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Ziel der Arbeit: die (kosmopolitischen) Verpflichtungen des Staates bzw. Aufnahmelandes gegenüber Flüchtlingen und Asylsuchenden zu bestimmen sowie die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union im Hinblick auf diese Kriterien zu analysieren. Fragestellung: Sind die Staaten verpflichtet, den Flüchtlingen zu helfen? Aus welchen Gründen sind sie verpflichtet, Flüchtlinge aufzunehmen? Was für Verpflichtungen gegenüber Flüchtlingen und Asylsuchenden gibt es? Rechtlich? Moralisch? Erfüllt die Europäische Union ihre Verpflichtungen gegenüber Flüchtlingen?
Europa ist ein Projekt der Migration, hervorgerufen und fortgeschrieben durch die ständige Herausforderung ihrer grenzüberschreitenden Bewegungen. Das zeigt sich in der Geschichte Europas, die erst mit der kolonialen Expansion über den Atlantik, den vielen dadurch hervorgerufenen -und erzwungenen -Mobilitäten ihre heutige hegemoniale Gestalt angenommen hat . Und es zeigt sich in der Gegenwart, in der diese Hegemonie (West-)Europas durch die Präsenz der postkolonialen, der post-sozialistischen und der mediterranen Migration längst in Frage gestellt und transformiert wird. So erweist sich Migration gerade heute als treibende Kraft der (Um-)Gestaltung Europas: Sie betreibt die innere Globalisierung, und damit die »Kosmopolitisierung« (Beck/Sznaider 2006, 7ff), der national verfassten europäischen Gesellschaften.
Internationale Gerechtigkeit und institutionelle Verantwortung, 2019
Die Globalisierung hat die Welt verändert.Wirtschaftliche, kommunikative,k ulturelle und politische Beziehungsgeflechte, die über Grenzen hinweggehen, haben sich verdichtet und ein bisher nochnie da gewesenes Ausmaß angenommen. Die Globalisierung hat Gesellschaften, Konflikte, Institutionen, Organisationen, Verfahren, Ungleichheitslagen, Klassen, Diskurse und Rechtsverhältnisse verändert.D ie treibenden Kräfte sind früher wie heute sowohl technologische Entwicklungena ls auch das ökonomische Profitstreben. Gleichwohl haben auch politische Entscheidungeneine richtungsweisende Rolle gespielt.Die wichtigsten sind die ‚neoliberale Revolution' Ende der 1970er und Anfang der 1980erJ ahre ausgehendv on Thatcher und Reagan, der Washington Consensus von1 989/90, der eine Art Kodifizierung der Globalisierung hervorgebracht hat,d as Forcieren und Etablierenvon internationalen Institutionen und der regionalen Integration in den 1990ern, die kapitalistische Öffnung ehemaliger sozialistischer Staaten und der ‚Dritte Weg',d en die US-Demokraten und die meisten sozialdemokratischen Parteien in West-u nd Osteuropa um die Jahrtausendwende einschlugen. In diesem Zusammenhang gilt es vorallem zwei Konsequenzen hervorzuheben, welche die Veränderungen der Verhältnisse sozioökonomischer Ungleichheit mit sich gebracht haben. Einerseits hat die sozioökonomische Ungleichheit innerhalb der meisten OECD-Staaten, insbesondere den USAu nd des UK, erneut zugenommen (Stiglitz 2012; Merkel 2014; Piketty 2014). Andererseits hat sich die globale Ungleichheit aufgrund einer wachsendeng lobalen Mittelklasse, die insbesondere ausC hina und anderen asiatischen Ländern stammt,verringert (Milanovic 2016). Diese Entwicklungenh aben auch das globale Macht-u nd Kräftegleichgewicht verändert.E ntscheidend dafür ist das anhaltend starke Wirtschaftswachstum der aufstrebenden Mächte wie China und Indien. Zudem kam es in den letzten Jahrzehnten zum Erstarken politischer Institutionen jenseits der Nationalstaaten, die eine Neuverteilungp olitischer Machtverhältnisse nach sich zogen(Zürn 2018). Vordem Hintergrund dieser Verschiebungen begreifen wir Globalisierung als eine soziale Revolution, die dasselbe Potenzial birgt,n eue Konfliktlinien zu schaffen, wiedie anderen sozialen Revolutionen der westlichen Welt in der Vergangenheit.Umd ie Genese und den Wandel der Konfliktlinien sowohl aufn ationalstaatlicher als auch aufg lobaler Ebene genauer zu untersuchen, konzentrieren wir uns aufvierFragen: OpenAccess. ©2 019 Wolfgang Merkel und Michael Zürn, publiziertv on De Gruyter. Dieses Werk ist lizenziertu nter der Creative Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike 4.0 Lizenz.
Kritische Justiz (KJ), 2015
Das Verhältnis des Flüchtlingsbegriffs zum Recht ist ein komplexes. Bereits die Regulierung territorialer Grenzen steht in Verbindung zum Begriff des Flüchtlings, insofern sie die Bezeichnung als normativ relevante hervorbringt. Dabei steht der Flüchtling für die Ausnahme von der willkürlichen staatlichen Entscheidung über Zugang zum Territorium. Zugleich folgt die rechtliche Festlegung von Kriterien, wer als Flüchtling gelten kann, wiederum der nationalstaatlichen Logik. Das daraus resultierende demokratische Paradox zeigt sich in zahlreichen Konstellationen, in denen die von staatlichen Entscheidungen Betroffenen keine Möglichkeit besitzen, die Prinzipien und Kriterien dieser Entscheidungen in Frage zu stellen. Der Flüchtlingsbegriff wirkt also in beide Richtungen: Einerseits zeigt er die Notwendigkeit an, einer Kategorie der Ausnahme zu genügen, um Grenzen zu passieren. Andererseits schafft er eben mit dieser Ausnahme eine der Logik des Nationalstaates zuwiderlaufende Kategorie. Diese beiden Seiten sehen wir in den Forderungen, ob und wie der Flüchtlingsbegriff verwendet werden solle, gespiegelt: Teilweise wird unter Hinweis auf die affirmative Seite des Begriffs gefordert, diesen zu vermeiden.84 Andererseits wird auf seine kosmopolitische Dimension und auf die Notwendigkeit verwiesen, diese im Lichte konkreter Herausforderungen zu aktualisieren.85 Ohne dabei einer Seite zuzustimmen, können wir diese Auseinandersetzungen über den Flüchtlingsbegriff als demokratische Iterationen verstehen. Für das Recht bedeuten diese demokratischen Iterationen vor allem, dass sie das Dilemma des Flüchtlingsschutzes sichtbar machen und so die Diskussion in wichtiger Weise verunsichern. Die Frage nach der Bedeutung des Flüchtlings für die nationalstaatliche Ordnung zeigt die historische Kontingenz rechtlicher Definitionen auf und stellt ihre Festlegung und Auslegung in ein anderes Licht der Rechtfertigungsbedürftigkeit. Neben der Frage nach den Rechten von Asylsuchenden und Flüchtlingen auf dem Territorium, die leichter Gegenstand von politischen Impulsen werden können, erlaubt es der Begriff des Flüchtlings es auch, den Zugang zum Territorium überhaupt als politische Frage zu formulieren.
Rechtlos, aber nicht ohne Stimme
WestEnd, 2024
Derrida seine kleine Schrift mit diesem Titel an den ersten Kongress der Städte der Zuflucht [villes refuges] in Straßburg. Die Initiative zu einem Netzwerk von Zufluchtsstädten kam vom internationalen Schriftstellerparlament, welchem Derrida angehörte. Als Städte der Zuflucht können Kommunen sich verpflichten, verfolgte Schriftsteller:innen aufzunehmen. 2 Beispiel und Leitfigur für den Vorschlag war Salman Rushdie, der aufgrund seines Buchs Die satanischen Verse 1989 durch eine Fatwa des damaligen Obersten Führers Irans Ruholla Chomeini zum Tod verurteilt worden war. Es war ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt und er befand sich seitdem auf der Flucht. Straßburg hatte symbolisch seine Aufnahme erklärt und unterstützte das dort begründete Netzwerk der Zufluchtsstädte. Derrida schreibt anlässlich der Gründung dieses Netzwerks von Zufluchtsstädten, aber es geht ihm um etwas Allgemeineres als nur um die Aufnahme von Schriftsteller:innen. Er fragt grundsätzlich nach der Idee des Kosmopolitismus und setzt sie in Verbindung mit der Tradition des Asyls. Von den biblischen Fluchtstädten kommt er zu der allgemeinen Idee der Gastfreundschaft [La Loi de l'hospitalité], welche immer wieder durch spezifische Gesetze begrenzt wird (Derrida 1997: 46). Derrida zitiert Hannah Arendt, die konstatiert hatte, dass diejenigen, die den Schutz ihres Staates verloren hatten, damit scheinbar auch aus jeglichem Schutz ihrer Rechte herausfielen. Und er greift Immanuel Kants Formulierung des weltbürgerlichen Rechts auf, als Recht des Fremden, nicht abgewiesen zu werden, wenn es seinen Untergang bedeuten würde. Derrida blickt dabei zugleich kritisch auf die Gegenwart: »In eben dem Moment, in dem wir vorgeben, die inneren Grenzen zu beseitigen, verschließen wir noch strenger die äußeren Grenzen dieser Europäischen Union«, schreibt er (ebd.: 34 f.). Und er fragt, wie die realen Gesetze [les lois] dem Gesetz [La Loi] der Gastfreundschaft 1 Der Originaltitel lautet: Cosmopolites de tous les pays, encore un effort ! Hier und im Weiteren wurden alle fremdsprachigen Zitate, soweit nicht anders angegeben, von der Autorin ins Deutsche übertragen [A. d. R.]. 2 Heute organisiert als ICORN, International Cities of Refuge Network, vgl. ‹www.icorn.org›.
David Ranan (ed.), Sprachgewalt: Missbrauchte Wörter und andere politische Kampfbegriffe, 2021
Seit gut fünfzehn Jahren sind Migration sowie Flüchtlings- und Asylpolitik zu genuinen Politikfeldern der Europäischen Union geworden. Wesentliche Regelungen über Zuwanderung und Schutzgewährung werden heute auf der Unionsebene getroffen. Damit ist die EU-Migrationspolitik ein interessantes Beispiel dafür, wie ein grenzüberschreitendes Phänomen tatsächlich transnational politisch bearbeitet wird. Allerdings wird die Migrationspolitik der Union vielfach kritisiert - dafür steht etwa das Schlagwort von der „Festung Europa''. Wo liegen Chancen und Schwächen einer transnationalen Migrationspolitik? Wie kann christliche Ethik diese Transnationalität angemessen reflektieren?
Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) wurde 1925 gegründet und ist die traditionsreichste politische Stiftung Deutschlands. Dem Vermächtnis ihres Namensgebers ist sie bis heute verpflichtet und setzt sich für die Grundwerte der Sozialen Demokratie ein: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Ideell ist sie der Sozialdemokratie und den freien Gewerkschaften verbunden.
Vierteljahrshefte Zur Wirtschaftsforschung, 2010
German immigration policy needs an economic foundation. The economic benefits of immigration should be systematically enhanced by implementing a points system for the selection of high-skilled workers as permanent immigrants, as well as a market-based process to regulate temporary labor migration. Germany must become more aware of the growing international competition for scarce skilled labor in the face of demographic change. Since the immigration situation has lost some of its edge in recent years, now is the time to set the stage for a transparent policy that actively attracts immigrants abroad while communicating the relevance of economic criteria for successful social integration at home. The new policy can build upon the achievements of existing legislation, such as the Immigration and Integration Act, and the Labor Migration Control Act.
Austrian Journal of Political Science, 2014
Ziel des vorgestellten uches ist eine Anal se des europäischen igrations und Grenz kontroll regimes und der damit verbundenen Transnationalisierungsprozesse des Staates. Dazu wurde eine Forschungstheorie und methode erarbeitet, die als historisch materialistische Politikanal se PA bezeichnet und in zahlreichen Fallbeispielen umgesetzt wird. Gegliedert ist das uch in vier Abschni e, die aufeinander ezug nehmen, aber auch einzeln gelesen werden k nnen. Der erste Teil des uchs stellt theoretische und methodische Zugänge vor, die im zweiten Abschni anhand von drei änderstudien und im dri en Abschni mit eiträgen zum echselverhältnis zwischen nationalstaatlichen igrationspolitiken und europäischem Grenzregime empirisch belegt werden. Das uch basiert auf einem 2 9 bis 2 1 durchgeführten Forschungspro ekt am Frankfurter nstitut für Sozialforschung und an der niversität arburg. Der Forschungsgruppe Staatspro ekt Europa geh rte unter anderem Son a uckel an. Der Text beginnt mit einer eranführung an materialistische Staatstheorie, die den Staat als durch gesellschaftlichen Auseinandersetzung entstandenes Kräfteverhältnis begreift. So wie sich der Staat aus zahlreichen Staatsapparaten mit widersprüchlichen nteressen zusammensetzt, kann auch Europa nur als europäisches Staatsapparate ensemble S. verstanden werden, welches nationale, europäische und transnationale Apparate beinhaltet. Gemeinsam ist diesen das nteresse an der eproduktion des europäischen Kapitalismus. Die zentrale Frage der Autor nnen ist, wieweit es durch die egemonie des eoliberalismus zu einem strategischen ruch mit dem nationalen Staatspro ekt des Fordismus kam S. der mi els Transnationalisierung zum besagten europäischen Staatsapparate Ensemble führte und ob bzw. wie sich das Staatspro ekt Europa dadurch entwickeln konnte. Alle nationalen Angelegenheiten im Kontext mit igration werden zu europäischen, letztlich globalen erausforderungen und sind eng miteinander verwoben. m die berkomplexität S. empirisch fassen zu k nnen, werden politische Prozesse in drei Schri en untersucht Kontextanal se, Akteursanal se und Prozessanal se. m i elpunkt stehen entweder gesellschaftliche Kräfteverhältnisse, apparative erdichtungen in politischen Apparaten und im Staat, oder in den uridischen Apparaten S. , der Fokus hängt vom ntersuchungsgegenstand und interesse ab. Die Autor nnen sind sich edoch bewusst, dass aufgrund mangelnder essourcen wohl in Buchbesprechungen
Sociopolis, 2020
Rezension zu "Entitled. Discriminating Tastes and the Expansion of the Arts" von Jennifer C. Lena
Springer eBooks, 2021
Weil kontrollfreie Binnengrenzen Asylsuchenden zu ermöglichen schienen, sich relativ ungehindert im Schengen-Raum zu bewegen, waren schon Ende der 1980er Jahre Regelungen über den gemeinsamen Umgang mit Asylanträgen diskutiert worden. Beinahe zeitgleich mit dem Schengener Durchführungsübereinkommen, das bereits einige Asylbestimmungen enthält, wurde 1990 in Dublin das "Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrages" unterzeichnet. 1 Es trat 1997 nach langwierigen Debatten über die Umsetzung in Kraft. Zum einen legt es fest, dass ein Asylverfahren in dem EU-Staat durchzuführen ist, in den die oder der Asylsuchende zuerst eingereist ist. Auf diese Weise soll erreicht werden, dass Asylsuchende nicht von einzelnen Staaten abgewiesen werden können und folglich ohne Verfahren im Schengen-Raum von Land zu Land reisen (diskutiert unter der Formel "refugees in orbit"). Darüber hinaus soll die Regelung im Falle einer Ablehnung eines Asylantrags durch einen Mitgliedstaat verhindern, dass in einem anderen Land ein weiterer Antrag gestellt wird (das sogenannte "Asylshopping") (Lavenex 2001). Weil für die Aufnahme von Asylsuchenden und die Durchführung von Asylverfahren in erster Linie Staaten an den EU-Außengrenzen zuständig sind, führte das Dublin-System zu erheblichen Ungleichgewichten (in den 1990er Jahren vor allem zulasten der Länder mit einer Grenze zum europäischen Osten, seit Anfang der 2000er Jahre vor allem der Mittelmeeranrainerstaaten Spanien, Italien und Griechenland). Ein Mechanismus zur Weiterverteilung von Schutzsuchenden innerhalb der EU erwies sich aber wegen des Widerstands diverser Staaten, zuletzt insbesondere solche im Osten Europas, als nicht durchsetzbar. Auch die großen 1 m=DE (31.08.2020).
2016
Die Flüchtlingspolitik der EU und ihr Außengrenzschutz sind in den letzten Jahren zu einem der medial und politisch relevantesten Themen geworden. Und das nicht nur, weil die Zahl der schutzsuchenden Menschen steigt (mehr als 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht) 1 , sondern auch weil immer mehr Menschen auf der Flucht umkommen: Allein 2015 sind mehr als 3700 Menschen beim Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, ertrunken. Grund dafür ist, dass ihnen keine legalen Wege angeboten werden und mit steigenden Flüchtlingszahlen auch die Maßnahmen der Abwehr und Abschottung erweitert und intensiviert werden. Angesichts der jetzigen katastrophalen weltweiten Situation und aktueller Ereignisse auf dem Mittelmeer sieht sich die EU gezwungen, dem Erstarken öffentlicher Forderungen nach entschlossenem Handeln nachzukommen. Doch es werden keine gemeinsamen Strategien zur Aufnahme und Integration gefunden, stattdessen verlieren sich die Staaten in nationalem und sicherheitspolitischen Denken, das zu einer Entsolidarisierung führt. Die Maßnahmen, die auf europäischer Ebene getroffen werden, bedeuten keine neue, humanitäre Ausrichtung der Flüchtlingspolitik, sondern Kontinuität in der Errichtung eines auf Abwehr und Abschreckung ausgerichteten Grenzregimes, das sein Inneres gegen das zum Risiko stilisierten Äußere schützt. Und das Äußere zeigt sich in Gestalt hilfsbedürftiger Menschen. Die Vorzeichen gemeinsamer europäischer Flüchtlingspolitik waren einmal andere. Nicht erst seit der Etablierung von Frontex wurde aber der Fokus auf Abschottung gelegt. Das geschah schon vor der EU-Gründung und bereitete die aktuelle Gestaltung europäischer, institutionalisierter Flüchtlingspolitik vor. Im Folgenden wird die Entwicklung europäischer Flüchtlingspolitik mithilfe einer Phaseneinteilung nachgezeichnetvon ihrer Entstehung bis zum heutigen Grenzregime, von einer Menschenrechtsorientierung zur Verteidigungspolitik. Weshalb ist eigentlich so etwas wie gemeinsame Flüchtlingspolitik entstand? Mit welchen Motiven entwickelte sie sich und welche Interessen verbergen sich hinter ihr?
Christoph Asmuth/Quentin Landenne/Simon Gabriel Neuffer (Hrsg.), Kosmopolitisch Denken. Die weltbürgerliche Philosophie im deutschen Idealismus, Königshausen & Neumann, S. 233-248, 2021
Weltbürgerlichkeit und Kosmopolitismus sind, aus einem phänomenologischen Gesichtspunkt, zwei entgegengesetzte Begriffe. Der Kosmopolit lebt in der Illusion, „an keine heimweltliche Perspektive mehr gebunden und in der ganzen Welt zu Hause zu sein.“ Er besteht auf der Illusion einer homoge-nen Welt als Dimension der globalisierten, interkulturellen Beziehungen. Die Phänomenologie, als „Phänomenologie der Welt“ bietet sich gerade für eine philosophische Auseinandersetzung mit der Problematik der Interkulturalität an und wird dadurch zur weltbürgerlichen Phänomenologie. Sie wird dadurch charakterisiert, dass sie der interkulturellen Spannung zwischen Heim- und Fremdwelt durch die Idee der Welt Rechnung trägt, ohne nach ihrer Auflösung oder Reduktion zu trachten. In diesem Sinne werde ich der Frage nachgehen, wie eine phänomenologische Betrachtung der Le-benswelt der Spannung zwischen Heim- und Fremdwelt durch den Begriff der Weltbürgerlichkeit Rechnung trägt; eine Weltbürgerlichkeit, die sich dem Kosmopolitismus als Einebnung bzw. Idealisie-rung der kulturellen Unterschiede eindeutig entgegensetzt. Diese Frage ist keineswegs neu, sie lässt sich bis in die Auseinandersetzung des Aristoteles mit Platon über das Recht des individuellen Lebens zurückverfolgen. Daher werde ich in einem ersten Teil auf die Beziehungen zwischen Glücksvorstel-lungen und ihrer Bindung an die Stadt bzw. an den Staat bei Aristoteles und Platon eingehen, um ei-nerseits die konstitutive Bedeutung des einzelnen Menschen und seiner gesellschaftlichen Praxis im Stand der Gesellschaft für das bürgerliche Leben bei Aristoteles und andererseits die Abtrennung des Staates als Allgemeines und der Stände vom persönlichen Leben der Bürger bei Plato zu verdeutli-chen. So fällt bei Aristoteles die Bestimmung des Einzelnen mit der Bestimmung der politischen Ord-nung zusammen, was das allgemeine Menschsein der Stadt vor ihrer abstrakten Isolierung schützt und das Recht der Individualität in der Zugehörigkeit zu einer auf Freundschaft zwischen einer auf un-gleichartigen Menschen aufgebauten Gesellschaft zur Geltung bringt. Im zweiten Teil werde ich Husserls Begriff der Lebenswelt, der mit der aristotelischen Auffassung des bürgerlichen Lebens verwandt ist, erörtern, um daraufhin auf das Problem der Asymmetrie der Zugänglichkeit von Heim-welt und Fremdwelt einzugehen. Im dritten Teil werde ich aufzeigen, wie die Spannung, nicht nur zwischen Heim- und Fremdwelt, sondern zwischen einander fremden Subjekten, durch eine gegensei-tige „Öffnung“ im Modus des Verstehens und durch die Bemühung des gegenseitigen Ansinnens im Dialog entkräftet werden kann. Es wird sich dabei zeigen, dass die Erweiterung der eigenen heimwelt-lichen Horizonte in Richtung der fremden Horizonte mit einer unumkehrbaren Veränderung der jewei-ligen Selbstheit einhergeht. Eine derart verstandene weltbürgerliche Einstellung unterscheidet sich wesensmäßig von einem traditionellen Kosmopolitismus, der für die heutige Globalisierung aller Le-bensverhältnisse charakteristisch ist. So werde ich im vierten Teil den Prozess erläutern, der zu einer Idealisierung und Einebnung aller Unterschiede führt, um am Ende einige Probleme darzulegen, deren Behandlung eine unumgängliche Aufgabe der politischen Auseinandersetzung darstellt.
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