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MARTIN A. HAINZ

Im Rahmen des Essays " Parallelweltkompetenz " wird reflektiert, inwiefern Lesen von einer Welt entbindet, um – wie auch das Schreiben – in der Zeit Optionen aus den Stereotypen zu entwickeln, die man fälschlich schon Welt nennt. " Die Lektüre ist ein anarchischer Akt. Die Interpretation, besonders die einzige richtige, ist dazu da, diesen Akt zu vereiteln " (ENZENSBERGER 2009: 358); nun hat wohl ein jeder das Wort Parallelwelt schon einmal gehört – und von der Annahme, es gebe mehr oder minder von unserer Welt, unserem Universum abweichende Welten und Universen. Das ist ein Gedankenspiel der Physik, ob diese selbst es je belegen wird, sei dahingestellt. Die Philologie freilich – und mit ihr jeder Lesende – weiß, dass diese Parallelwelten existieren, wobei Philologie nicht die wissenschaftlichen Disziplinen meint und Text nicht auf Literatur einzuengen ist. Und mit Parallelwelt ist wie auch im Enzensberger-Zitat nicht gemeint, dass man lesend aus seiner Realität in eine Phantasie entschwindet, also das, was Eskapismus geheißen wird. Vielmehr mag es ja so sein, dass man lesend in die Realität hineingerät. Denn was ist lesen? Es bedeutet wohl, zu sehen, wie aus einer – eventuell fiktiven – Hypothese über die Welt Realistisches folgt, wobei sich dann erhellt, dass die Realität, in der man lebt, ihrerseits Konstruktion sei, jedenfalls weniger plausibel als der Text, dessen Erklärung von all jenem, was den Lesenden umgibt, vielleicht auch nicht die Wahrheit ist, aber wahr im Infragestellen. Die Parallelwelt ist also das, worin man sich als seiner Welt vermutete. Gibt es das, wozu Parallelwelt parallel wäre? Vielleicht; aber schwerlich ist das, was Welt für uns ist, etwas von dieser Art, so eigentlich. Was ist? – – – " Dasein besagt: in einer Welt sein. " (HEIDEGGER 2004: 19). Nicht in der Welt, sondern in einer. Just Heidegger, der den Jargon der Eigentlichkeit sich leistete, wofür Adorno ihn gescholten hat, räumt dies sein. Es ist mehr, als in der Welt ist; und die ist damit kaum mehr die Welt. Das sagt jenes eigentümliche Unwesen, das Literatur ist. Das, was einem Welt war, ist also von der Literatur fruchtbar kontaminiert, in dieser lebt jene fort, erinnert zudem, dass diese immer schon jener darin glich, auch Fiktion zu sein. " (F)iguren leben, wenn sie vom Glück begünstigt sind, auch außerhalb ihrer ursprünglichen Texte weiter " (ECO 2007: 440), aber nicht nur Figuren, auch Wahrheiten, Entwürfe dessen, was Sinn sei, … Kurzum: Texte selbst leben nicht nur zwischen Buchdeckeln. Es ist deutlich, dass Lesen also etwas einübt; eingesteht und befragt, dass/ob " die vielzitierten Atome […] für mich noch immer mit Einhornpulver und Saturneinflüssen auf einer Stufe stehen. " (SLOTERDIJK 2009: 19). Etwas in dieser Art beschreibt Robert Musil: Wenn man gut durch geöffnete Türen kommen will, muß man die Tatsache achten, daß sie einen festen Rahmen haben: dieser Grundsatz […] ist einfach eine Forderung des Wirklichkeitssinns. Wenn es aber Wirklichkeitssinn gibt,