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Im Labyrinth des Heiligen

2009, Im Labyrinth des Heiligen, erschienen in: Iablis. Jahrbuch für europäische Prozesse, 8. Jahrgang 2009: Strategeme der Selbstbehauptung. Kultur und Verlust

Wenn die Durkheim-Schule die Soziologie nicht zur lange vakanten Wissenschaft vom Göttlichen machte, dann auch deswegen, weil die Göttlichkeit der Gesellschaft bereits vor ihrem Erscheinen festgestellt worden war und innerhalb der verschiedenen soziologischen Lager als gesichertes Besitztum galt. Der Tod Gottes, Leitthema des ausklingenden neunzehnten wie des anbrechenden zwanzigsten Jahrhunderts, bedeutet sub specie des Soziologenglaubens wenig mehr als die Einwechslung des Monotheismus gegen den ein paar Jahre später von Max Weber als ›Kampf der Götter‹ beschriebenen Polytheismus der Werte und Wertsysteme, der Steuerungen und Steuerungskompetenzen innerhalb der modernen Welt. Die Schwierigkeit, die darin liegt, ist unübersehbar. »Denn« – so abermals Durkheim, mit Marx und Feuerbach im Gepäck – »der Gott ist nur der bildhafte Ausdruck der Gesellschaft«. Das lässt sich angemessen ›nur‹ dann verstehen, wenn auch der ›Tod‹ der Gesellschaft als denkbare Option ins Auge gefasst wird. Die Welt des religiösen Scheins bildet den Grundtext der Gesellschaft. Ein solcher Satz lässt sich umkehren.