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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8487-4027-7 (Print) ISBN 978-3-8452-8309-8 (ePDF) 1.
… in Räumen begrenzter Staatlichkeit, Baden-Baden, 2007
Erschienen in: HERBST, Theorie zur Praxis Steirischer Herbst, 2007
PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, 1996
This paper addresses the conceptual challenge to citizenship in the aftem1ath of Maastricht and discusses citizenship in a non-state. lt argues that Union citizenship will not only lead to debates over the application of the citizenship provisions in the EU Member States, but it will also remain a subject of continuous political tension over rights to participation. The paper advances a socially constructive perspective on citizenship as a contextualised practice which entails the construction of rights, access and belonging as the historical elements of citizenship.
Georg Zenkert (Heidelberg) Der Nationalstaat und seine Verfassung Eine denkwürdige Kluft tut sich auf zwischen der öffentlichen und wissenschaftlichen Wahrnehmung des Nationalstaates und seiner tatsächlichen politischen Bedeutung. Während er zunehmend skeptisch betrachtet wird und als obsolet, gar als kaum mehr existent gilt, spielt sich das politische Leben wie selbstverständlich in seinen Organisationsformen ab. Überall dort, wo gegenwärtig einigermaßen geordnete politische Verhältnisse herrschen, prägen nationalstaatliche Strukturen die politische Welt. Die Völkerschaften des implodierten Sowjetreiches und seiner Vasallen scheinen kein dringenderes Bedürfnis zu kennen als die Etablierung eines Nationalstaates, ganz zu schweigen von den Ländern der Dritten Welt, die um diesen Status ringen. Dieses Missverhältnis zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit des Nationalstaates ist nicht leicht aufzulösen. Ein Faktor ist indessen das Unbehagen, das der Begriff der Nation bereitet. Er genießt keine besondere Reputation in der Theoriebildung und war bekanntlich besonderen historischen Belastungen ausgesetzt. Die ideologische Inanspruchnahme des Nationalen im Sinne eines chauvinistischen Nationalismus liegt wie ein Schatten über seiner Geschichte, die doch insgesamt eine Erfolgsgeschichte ist, wenn man in Rechnung stellt, dass der moderne liberale und demokratische Staat sich historisch als Nationalstaat realisiert hat. Die Suspension des Staates Eine sachliche Auseinandersetzung über den Begriff des Nationalen wird dadurch erschwert, dass keine sinnfällige Definition desselben vorliegt; ja es herrscht die Auffassung, dass eine solche Begriffsbestimmung nicht möglich sei. Häufig sind die Definitionsversuche, sofern sie doch unternommen werden, zirkulär in dem Sinne, dass als Nation diejenige Gemeinschaft gilt, die sich selbst als Nation versteht. 1 Diese Schwierigkeiten sind nicht nur damit bedingt, dass der Begriff der Nation, wie alle politischen Begriffe, historischem Wandel unterliegt und demgemäss relativ vage bleiben muss. Es ist vielmehr die Idee des Nationalen selbst, die eine ganz eigene Prägung verkörpert. Nicht zufällig gilt sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Inbegriff des Individuellen, dessen also, was sich per definitionem jeder Definition entzieht. Dennoch ist nicht zu bestreiten, dass die Nation eine Form der Einigung darstellt, deren Charakter freilich strittig ist. Die Geschichtswissenschaft und die Verfassungstheorie kennen die Nation als ein autonomes Volk, das als politisches Subjekt handelt. 2 Indem aber die Selbstbestimmung des Volkes ins Zentrum gesetzt wird, erweist sich die Unbestimmtheit des Begriffs als Methode: Die Nation bestimmt selbst die Merkmale, die sie bestimmen. 3 Diese Feststellung ist zu unspezifisch, um auch nur als Bestandteil einer Definition dienen zu können, doch bringt sie die reflexive Struktur zum Ausdruck, die politischen Organisationen grundsätzlich eigen ist. Politische Verhältnisse sind insbesondere diejenigen, in denen die Gestaltung der fundmentalen Lebensverhältnisse zum Gegenstand der Verständigung und der Auseinandersetzungen wird. Das bedeutet für den Begriff der Nation, dass es keine genuin nationalen Kennzeichen gibt wie Rasse, Sprache, Religion, Sitten und geographische Lage des Territoriums, um nur die Kategorien zu nennen, die -abgesehen von der politischen Einheit selbst -seit Herodot als Bedingungen politischer Organisation erwogen werden. Auch die Herkunft oder das gemeinsame Schicksal, das im Zeitalter des Historismus häufig als Anhaltspunkt beschworen wird, bieten kein Fundament nationaler Einheit, es sei denn, dass diese geschichtlichen Mächte als solche angenommen und bekräftigt werden. Es stellt deshalb keine Entscheidung für einen sogenannten voluntaristischen Nationbegriff dar, wenn man mit Ernest Renan die Nation als eine Willensgemeinschaft begreift, die sich in der Beziehung auf eine Vergangenheit konstituiert: "Eine Nation ist eine Seele, ein geistiges Prinzip. Zwei Dinge, die in Wahrheit nur eins sind, machen diese Seele, dieses geistige Prinzip aus. Eines davon gehört der Vergangenheit an, das andere der Gegenwart. Das eine ist der gemeinsame Besitz eines reichen Erbes an Erinnerungen, das andere das gegenwärtige Einvernehmen, der Wunsch zusammenzuleben, der Wille, das Erbe hochzuhalten, welches man ungeteilt empfangen hat." 4 Auch die sogenannte Kulturnation, ein Typus, der bisweilen der Willensnation entgegengesetzt wird, ist nicht auf ein schlichtes Faktum gegründet, sondern stellt das Ergebnis einer Aneignung und Deutung gemeinsamer kultureller Traditionen, nicht die zwingende Folge vermeintlich substantieller Wesenheiten eines Volkes dar. 5 Damit ist der Nationbegriff unvermeidlich einer steten Kontroverse ausgesetzt, bedingt durch die Notwendigkeit, die gemeinsame Herkunft im Blick auf eine intendierte Zukunft zu interpretieren, um daraus die Stabilität und Dynamik zu gewinnen, die eine politische Organisation tragen kann. Nicht nur die Skepsis gegenüber der Semantik des Nationalen, sondern der grundlegende Zweifel an der Existenz des klassischen Staates lässt den Nationalstaat in der heutigen Diskussion als unzeitgemäß erscheinen. Während die politische Eschatologie vor allem marxistischer Couleur schon immer das Ende des Staates ankündigte, scheint dieses inzwischen Realität geworden zu sein. Der moderne Staat, so wird festgestellt, "existiert nicht mehr". 6 Diese Diagnosen stützen sich meist auf die These, dass der Staat angesichts der internationalen Verflechtungen und der wachsenden Bedeutung supranationaler Organisationen seine Souveränität eingebüßt hat. Souveränität bedeutet indessen nicht, wie oft unterstellt, die unbeschränkte Handlungsfreiheit des politischen Verbandes, -eine solche Freiheit ist historisch unrealistisch und hat es nie gegebensondern im strengen Sinne die uneingeschränkte Herrschaft über die Staatsbürger. Dies schließt
Arsp Archiv Fur Rechts Und Sozialphilosophie, 2007
Der Nationalstaat und seine Verfassung Eine denkwürdige Kluft tut sich auf zwischen der öffentlichen und wissenschaftlichen Wahrnehmung des Nationalstaates und seiner tatsächlichen politischen Bedeutung. Während er zunehmend skeptisch betrachtet wird und als obsolet, gar als kaum mehr existent gilt, spielt sich das politische Leben wie selbstverständlich in seinen Organisationsformen ab. Überall dort, wo gegenwärtig einigermaßen geordnete politische Verhältnisse herrschen, prägen nationalstaatliche Strukturen die politische Welt. Die Völkerschaften des implodierten Sowjetreiches und seiner Vasallen scheinen kein dringenderes Bedürfnis zu kennen als die Etablierung eines Nationalstaates, ganz zu schweigen von den Ländern der Dritten Welt, die um diesen Status ringen. Dieses Missverhältnis zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit des Nationalstaates ist nicht leicht aufzulösen. Ein Faktor ist indessen das Unbehagen, das der Begriff der Nation bereitet. Er genießt keine besondere Reputation in der Theoriebildung und war bekanntlich besonderen historischen Belastungen ausgesetzt. Die ideologische Inanspruchnahme des Nationalen im Sinne eines chauvinistischen Nationalismus liegt wie ein Schatten über seiner Geschichte, die doch insgesamt eine Erfolgsgeschichte ist, wenn man in Rechnung stellt, dass der moderne liberale und demokratische Staat sich historisch als Nationalstaat realisiert hat. Die Suspension des Staates Eine sachliche Auseinandersetzung über den Begriff des Nationalen wird dadurch erschwert, dass keine sinnfällige Definition desselben vorliegt; ja es herrscht die Auffassung, dass eine solche Begriffsbestimmung nicht möglich sei. Häufig sind die Definitionsversuche, sofern sie doch unternommen werden, zirkulär in dem Sinne, dass als Nation diejenige Gemeinschaft gilt, die sich selbst als Nation versteht. 1 Diese Schwierigkeiten sind nicht nur damit bedingt, dass der Begriff der Nation, wie alle politischen Begriffe, historischem Wandel unterliegt und demgemäss relativ vage bleiben muss. Es ist vielmehr die Idee des Nationalen selbst, die eine ganz eigene Prägung verkörpert. Nicht zufällig gilt sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Inbegriff des Individuellen, dessen also, was sich per definitionem jeder Definition entzieht. Dennoch ist nicht zu bestreiten, dass die Nation eine Form der Einigung darstellt, deren Charakter freilich strittig ist. Die Geschichtswissenschaft und die Verfassungstheorie kennen die Nation als ein autonomes Volk, das als politisches Subjekt handelt. 2 Indem aber die Selbstbestimmung des Volkes ins Zentrum gesetzt wird, erweist sich die Unbestimmtheit des Begriffs als Methode: Die Nation bestimmt selbst die Merkmale, die sie bestimmen. 3 Diese Feststellung ist zu
Magisterarbeit LLM München 2015
Rekonstruktion des Imaginären 1. Der ideologische Konsens der Demokratie Können wir uns heute eine Politik vorstellen, die nicht auf den Staat fixiert ist? Ein nichtetatistisches Imaginäres? Eine Politik, die die Demokratie nicht als Staat denkt? Im Gefolge einer bestimmten postmodernen Perspektive auf die westlichen Staaten mochte sich nach dem Ende des Realsozialismus der paradoxe Eindruck eines langsamen Absterbens des Staates überhaupt einstellen -im Zuge der Privatisierung und Globalisierung. Michael Hardt und Antonio Negri haben das eigentümliche Ergebnis einer solchen Perspektive auf den Punkt gebracht: »Aus diesem Blickwinkel betrachtet, stellt die Postmoderne eine merkwürdige und unerwartete Wiederholung der traditionellen marxistischen Vision dar, insofern sie das Absterben des Staats in der Gesellschaft des voll entwickelten Kapitalismus, oder besser die zivile Gesellschaft zu einer befriedeten politischen Form sich transformieren sieht.« 1 Am Ende dieser Entwicklung ist die Gesellschaft in einen Zustand des Konsenses übergegangen: »Demokratie ist realisiert, Geschichte beendet.« 2 Diese These vom Ende der Geschichte ist auch als diejenige Fukuyamas bekannt geworden. Eine Geschichte der fröhlichen Utopie der 90er Jahre, die nach dem Mauerfall begann und die einen doppelten Tod sterben musste, wie Slavoj Žižek festhält: einmal mit den Ereignissen vom 11. September 2001, ein weiteres Mal in der Finanzkrise 2008. 3 Nichtsdestotrotz, so ebenfalls Žižek, bleiben die meisten von uns der Fukuyama-Version treu -wir glauben, dass die Demokratie die Quintessenz der politischen Systeme darstellt, die bestmögliche Option. 4 Demokratie hat sich, mit Alain Badiou gesprochen, zu dem unhintergehbaren Emblem unserer politischen Diskussion entwickelt: »Ein Emblem ist das Unantastbare eines Symbolsystems. Das heißt, Sie können über das politische System sagen, was Sie wollen, Sie können ihm gegenüber eine ›kritische‹ 1 Antonio Negri, Michael Hardt, Die Arbeit des Dionysos. Materialistische Staatskritik in der Postmoderne, aus dem Ital. und Engl. übers. von Thomas Atzert und Sabine Grimm, Berlin/Amsterdam 1997, S. 132. 2 Ebd. 3 Slavoj Žižek, First as Tragedy, then as Farce, London/New York 2009, S. 5. 4 Vgl. ebd., S. 88. Haltung von beispielloser Schärfe einnehmen und etwa den ›Terror der Ökonomie‹ verdammen -man wird es Ihnen nicht übelnehmen, solange Sie es nur im Namen der Demokratie tun [...].« 5 Wenn jedoch ›Demokratie‹ der unhintergehbare Konsens, der virtuelle Fixpunkt, der politischen Debatten geworden ist, dann wird man, so lässt sich Badiou folgen, dieses Emblem für einen Moment zur Seite stellen müssen, um an den tatsächlichen Kern, »an das Reale unserer Gesellschaften« heranzukommen. 6 »Man wird der Welt, in der wir leben, nur dann gerecht, wenn man das Wort ›Demokratie‹ einmal beiseite läßt und das Risiko eingeht, kein Demokrat zu sein und damit tatsächlich von ›aller Welt‹ mißbilligt zu werden. Denn ›alle Welt‹ ist -bei unsohne jenes Emblem nicht zu denken: ›Alle Welt‹ ist demokratisch. Man könnte dies das Axiom des Emblems nennen.« 7 Abgesehen von diesem Platz, den der Begriff Demokratie einnimmt, ist das Konzept der Demokratie heute selbst zu einer unsicheren Formel geworden. Zum einen ist nicht mehr sicher, dass die Demokratie eine Eigenschaft ist, die notwendigerweise mit der Liberalisierung der Märkte einhergeht. Slavoj Žižek hat vor allem im Hinblick auf die Entwicklungen in China darauf hingewiesen, dass sich hier die Aufkündigung einer historischen Koinzidenz anzeigt -China lässt sich als ein Signal für die Zukunft lesen, in der der Kapitalismus die Demokratie aus Effizienzgründen hinter sich lässt. 8 Zum anderen aber ist ›Demokratie‹ von Beginn an ein skandalöser Begriff -und zwar deshalb, weil ihm sein eigener Exzess innewohnt, der ihn jede ihm gegebene (Staats-)Form tendenziell übersteigen lässt. Vor allem Jacques Rancière hat diesen Aspekt der Demokratie herausgearbeitet, der sie als eine Kraft der Gleichheit erscheinen lässt, die die Ungleichheit der Zählungen und Verteilungen unterbricht. Als solche Kraft lässt sie sich nicht in eine Form übersetzen, lässt sie sich nicht ›verrechnen‹ und nicht in ein objektives Maß übertragen. Staatsformen können nach Rancière in diesem Sinn überhaupt nicht demokratisch sein: »Was meinen wir genau, wenn wir sagen, dass wir in Demokratien leben? Im strikten Sinne ist die Demokratie keine Staatsform. Sie liegt immer diesseits oder jenseits der 5 Alain Badiou, »Das demokratische Wahrzeichen«, übers. von Claudio Gutteck, in: Giorgio Agamben u.a. (Hg.), Demokratie? Eine Debatte, Frankfurt a. M. 2012, S. 13-22, hier: S. 13 (Übersetzung geändert). 6 Ebd. (Übersetzung geändert). 7 Ebd. (Übersetzung geändert). 8 Slavoj Žižek, Living in the End Times, London/New York 2010, S. 158. 2 Staatsformen. Sie liegt diesseits, insofern sie die notwendigerweise egalitäre und genauso notwendigerweise verdrängte Grundlage des oligarchischen Staats ist. Und jenseits, insofern sie die öffentliche Aktivität ist, die der Tendenz eines jeden Staates, die gemeinsame Sphäre zu beanspruchen und zu entpolitisieren, entgegenwirkt. Jeder Staat ist oligarchisch.« 9 Demokratie ist so im eigentlichen Sinn für Rancière der Streit, der die Politik ist. Sie bildet den verdrängten Grund des Staates, insofern der Staat letztlich darauf gründet, das Volk in die Verteilungen einzubeziehen. Und sie übersteigt diesen Staat, weil das gezählte Volk immer eine grundsätzliche Verrechnung, eine falsche Rechnung ist, weil das Volk nie einfach das Volk ist, sondern ein unberechenbarer Begriff. 10 Rancières Wette zielt auf die Wiederbelebung der Strittigkeit der Demokratie, gerade als Kritik des konsensuellen Verständnisses der Demokratie als Staatsform. Die Demokratie als Staatsform wiederum kennt natürlich noch einen anderen klassischen Gegner. Badiou hat darauf hingewiesen, dass Lenin auf den Vorwurf, nicht demokratisch vorzugehen, zwei Antworten gegeben hat. Einerseits lässt sich eine bourgeoise von einer proletarischen Demokratie unterscheiden, zum anderen jedoch muss unter Demokratie letztlich immer eine Form des Staats verstanden werden. 11 Dem gegenüber steht das, was Badiou den ›generischen Kommunismus‹ nennt, ein Kommunismus, der gerade das Absterben des Staates, das Absterben der Kluft zwischen Repräsentation und Präsentation, zum Ziel hat. Was Rancière als den Streit der Demokratie denkt und was Badiou als ›generischen Kommunismus‹ mit Lenin (aber in einer neuen Bedeutung) der Demokratie entgegenstellt, lässt sich so zumindest in der Gemeinsamkeit einer Abgrenzung zusammenführen: in der Distanz zur demokratischen Staatsform. Die demokratische Staatsform ist jedoch nun andererseits nach dem Ende der realsozialistischen Staaten der allgemeingültige Horizont. Für eine emanzipatorische Politik, die nicht mehr mit Lenin den Kommunismus gegen den demokratischen Staat stellen kann und die aus der Unsicherheit heraus agiert, welche Prozedur es sein könnte, die den Namen ›generischer Kommunismus‹ heute verdienen würde, besteht »the real dilemma«, wie Žižek 9 Jacques Rancière, Der Hass der Demokratie, aus dem Frz. übers. von Maria Muhle, Berlin 2011, S. 87. 10 Dieses Grundargument entwickelt Rancière vor allem in seinem Buch Das Unvernehmen, in dem die notwendige Fehlrechnung zwischen den Teilen einer Gesellschaft und den Anteilen, die diesen vom Gemeinsamen zukommen sollen, an der Frage des Volks ersichtlich wird: In der antiken Konzeption ist das Volk derjenige Teil der Gesellschaft, der zugleich alle Teile ist, dem jedoch kein eigener Anteil -Tugend, Reichtumentspricht. Vgl. Jacques Rancière, Das Unvernehmen. Politik und Philosophie, aus dem Frz. von Richard Steurer, Frankfurt a. M. 2002. 11 Alain Badiou, Über Metapolitik, aus dem Frz. u. Engl. übers. von Heinz Jatho, Zürich/Berlin 2003, S. 92. formuliert, darin herauszufinden »what to do with -how the Left is to relate to -the predominant liberal democratic imaginary«. 12 Im Kern zirkuliert dieses liberale Imaginäre zunächst um den Glauben an den Markt, während seine Verknüpfung mit der Frage des Staats undeutlich ist. Mit dem Markt jedoch scheint das Schicksal der Demokratie verbunden, und zwar über das Prinzip des Austausches. Jean-Luc Nancy hat diese Verknüpfung im »Kapitalismus« als »Produkt einer Zivilisationsentscheidung« verankert, die den Wert »in der Gleichwertigkeit«, im Prinzip des Äquivalents ansiedelt. 13 Die kapitalistisch präformierte Demokratie zielt auf den gleichwertigen Austausch, die dem Prinzip einer allgemeinen Äquivalenz folgt, und die derart hergestellte Gleichwertigkeit ist eine Gleichheit des Werts der warenförmig austauschbaren Produkte. Nancys Argument hat eine neue Ungleichwertigkeit im Blick -das wäre die Wahrheit der Demokratie -, die es einzuführen gelte, und die zuallererst die Demokratie beträfe: die gerade nicht einfach eine (Staats-)Form unter anderen wäre. 14 Die Ungleichwertigkeit gälte einer anderen Gleichheit als derjenigen des Liberalismus, indem sie die Gleichheit aller als absolut unvergleichlicher aufzeigt: ausgehend von dem »unvergleichliche[n] Wert[...]« 15 eines jeden, der sich jeder Identifizierung über Eigenschaften und der damit einhergehenden Vergleichbarkeit entzieht. Im Prinzip der allgemeinen Gleichwertigkeit noch des Gleichen und des Ungleichen hingegen zeigt sich das liberale Imaginäre als ein Glaube an eine allgemeine Methode, die zugleich jene des Marktes ist. Eine Methode, die sich gerade in dieser Allgemeinheit als utopisches Projekt verrät: »[T]he neutral reference to the necessities of the market economy, usually invoked in order to categorize grand ideological projects as unrealistic utopias, is itself to be inserted into the series of great modern utopian projects. That is to say -as Fredric Jameson has pointed out -what characterizes utopia is not a belief in the essential goodness of human nature, or some similar naive notion, but, rather, belief in some global mechanism which, applied...
Verfassungstaaten in einer globalisierten Welt, 2019
Verfassungsstaaten in einer globalisierten Welt Zusammenfassung: Die Idee des Konstitutionalismus und die hiermit verbundenen verfassungsstaatszentrierten Legitimationsstrategien werden in einer globalisierten Welt grundsätzlich in Frage gestellt. Der demokratische Verfassungsstaat beschreibt dabei nicht eine beliebige juristische Ordnungsfigur von Gesellschaft, sondern bezieht seinen Geltungsanspruch gerade in globalen Zusammenhängen aus einem vormals konsentierten und selten hinterfragten Legitimitätskonstrukt. Wird nun ein neben dem staatlich produzierten aber ähnlich wirkendes Recht konstatiert, so muss der Konstitutionalismus grundsätzlich als Rechtfertigungsressource moderner Staatlichkeit untersucht werden. Damit wird die vormals unhinterfragte Verklammerung von tradierten Legitimationsstrategien staatszentrierter Herrschaft aufgelöst und der Konstitutionalismus kann als eine Variante politischer Legitimationszuschreibungen neu betrachtet werden. Dieser Spannungsbogen zwischen konstitutionalistischen und pluralistischen (Rechts)Theorien soll hier systematisch vor seinem metatheoretischen Hintergrund diskutiert werden, der die beschriebene Problematik unter neuem Vorzeichen zu sehen erlaubt.
Politische Vierteljahresschrift, 2005
Bundeskanzler Gerhard Schröder hat eine vorzeitige Neuwahl zum 18. September 2005 herbeigeführt. Mit einem Appell ans Volk wollte er seine Handlungsfähigkeit als Regierungschef nach einer Reihe verlorener Landtagswahlen wieder herstellen. "Handlungsfähigkeit bedeutet, dass der Bundeskanzler mit politischem Gestaltungswillen die Richtung der Politik bestimmt und hierfür auch eine Mehrheit der Abgeordneten hinter sich weiß." So die Definition des Bundesverfassungsgerichts in den Leitsätzen zum Urteil des zweiten Senats vom 25. August 2005 (2BvE 4/05). Mit dieser Entscheidung prüfte das Gericht, ob der für die Auflösung des Bundestags gewählte Weg -eine Vertrauensfrage mit der Absicht gestellt, die notwendige absolute Mehrheit zu verfehlenverfassungsgemäß war. Es befand: Er war es. Es waren nicht nur die formellen Voraussetzungen erfüllt, sondern auch der Zweck des Art. 68 GG. "Das Grundgesetz erstrebt mit Art. 63, Art. 67 und Art. 68 eine handlungsfähige Regierung" (2BvE 4/05). Dem ersten Anschein nach hat der deutsche Wähler das Gegenteil einer handlungsfähigen Regierung herbeigeführt: Viele Koalitionsmöglichkeiten von Parteien, die programmatisch weit auseinander liegen. Und einen Kanzler, der sich in der Wahlnacht einer staunenden Öffentlichkeit -außerhalb seiner eigenen Partei -als Gewinner präsentiert: Egal, wie das Wahlergebnis lautet, das Volk will mich als Kanzler. Dabei hatte Gerhard Schröder die Mehrheit für seine Regierung gerade verloren, aber immerhin eine gegnerische Mehrheit verhindert. Ein Blick über Deutschlands Grenzen hinaus zeigt, dass Premierminister vorzeitige Neuwahlen auch mit klarerer politisch-inhaltlicher Zielsetzung herbeiführen und damit beim Wähler Erfolg haben können. Am 5. Juli 2005 gewinnt der japanische Premier Koizumi eine knappe Mehrheit im Unterhaus für seinen Gesetzentwurf zur Privatisierung der Post; allerdings stimmen 37 Abgeordnete seiner eigenen Partei gegen das Gesetz. Am 8. August unterliegt der Gesetzentwurf knapp im Oberhaus wegen der Gegenstimmen aus der Regierungsmehrheit. Am selben Tag wird das Unterhaus aufgelöst, der Wahlkampf beginnt mit der offiziellen Registrierung der Kandidaten am 30. Au-
Jungle World | Dschungel, 2019
Der Staatstheoretiker Otto Kirchheimer gehörte zum Horkheimer-Kreis. In seinen Schriften spiegeln sich die Konflikte und Erfahrungen der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus, des amerikanischen Exils sowie der beiden deutschen Staaten.
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Zeitschrift für Politik, 2019
Einführung in die Landeskunde Frankreichs, 2011
Vernachlässigtes Verfassungsrecht, 2023
Politik und Kultur im föderativen Staat 1949 bis 1973, 2004