägt zur Popularität der "Bologna"-Botschaft gerade das Gegenteil bei-die Tatsache, dass der Kern des Reformprogramms äußerst übersichtlich ist. In erster Linie geht es um die Einführung eines Systems gestufter Studiengänge und-abschlüsse. Vorgesehen ist, die bisherige Struktur von-relativ langen-universitären Studiengängen und von-unterschiedlich langen-Studiengängen an anderen Hochschularten nunmehr hochschulartübergreifend durch drei-bis vierjährige Bachelor-Studiengänge und zumeist anderthalb bis zweijährige Master-Studiengänge abzulösen-und das europaweit. Ergänzend steht zur Diskussion, die mehr oder weniger strukturierte Qualifizierungsphase bis zur Promotion als eine dritte Studienphase zu verstehen, ohne dass sich dazu bisher klare gemeinsame operative Konsequenzen abgezeichnet hätten. Der Reformkern von Bologna ist also im Vergleich zu den Reformen um 1970 auf die Struktur von Studiengängen und-abschlüssen konzentriert (siehe dazu ausführlicher Teichler 2005b); und die Reformziele sind relativ risikoarm. Realisiert werden soll ein Modell, das in vielen angelsächsischen Ländern, in den nördlichen Ländern Europas, in gewissem Maße auch in Frankreich und in der Mehrzahl der außereuropäischen Länder mit jeweils leichten Unterschieden bereits bestanden hat oder noch besteht und dass in diesen Ländern weder die großen Heilswirkungen noch die großen Katastrophen ausgelöst hat, die im Diskurs über den Bologna-Prozess Wellen schlagen.