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Typen ritueller Erfahrung

1998, Ritualtheorien

Abstract

Es gibt viele verschiedene Arten von Ritualen und bisher hat noch niemand eine allgemein befriedigende Einteilung geschaffen. Es gibt einige grobe Unterschiede, die gebräuchlich sind: Übergangsrituale/J ahreszeiten-Rituale, Intensifikationsritua-lelRebellionsrituale, religiöse Rituale/profane (oder säkulare) Rituale. Auch diese minimale Kategorisierung ist verwirrend und problematisch. Die Begriffe werden teils unterschiedlich verwendet, teils willkürlich gesetzt, zumal ein gegebenes Ritual möglicherweise den Kriterien verschiedener Typen entspricht. Die Unterscheidung wird dann aber gänzlich hinfiillig, wenn die Daten interkulturell und interreligiös sind. Nichtsdestotrotz sehen sich Ritualforscher mit der Notwendigkeit konfrontiert, der grossen Verschiedenheit von Typen und Schattierungen im Blick auf Rituale Rechnung zu tragen. Es macht nur wenig Sinn, die ganze Spannbreite unter den Begriff "Ritual" zu subsumieren, den ich als umfassenden und weitreichenden Oberbegriff, andere Begriffe aber als Unterbegriffe verwende. Ich schlage vor, mit der Unterscheidung von sechs Typen ritueller Erfahrung wie sie in Tabelle 1 dargestellt sind, zu beginnen. Es handelt sich dabei nicht sosehr um Ritual-Typen, als vielmehr um Erfahrungen oder körperbezogene Haltungen, wie sie im Laufe eines Rituals entstehen können. Wenn eine unter ihnen dominiert, können wir natürlich von einem Typus sprechen, z.B. dem Anstandsregel-Ritual. Tabelle J: Ritualtypen (vereinfachte Version) 1. Ritualisierung (körperlich, ökologisch) 2. Anstandsregel (interpersonal, formal) 3. Zeremonie (zwischen Gruppen, politisch) 4. Magie (technologisch, kausal, Zweck-Mittel orientiert) 5. Liturgie (religiös, sakral) 6. Feier (spielerisch, theatralisch, ästhetisch) Ritualisierung Normalerweise sprechen wir auf eine viel zu hochtrabende Art vom Ritual, indem wir es in Verbindung bringen mit Letztgültigem, Heiligkeit, Ehrfurcht, Opfer oder Ewigkeit. Folge daraus ist, dass wir uns unbewusst von unserem eigenen Körper, unserer eigenen Präsenz und unserer eigenen Alltäglichkeit distanzieren. Als Grundlage rur die Untersuchung von Ritualen führt diese Ausgangsdisposition zu einer anmassenden Ritualforschung und körperfremden Liturgien. Das Ritual beginnt aber, so könnten wir sagen, viel eher mit einer Ritualisierung, gerade so wie ein Theaterstück mit einem Stück alltäglichen Lebens beginnt. 119 A. Belliger et al. (eds.