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‚Musik’ nach Kant

Schönheit der Musik zu fragen, in einer Zeit, in der das Schöne "nur noch das ‚arrêté-figé' [ist], ausdruckslos und zerbrechlich, ‚qui frôle en permanence le démonique' und das als ‚regard de la Méduse' unablässig selbst versteinert und alles, was erblickt wird, in die Versteinerung treibt." 1 Aber der Mut, gegen solche Versteinerungen anzugehen, zeichnete Eggebrecht unbestritten in seinen letzten Lebensjahren aus. In seinem Bemühen, dem Phänomen des Schönen in der Musik mit den Mitteln der wissenschaftlichen Sprache nahezukommen, zeigt er sich zunächst fasziniert von den Möglichkeiten, die diesem Begriff in seiner Unabhängigkeit von äußeren Vorgaben innewohnen. Aber je genauer er diese Unabhängigkeit zu umschreiben versucht, desto problembeladener werden die Kategorien, was ihn schließlich dazu führen, sich-wie schon die Zeitgenossen Kants-von dieser bloßen "Lust an eingebildeter Unabhängigkeit" abzusetzen. 2 Das Schöne steht ihm schließlich allein für "das Formschöne der Kunst", "das Gereinigte, das Freie, in sich Vollkommene, gleichsam Göttliche, Analogon des Wahren und des Guten", 3 Begriffe, die Rainer Warning in anderem Zusammenhang als "begriffliche Leerformeln" bezeichnet hat, die an die Stelle sinnvoller Merkmalsysteme treten. 4 Ein wichtiger Aspekt, auf den er dabei nicht verzichten will, ist die Suche nach dem Gehalt, die "Sinnhaftigkeit" 5 des Kunstwerkes. Gehalte aber, so Eggebrecht, sind "nicht rein", und so kann es nur das Ziel der sogenannten Autonomieästhetik sein, "daß aller Gehalt ... unaussprechlich in der schönen Form verschwindet." 6 Damit entschwindet aber auch scheinbar-ich betone: scheinbar-das Kunstwerk selber aus den Augen. Mit dem Begriff des Schönen, so Eggebrecht, kommen wir nicht "erkenntnismäßig" an das Kunstwerk heran. 7 Und das sei doch schließlich unser Ziel als Musikwissenschaftler. Ob dies wirklich so unser Ziel ist, möchte ich hier erst einmal stehen lassen. Ein Moment möchte ich jedoch besonders herausgreifen. Eggebrecht baut seine Argumentation auf einem wichtigen Satz aus Kants Kritik der Urteilskraft auf: "...in aller schönen Kunst besteht das Wesentliche in der Form…" 8 Von daher ist es dann tatsächlich nicht weit zum Vorwurf einer sogenannten Formalästhetik, wie Eggebrecht ihn denn auch gleich an das Zitat anschließt: "Auch die Empfindungen als Affekte sind bloßer Stoff (Materie), und dementsprechend ist es bei Kant die Form (als ‚mathematische') allein, nicht etwa auch die Gemütsbewegung (also ein gehaltliches Moment), die die Musik als schön erscheinen läßt." 9 Um es auf eine verkürzende Polarität zu bringen: Form wird hier gegen Gehalt gestellt, oder auch: Mathematik gegen Gemüt. Aber wir müssen den Zusammenhang bei Kant ausführlicher lesen. Denn dort geht es noch weiter: "Doch in aller schönen Kunst besteht das Wesentliche in der Form, welche für die Beobachtung und Beurteilung zweckmäßig ist, wo die Lust zugleich Kultur ist und den Geist zu Ideen stimmt, mithin ihn mehrerer solcher Lust und Unterhaltung empfänglich macht; nicht in der Materie der Empfindung (dem Reize oder der Rührung), wo es bloß auf Genuß angelegt ist, welcher nichts in der Idee zurückläßt, den Geist stumpf, den Gegenstand nach und nach anekelnd, und das Gemüt, durch das Bewußtsein seiner im Urteile der Vernunft zweckwidrigen Stimmung, mit sich selbst unzufrieden und launisch macht." 10 Im Folgenden wird es darum gehen, zum Verständnis dieses Satzes einige Argumente beizutragen, Argumente, die insbesondere die Musik betreffen. Allerdings geht es mir dabei nicht um die Darstellung einer Musikästhetik Kants, sondern um grundsätzliche Momente seiner Systematik, aus denen heraus sich gerade heute wichtige Anregungen für eine ästhetische Auseinandersetzung mit Musik gewinnen lassen. Ich werde mich also nicht mit Kants Äußerungen über die Musik auseinandersetzen. Dabei geht es gar nicht um die immer wiederholten Vorwürfe, daß Kant unmusikalische gewesen sei. Stephan Nachtsheim hat dies mit erfreulicher Deutlichkeit klargestellt. Kant war durchaus ein aufmerksamer Beobachter in musikalischen Dingen und hat Musik sogar geliebt. 11 Allerdings war er kein Kenner, sondern stützte sich auf den Rat musikalischer Fachleute, unter denen allerdings kein geringerer war als Johann Friedrich Reichardt. 12 Da es Kant in