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Glücksspiele und der Ernst des Lebens - Fortuna in Aktion

2002

Abstract

Glücksspiele und der Ernst des Lebens-Fortuna in Aktion 1 "Glück ist Talent für das Schicksal" behauptete einst Novalis. Für diejenigen Menschen, die ein solches Talent beweisen, hält die englische Sprache den Begriff "luck" bereit, mit dem das glücklich gemeisterte Schicksal betont wird. "Glück gehabt" sagt man in diesem Sinne im Deutschen z.B. dann, wenn etwas gut geht, das genauso gut oder sogar eher hätte schief gehen können: Die Tasse fällt herunter und zerbricht nicht, der Unsportliche trifft mit dem Ball ins Tor, man gewinnt im Lotto. Im Gegensatz dazu benennt der englische Begriff "happiness" den Gefühlszustand des Glücklich-Seins, der ersichtlich nicht immer mit "Glückhaben" in einer positiven Beziehung steht (Kafsack 2001). In diesem Beitrag geht es um eine Untersuchung des Glücksspiels, das im Rahmen dieser Unterscheidung von glücklich sein/Glück haben-eudimonia/eutychia, bonheur/fortune oder eben happiness/luck-in den Bereich der Fortuna gehört, der Göttin des Schicksals, die ihre Gaben willkürlich und planlos verteilt. 2 Diese Gaben sind für die Menschen nicht vorhersehbar und treffen sie-als Glück oder Unglück-schicksalhaft. Im Mittelpunkt unserer Überlegungen steht die Frage, weshalb Akteure freiwillig 3 in ihrem Handeln den Regeln des Glücksspiels folgen, sich also ohne Zwang dem Schicksal hingeben, statt zu versuchen, das eigene Geschick soweit wie möglich durch überlegte Entscheidungen zu steuern. Im Hintergrund dieser Fragestellung steht die Annahme, dass "gerade das reine Glücksspiel auf seine Art [erlaubt], die Bedeutung des Zufalls im Leben und Denken einer Gesellschaft zu erkennen." (Addor 1993: 77) Typen individueller Entscheidungen "Jetzt beginnt der Ernst des Lebens", sagen viele Eltern ihren gerade eingeschulten Kindern und meinen damit, dass diese mit Schulbeginn einsetzende Ernsthaftigkeit prinzipiell nun das weitere Leben bestimmt. Und in der Tat erhalten die Entscheidungen des Einzelnen fortan immer mehr biografisches Gewicht: die Wahl der weiterführenden Schule, der Ausbildung (welches Studienfach wählen?), die Partnerwahl, Familie ja oder nein?, welchen Beruf ergreifen?, die Karriereplanung, wie sich auf das höhere Alter vorbereiten und was tun, wenn man dann das so genannte Berufsleben hinter sich gelassen hat? Diese und viele andere Entscheidungen, die fast alle Menschen heutzutage treffen müssen, stehen beispielhaft für das, was man als Ernst des Lebens bezeichnen könnte. Kein Wunder, dass dafür oft der Arbeitsbegriff herhalten muss! So gibt etwa Dieter Wellershoff (1985) seinen biografischen Uwe Schimank/Thomas Kron 2 Reflexionen den Titel: "Die Arbeit des Lebens"; und Günter Voß (1991) schlägt eine soziologische Forschungsperspektive auf "Lebensführung als Arbeit" vor. Dass im Leben eine Menge ernsthafter Entscheidungen getroffen werden müssen, bedeutet jedoch nicht, dass die Ernsthaftigkeit nicht wenigstens zeitweise außer Kraft gesetzt wird. Man begibt sich dann etwa in die Freizeit. Auch dort fallen Entscheidungen an, z.B.: Wie verbringe ich das Wochenende? Doch diese Entscheidungen sind offenkundig nicht von dem gleichen biografischen Gewicht wie die eben genannten ernsthaften Entscheidungen. Diese Zeit könnte man in Abgrenzung zum Ernst des Lebens auch Auszeit nennen (Goffman 1971; Lyman/Scott 1970). Unabhängig davon, ob der Ernst des Lebens oder eine Auszeit ansteht, ist der Modus der Entscheidungsfindung: Auf der einen Seite gibt es Handlungswahlen, die durch Zufall entschieden werden-etwa durch Losen. Auf der anderen Seite finden sich Entscheidungen, die durch Rationalität zu Stande kommen, also in bewusster Kosten-Nutzen-Abwägung verschiedener Alternativen auf der Basis vorhandenen Wissens und im Rahmen von Zeitknappheit. 4 Diese Modi gelten für beide Bereiche, für den Ernst des Lebens sowie für die Auszeit. Abbildung: Typen individueller Entscheidungssituationen Damit ist eine zweidimensionale Typologie von individuellen Entscheidungen umrissen. Jedes der vier Felder dieser Typologie bezeichnet einen möglichen Handlungsraum, in dem sich die Akteure in alltäglichen und biografischen Entscheidungssituationen befinden können.