Academia.eduAcademia.edu

Kurt Gödel.doc

Nach Herrmann Broch ist jeder säkulare Intellektuelle ein Häretiker, wie auch jeder Held ein Rebell gegen die Platonische Ordnung ist. Es ist demnach ironisch genug, dass Kurt Gödel auf dem Gebiet der mathematischen Logik Entdeckungen machte, deren Tragweite voll zu durchmessen (philosophisch wie fachspezifisch) der Arbeit von kommenden Jahrzehnten vorbehalten bleibt 1 , während er zeitlebens an einem (zugegeben sehr differenzierten) Platonismus 2 festhielt. In den Jahren 1928-1939 legte Gödel einige der wichtigsten Ergebnisse für die Formale Logik seit Aristoteles vor: Die Vollständigkeit der Logik erster Stufe; die Unvollständigkeit axiomatischer Systeme, welche die elementare Zahlentheorie enthalten; die Konsistenz des Auswahlaxioms und der Kontinuum-Hypothese mit den übrigen Axiomen der Zermelo-Fränkel'schen Mengenlehre. In den selben Jahren, in denen er sich mit dem Entscheidungsproblem und dem Begriff der Berechenbarkeit befasste (beide stellen Grundlagen der Künstlichen Intelligenz dar), oder eine zukunftsweisende Interpretation der intuitionistischen Logik erarbeitete, reifte in dem evangelisch getauften (tatsächlich aber nie einer Kirche angehörenden) Mathematiker ein rationalistischer Theismus heran, der sich gut in die Tradition des Böhmischen Reform-Katholizismus einfügt (wie dieser z.B. von Bernard Bolzano verkörpert wird). Gödels wohl bekannteste Ergebnisse, die Unvollständigkeitssätze, grenzen die Leistung der Axiomatischen Kalkülisierung (David Hilberts formalistischer Ansatz) auf die Ermöglichung eines unscharfen kartographischen Blicks ein, während eine durch die Axiomatisierung vorgeblich zu leistende apodiktische Evidenz für das Ganze der Mathematik prinzipiell in Zweifel gezogen wird. Ein ausreichend starkes formales System enthält nach dem ersten Gödel'schen Unvollständigkeitssatz wahre, im selben System jedoch formal unbeweisbare Sätze 3 , wobei dieses Ergebnis auch für die Eigenschaft der Widerspruchsfreiheit des fraglichen Systems selbst gilt (so dass ein ausreichend starkes formales System nicht vollständig und widerspruchsfrei sein