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Dynamiken des Apokryphen

2017, Dynamiken des Apokryphen. Lukians Schrift Von der syrischen Göttin

Diskursive Praktiken, insbesondere Texte, bewegen sich in einem kulturellen Feld, das in raumtheoretischer Metaphorisierung als von der Trias Zentrum-Peripherie-Außenraum konstituiertes chronotopisches Feld bezeichnet werden kann, mindestens bi-, wahrscheinlich multidirektional und in unterschiedlichen Geschwindigkeiten zwischen seinen beiden Polen verlaufend. Der in den Theologien etablierte Begriff des ‚Apokryphen' ist demgegenüber kaum zufällig schon in seiner Semantik statisch und vermag nur die Situierung einer Schrift oder einer Wissenstradition ‚im Verborgenen', nicht hingegen ihre Bewegung in Richtung dieses Bereichs, zu thematisieren. Dahinter steht bekanntlich das Anliegen einer Strukturierung epistemischer Bestände mit dem Ziel der Kanonisierung und Gewinnung von Autorität in der (im weitesten Sinne) gesellschaftlichen Kommunikation. Tatsächlich bildet das Konzept von kanonischer und apokrypher Literatur, nimmt man die Kategorie verbotener, indizierter Bücher im Sinne eines diskursiven Außenraums hinzu, auch die oben genannte Trias ab. Denn als ‚Apokryphen' lassen sich dann Texte bezeichnen, die nicht kanonisch geworden sind, obwohl ihre inhaltlichen Potentiale das nicht a priori ausgeschlossen hätten. Apokryphe Texte stehen demnach in der diskursiven Peripherie. Grundsätzlich haben sie die Chance, zu einem ferneren Zeitpunkt kanonisch zu werden, sie könnten aber auch zu einer Existenz im Verbotenen verdammt werden. Man könnte deshalb pointiert und provokativ von einer ‚third-space-literature' sprechen, deren Merkmal das Apokryphe wäre, also die Tatsache ihrer mangelhaften Verbreitung, ihrer problematischen Medialisierung und schwierigen Entzifferbarkeit, ihrer Ähnlichkeit mit kanonischen Texten, die aber doch Fallstricke des möglicherweise Subversiven bereithält. Nehmen wir das Adjektiv ‚apokryph' sozusagen grammatisch beim Wort, betrachten wir es also als ein Attribut, das einem diskursiven Gegenstand in unterschiedlicher Intensität zukommen kann und seine Verortung nicht absolut, sondern variabel festlegt, dann kommen wir derjenigen Denotation des Begriffs näher, die seine griechisch-hellenistische Verwendungsweise bestimmt. 1 Hier sind nämlich Schriften bezeichnet, die ein essentielles Wissen beinhalten, das jedoch nur Eingeweihten zugänglich ist: Hieroglyphische Werke der ägyptischen Priester, Zauberpapyri, astrologische Schriften setzen bei ihren Benutzern alphabetische Kenntnisse und höheres Wissen voraus, das sie zur Benutzung solcher Texte befähigt, die zudem von ihren ‚Besitzern' oder Verwaltern eindringlich gehütet werden. Auch diese Texte befinden sich in einer diskursiven Peripherie, auch