In: Klaus Düwel / Robert Nedoma / Sigmund Oehrl, Die südgermanischen Runeninschriften (= Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsbd. 119; Berlin – Boston 2020), LIX–CXXVIII.
Mit dem Terminus südgermanisch sind laut Wolfgang Krause "diejenigen Sprachen gemeint, die sich in der Karolingerzeit zu dem Oberbegriff 'deutsch' zusammenschlossen" (KJ, 277). 2 Diesem linguistischen Kriterium folgend, hat Krause mit südgermanisch sodann ein Corpus runenepigraphischer Texte im älteren Fuþark etikettiert, die "fast ausschließlich dem 6. und 7. Jh." angehören und-ebenfalls fast ausschließlich-in den nachmaligen deutschsprachigen Gebieten beheimatet sind (ebd., 278; vgl. 279 ff.). Krauses Definition bzw. Verfahrensweise ist allerdings trotz vereinzelten Zuspruchs (z.B. Opitz, 214. 291 Anm. 1 pass.) auch deswegen zu modifizieren, weil damit das nach neuestem Kenntnisstand in immerhin wohl vier Runeninschriften 3 bezeugte frühe Langobardische nicht berücksichtigt wird, das demselben Kulturhorizont wie die übrigen westgermanischen Sprachvarietäten der Merowingerzeit angehört. Zu eng gefasst ist daher auch der von Marcello Meli verwendete, kulturellethnisch begründete (Doppel-)Begriff alamannisch bzw. alamanno-fränkisch, 4 da hier nicht nur das Langobardische, sondern auch das Sächsische gewissermaßen durch den terminologischen Rost fallen. In der jüngeren runologischen Literatur hat man 1 In diesem Abschnitt stütze ich mich auf bereits andernorts veröffentlichte Darlegungen (v.a. Nedoma 2006, 109 ff.; 2015a, 139 ff.). 2 Vgl. Krause 1970, 88 § 71. Das Inschriftenkorpus wird drei Jahrzehnte zuvor von Krause hochdeutsch genannt (RäF, 200 f.)-ein ebenfalls linguistisch definierter Terminus, der von ihm auch in einem etwas unscharfen geographischen Sinn verwendet wird ("auf hochdeutschem oder langobardischem Boden gefunden"). Von hochdeutsch kann aber keine Rede sein, denn die Zweite bzw. Hochdeutsche Lautverschiebung ist in der südgermanischen 'Runenzeit'-mit éiner Ausnahme, i.e. → SG-136 WURM-LINGEN (s. dort, 3.2)-ja noch nicht durchgeführt (und daher das Hochdeutsche noch nicht konstituiert), ganz abgesehen davon, dass die voraltsächsischen Inschriften (von denen Krause seinerzeit freilich nur SG-109 SOEST und die von ihm als nicht authentisch angesehenen 'Weserrunen' [SG-134 WE-SER] bekannt waren) terminologisch nicht erfasst werden. 3 Die beiden Inschriften SG-2 AQUINCUM und SG-13 BEZENYE sind gewisslich den Langobarden zuzuschreiben, ferner wohl auch → SG-19 BREZA (s. dort, 2.3) und der Neufund → SG-139 BŘECLAV (s. dort, 4: Anhang). 4 Meli, 195: "la denominatione 'iscrizioni runiche alamanniche' (o 'alamanno-franconi' [...]), in virtù della loro solidarietà cronologica, geografica e culturale". 8 Zu den ostgermanischen Runeninschriften zuletzt Nedoma 2010, 1 ff. (mit Lit.). 9 Abweichend zu der in der Runologie herrschenden Praxis (sog. Dickins-Page-System) wird auch in dieser Edition für die anglo-friesischen Runeninschriften ein nicht-interpretatives Transliterationssystem verwendet, für das gilt: a 1 = ae ('ae'), a 2 = A (bzw. fries. ae ı ; 'a'), a 3 = O ('o'), o = o ('oe'), k (1) = c ('c'; k 2 wäre 7 'k') und ï = 4 ('ʒ' oder 'i̵ '). Der wesentliche Vorteil dieser (nur) auf den ersten Blick weniger übersichtlichen Methode besteht in der Eineindeutigkeit: die graphematische Ebene wird hier nicht verlassen, sodass keine Vorentscheidung über tatsächliche oder vermeintliche Graphem-Phon(em)-Korrelationen getroffen werden.