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Abstract

Zitat in Deutsch oder Englisch Los hombres de las diversas Américas permanecemos tan concomunicados que apenas nos conocemos por referencia, condados por Europa. 1. Interamerikanische Wahrnehmung: Paris und das kulturpolische Paradigma Ein Beitrag zur Ehrung eines Kollegen ist ein Ritus, zu dem auch gehört, dass man sich mit dem Werk des Geehrten auseinandersetzt. Im Falle von Herwig Friedl bedeutete diese Aufgabe zugleich eine Einladung, sich mit einer "anderen" Seite des interamerikanischen und transatlantischen Dialogs und einer Seite der Moderne auseinander zu setzen, die der Geehrte für die amerikanische Literatur und Kunst unermüdlich beleuchtet hat, und ich in Bezug auf Lateinamerika als ein relativ "unentdecktes" ästhetisches Kontinent vorfand. Diese andere Sicht stammt aus der vom Pragmatismus gelegte Spur, die auf Ralph Waldo Emersons, Walt Whitman oder Henry James zurückgeht. Interamerikanische Forschung und Lehre findet gewiß seit einigen Jahren auch in Deutschland statt; wird jedoch von den postkolonialen Studien mehr oder weniger beherrscht. Eine "andere Sicht" des interamerikanischen Dialogs ist indes nur punktuell bearbeitet worden. Beginnen möchte ich mit einem Essay von Jorge Luis Borges: "El otro Whitman" -Der andere Whitman -aus dem Jahr 1929. Mit dem gewohnt luziden, synthetischen Blick identifiziert Borges das Problem interamerikanischer Wahrnehmung und dementsprechend auch interamerikanischer Forschungen: Los hombres de las diversas Américas permanecemos tan incomunicados que apenas nos conocemos por referencia, condados por Europa. En tales casos, Europa suele ser sinécdoque de París (139). 1 Die Menschen der verschiedenen Amerikas verfehlen den Dialog miteinander, weil sie sich nicht direkt, sondern nur vermittelt durch die Erzählungen der Europäer kennen. Sie nehmen sich auf dem Umweg von Erzählungen wahr, die aus Europa stammen. In Borges' Satzstruktur stehen sich die Menschen Amerikas und die Erzählungen Europas gegenüber. Zwischen ihnen ist eine Leerstelle, die durch die Blicke und Fiktionen der Europäer gefüllt wird. Die konkreten und vielfältigen intellektuellen Zeugnisse der Menschen in Amerika werden damit von europäischen Phantasien überschrieben. Borges denunziert überdies die 1 Borges, Jorge Luis. «El otro Whitman:» Discusión (1932). Prosa Completa, V. I, Barcelona: Bruguera, 1975: 139-142. eurozentrische, gar frankozentrische Perspektive, denn er macht deutlich, dass selbst die Vielfalt Europas auf ein einziges Zentrum reduziert wird: Paris. Die Auswirkungen eines in vielen Studien thematisierten euro-bzw. frankozentrischen Blickes 2 auf die transatlantischen Studien wird Thema meiner nachfolgenden Überlegungen sein. Wie Borges es weiter ausführt, verharrte die wechselseitige Wahrnehmung beider Amerikas auf der Vermittlung über europäische Blicke. Der Bezugspunkt war der Gang der europäischen Modernisierungsgeschichte, gesehen aus dessen Zentrum: Paris. Paris ist für Lateinamerika das Zentrum des cartesianischen, rationalistischen und später positivistisches Denkens, und dieses Denken ist wiederum zentralistisch. Tatsächlich wurde seit Ende des 19.