Wer heutzutage aus einem Bahnhof tritt und seinen Blick nicht gleich nach Taxi oder Bus suchen, sondern einen Augenblick schweifen lässt, um zu sehen, was sich zeigt, wird geneigt sein, einen veralteten Wirklichkeitstest zu versuchen. Wer sich in den Arm kneift, so diese kleine Theorie von gestern, soll herausfinden, ob er träumt oder wacht. Der Test hat ausgedient. Ich habe ihn vor kurzem versucht. Ich spürte Schmerz, musste also wohl wach sein. Aber das Traumbild vor meinen Augen verschwand nicht. Ich wusste, dass ich in einer schönen, alten Kleinstadt angekommen war. Ich kannte sie gut, denn ich hatte dort viele Jahre gelebt und studiert. Aber was mein Blick mir zeigte, hatte nichts mit meiner Erinnerung zu tun. Es war der Anblick eines Überall und Nirgendwo. Vor Dutzenden von Bahnhöfen kleiner und grosser deutscher Städte zeigt sich dieselbe Öde: schwarzer Asphalt mit weissen Linien, Busbahnhof mit gläsernen Wartehäuschen, Reihen von Taxis, kurvende Autos, Stühle einer Café-Kette, dahinter die Fassadenzeile mit Geschäften und Hotel, in der anschliessenden Strasse das Eros Center und Kino für Erwachsene – Vom Bahnhofsausgang nicht zu sehen aber mit Sicherheit da und nach einigen Schritten nicht zu verfehlen. Über der Geschäftigkeit dieses Vorplatzes lag die traurige Öde der Monotonie. Was hilft es da zu wissen, dass die Innenstadt nun einkaufsfreundlich in eine autofreie Zone verwandelt worden ist und die Strassencafes auf einen Besuch warten? Die Langeweile hat die Stadt erfasst, in der ich mich vor Jahren, in meinen ersten Tagen als Student, regelmässig verlief. Das wird mir heute nicht mehr passieren. Das Gassengewirr ist aufgeräumt und übersichtlich geworden. Glatte Schönheit hat die deutsche Kleinstadt erfasst und ihr das letzte Ende bereitet. Die Macht des Internationalismus, nun Globalisierung genannt, scheint mit grossem Erfolg alles Lokale zu absorbieren oder zu marginalisieren. Das neue Guggenheimmuseum in Bilbao wird als ein schlagendes Beispiel für diese Entwicklung genannt. Aus der Sicht vieler Architekturkritiker vertritt der 100-Millionen Dollar Bau die anhaltende " McDonaldisierung " der spanischen Kunst und Architektur. Diese franchise Ideologie wird dadurch unterstützt, argumentiert Dina Smith, " dass das Museum beinahe ausschliesslich vom Zentrum New York aus gemanaged wird. Die meisten neueren Ankäufe waren Arbeiten bekannter amerikanischer Künstler, und die regionale spanische und baskische Kunst war kaum repräsentiert. " 1 Wird es demnächst überhaupt noch einen Platz für das Regionale, das Indigenous, und eine Identifikation mit Heimat geben, wenn, in Luhmanns Worten, " räumliche Grenzen keinen Sinn für funktionale Systeme mit dem Ziel der Internationalisierung mehr haben. " 2 Leben wir in einer Zeit, wenn der spezifische Charakter von Orten als Folge der Rationalisierung und Globalisierung Europas stillschweigend verschwindet? Diese Frage verbindet sich mit einem Werturteil: entweder mit dem Triumph der Moderne oder aber mit einer Aversion gegenüber