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Ob es die Schweiz gibt, ist offenbar ungewiss -gewiss ist dagegen, dass es Schweizer gibt, die sich gerne fragen, ob es die Schweiz gibt, und dass es Medien gibt (das vorliegende Heft reiht sich da ein), die diese pseudowichtige Frage von Zeit zu Zeit ebenfalls abhandeln. In der ausländischen Nichtschweiz ist man da schon sicherer und reproduziert gerne die bestehenden Schweiz-Klischees (Schokolade, Uhren etc.).
Erinnert man sich angesichts einer realen Szene an ein entsprechendes Bild oder reproduziert die heutige Realität das 140 Jahre zuvor imaginierte Bild, das Teil unseres kollektiven Gedächtnisses geworden ist? Albert Ankers »Die Pfahlbauerin« aus dem Jahre 1873 (heute im Museum von la Chaux-de-Fonds) und die Archäologin Nina Künzler Wagner 2007 in einer Pause der Dreharbeiten der Re-enactment-Produktion von SRF »Pfahlbauer von Pfyn«.
2019
Ein Eisenbahnplakat der Appenzellerland-Bahn Die Geschichte der elektrischen meterspurigen Bahnen im Appenzellerland seit den 1870er Jahren ist verwickelt und steht für einen eigenen Schweizer, stark und lange von privaten Innovationsträgern bestimmten Pfad der Eisenbahnmodernisierung im Alpenraum. Seit 1889 gab es die von der Appenzeller-Strassenbahn-Gesellschaft betriebene Strecke St. Gallen–Gais, die 1904 nach Appenzell verlängert, 1931 elektrifiziert und in Elektrische Bahn St. Gallen–Gai..
La Roches Einführung in den praktischen Journalismus, 2017
Zusammenfassung Über Wege in den Journalismus in der Schweiz informiert dieses Kapitel.
Die vorliegende Arbeit analysiert in zwei Teilen das Tagebuch des nazifreundlichen Schweizers Hans Fenner, einmal seine Erfahrungen als schweizerischer Stundent in Nazideutschland, einmal seine Erfahrungen als deutschfreundlicher Schweizer im Aktivdienst. Der erste Analyseteil dieser Arbeit bietet einen exemplarischen Einblick, wie ein junger Schweizer das „Dritte Reich“ erfahren konnte. Es wird gezeigt, dass Hans Fenner mit einer unvoreingenommenen bis wohlwollenden Haltung ins „Dritte Reich“ kommt und sich schnell dafür zu begeistern beginnt. Diese Entwicklung wird durch die von ihm als äussert freundlich empfundene Aufnahme in Deutschland und bald entstehende freundschaftliche Beziehungen zu Deutschen gefördert. Auf Basis von Studien über britische und irische BesucherInnen, schweizerische Diplomaten, Zustimmungsursachen in der Deutschen Bevölkerung und dem vorliegenden Tagebuch werden analytische Kategorien bestimmt. Bei der Analyse von Hans Fenners Wahrnehmung und Beurteilung des „Dritten Reichs“ nach diesen Kategorien wurde deutlich, dass der vermeintliche nationale Wiederaufstieg Deutschlands, die autoritäre Staatsform, der Antikommunismus, die Idee der „Volksgemeinschaft“, die konservativen Geschlechtervorstellungen, sowie die ideologische Durchdringung des Alltags und die propagandistischen Inszenierungen des „Dritten Reichs“ von Hans Fenner positiv erfahren werden. Schwieriger gestaltete es sich, die Bedeutung der Kategorie Antisemitismus für seine Wahrnehmung und Beurteilung des nationalsozialistischen Deutschlands zu fassen. Er ist vermutlich latenter, aber nicht fanatischer Antisemit. Obwohl er mit Sicherheit Kenntnis von der Ausgrenzung und Verfolgung der jüdischen Deutschen hat, hat dieses Wissen keinerlei abschwächenden Einfluss auf seine Begeisterung für das nationalsozialistische Deutschland. In seinem Tagebuch blendet er den Antisemitismus und die Judenverfolgungen des „Dritten Reichs“ komplett aus. Zwiespältig ist Hans Fenners Verhältnis zur Kategorie Krieg. Wie gezeigt wird, lässt sich seine Kriegswahrnehmung in zwei Ausprägungen unterteilen: einmal in eine verklärende, heroisierende Variante und einmal in die Alltagserfahrung der Kriegszeit. Für die verklärte, heroisierende Form gilt, dass er sie als positiven Aspekt des „Dritten Reichs“ wahrnimmt. Der Krieg in seiner Alltagsrealität stört hingegen sein gutes Verhältnis zum nationalsozialistischen Deutschland. Dies zeigt sich, wenn man die Entwicklung seiner deutschfreundlichen Haltung im Laufe des Zweiten Weltkrieges nachgeht: Der von Deutschland verursachte Kriegsausbruch stört seine günstige Wahrnehmung erstmals empfindlich. Mit den deutschen Kriegserfolgen erstarkt seine beifällige Einstellung dann wieder, um mit der sich abzeichnenden Niederlage schrittweise zu schrumpfen. Hans Fenners Deutschfreundlichkeit beeinflusst seine Haltung zur Schweiz. Obwohl er nicht zum Landesverräter wird oder den Fronten angehört, würde er wohl eine „Anpassung“ der Schweiz an das „neue Europa“ befürworten. Eine gewaltsame Annexion der Schweiz durch das Deutsche Reich scheint er jedoch nicht herbeizusehnen. Seine Haltung gleicht derjenigen der Zürcher Offiziere um Oberstkorpskommandant Ulrich Wille und Oberst Gustav Däniker, mit denen er möglicherweise auch in persönlichem Kontakt steht. Der zweite Analyseteil dieser Arbeit befasst sich mit der Aktivdiensterfahrung Hans Fenners und setzt diese mit dem bisherigen Forschungsstand in Verbindung. Viele bisherige Erkenntnisse zur Erfahrungsgeschichte des Aktivdienstes wurden dabei bestätigt: So Hans Dejungs These von der Heterogenität der Aktivdiensterfahrung. Weiter wird seine Annahme bekräftigt, dass manche Aktivdienstleistende sinnstiftende, patriotische Deutungsmuster bereits während und nicht erst nach dem Zweiten Weltkrieg übernahmen, jene Diskurse aber teilweise an der Realität scheiterten. Gleichfalls stützt das Selbstzeugnis Dejungs Feststellung, dass die meisten Dienstleistenden den von der Armeeführung propagierte Diskurs der Männlichkeitssteigerung durch das Soldat- und Offizierssein nicht übernahmen. Hans Fenners Tagebuch bestätigt zudem, dass die Offizierslaufbahn, entgegen der Propagandaschriften der Armee, in der Realität fast nur Angehörigen der oberen Gesellschaftsschichten offen stand. Dass ein militärischer oft einen gesellschaftlichen Aufstieg nach sich zog, wird ebenfalls bezeugt. Dejungs Verdacht, dass eine von der Armeeleitung propagierte, rangübergreifende Kameradschaft in der Realität des Aktivdienstes nicht existierte, erhärtet sich durch Hans Fenners Tagebuch. Das Gleiche gilt für die bisher nur durch ZeitzeugInnen-Interviews bestätigte Erkenntnis Dejungs, dass in der Regel folgenlose kleinere Eskalationen zwischen Truppe und Offizieren häufig vorkamen. In der Quelle lässt sich überdies die Existenz einer soldatischen Subkultur, wie sie von Dejung beschrieben wird, ausmachen. Fernerhin scheint das Selbstzeugnis auch Dejungs These, dass während des Aktivdienstes das Militärische männlich und das Zivile weiblich konnotiert war, zu belegen. Hans Fenners Tagebuch bestätigt aber nicht nur die bisherigen Erkenntnisse der Aktivdienstforschung, sondern ermöglicht auch neue Ansätze: So spielt in seinem Fall der Wehrsport eine wichtige Rolle dabei, dass er trotz seiner niederen sozialen Herkunft Offizier werden kann. Zwischen Mannschaft und Offizieren tritt der Wehrsport ausserdem als ein Element auf, das Grenzen verwischen lassen kann. Die vorgenommene Untersuchung von Hans Fenners Werdegang zum Offizier zeigt noch einen weiteren Punkt auf: Es ist für einen Aktivdienstleistenden wie Hans Fenner zumindest denkbar, dass eine deutschfreundliche Haltung ein Hindernis für eine militärische Karriere darstellen kann. Das Selbstzeugnis zeigt zudem, dass sich die soldatische Subkultur - anders als bisher angenommen - womöglich einzig auf den soldatischen Rang beschränkte. Ferner wirft das Tagebuch die Frage auf, ob nicht auch eine deutschfeindliche Einstellung zu den Merkmalen besagter soldatischer Subkultur zu rechnen wäre. Anders als Dejung, der von einer generellen Spannung zwischen Offizieren und Soldaten berichtet, weckt die Quelle eher den Eindruck, dass Eskalationen zwischen Vorgesetzten und Mannschaft in der Regel situationsbedingt entstanden. Ansonsten zeugt Hans Fenners Tagebuch durchaus auch von vertrauensvollen Beziehungen zwischen Soldaten und Offizieren. Dabei scheint, wie auch Dejung feststellt, die Persönlichkeit des Offiziers der ausschlaggebende Faktor für ein gutes oder schlechtes Verhältnis zu sein. Ferner wurde deutlich, dass sich Kühnes für die Wehrmacht gemachte Feststellung, dass unverheiratete junge Männer den Diskurs der Armee als Ersatzfamilie schnell übernahmen, sich in Hans Fenners Fall auf die Schweizer Armee übertragen lässt. Das im Tagebuch gewonnene Bild von teilweise sehr schwierigen Beziehungen zwischen Armee und Zivilbevölkerung steht im Widerspruch zur bisherigen Literatur, welche die integrative Funktion der Armee betont. Auch wenn man berücksichtigt, dass der deutschfreundliche, armeebegeisterte Hans Fenner die Beziehung zwischen Armee und Teilen der Zivilbevölkerung vielleicht negativer wahrnahm als das Gros der SchweizerInnen, stimmen die in seinem Tagebuch geschilderten Spannungen nicht ganz mit dem homogenen Bild überein, wie es in der bisherigen Literatur zum Aktivdienst suggeriert wird. Exemplarische Einblicke gibt diese Untersuchung in die bisher von der Forschung noch kaum untersuchte Rolle der Unteroffiziere: In der Quelle treten die Unteroffiziere in einer unklaren Stellung zwischen Offizieren und Soldaten auf. Tendenziell scheinen sie den Soldaten gleichwohl näher gestanden zu haben als den Offizieren. Ebenfalls bisher weitgehend unerforscht ist das Verhältnis zwischen den Offiziersrängen. Hans Fenners Tagebuch erweckt den Eindruck von den Offizieren als nach unten abgeschlossene Gruppe. Trotz teilweise heftiger Spannungen zwischen den einzelnen Offiziersgraden, sind die Grenzen nach oben relativ offen. Wie Hämmerle feststellt, sind Tagebücher nur in ihrem biographischen Kontext zu verstehen. Dies zeigte sich deutlich bei der Untersuchung von Hans Fenners Tagebuch. Viele Erfahrungen die er im Aktivdienst macht, sind ohne die Kenntnis von seinen Erfahrungen im nationalsozialistischen Deutschland nicht zu verstehen. Besonders deutlich wurde dies bei der Untersuchung von Hans Fenners Soldatenideal. Es zeigte sich, dass dieses sowohl an das nationalsozialistische, als auch an das der deutschfreundlichen Zürcher Offiziere erinnert. Aber auch sonst sind Teilaspekte seiner Erfahrungen im Aktivdienst geprägt von seiner Deutschfreundlichkeit und der damit verbundenen Geisteshaltungen. So vermutlich seine hohe Bereitschaft, patriotische und armeeverklärende Diskurse zu übernehmen, seine - im Vergleich mit vielen anderen Soldaten - relativ leichte Akzeptanz des autoritären Systems der Armee und wahrscheinlich auch seine auffallend negative Wahrnehmung von Teilen der Zivilbevölkerung. Sein Verhältnis zu seinen Mitsoldaten und womöglich auch seine militärische Karriere leiden unter seiner Deutschfreundlichkeit. Es liesse sich sagen, dass Hans Fenner mit seiner Deutschfreundlichkeit eine Geisteshaltung in den Aktivdienst mitbringt, die zu einer spezifischen Erfahrung des Aktivdienstes führt.
Das vorherrschende nationale Geschichtsbild vernachlässigt stets einen Aspekt: jenen der Verflechtung. Hier gibt André Holenstein in seiner Präsentation der Schweizer Geschichte Gegensteuer. Er schreibt, dass sich die Schweiz unzutreffend als ein Land verstehe, »das sich selbst genügt und seit je tapfer den Zumutungen der bedrohlichen Aussenwelt trotzt«. An anderer Stelle kritisiert der Autor »isolierte Nabelschau« und »Selbstgefälligkeit«, die der Tatsache zu wenig Rechnung trage, dass die eigene Existenz stets im Austausch mit und in Abgrenzung zu anderem steht. Der Nachweis der enormen Verflechtung fällt Holenstein leicht, weil es diese Verflechtung gibt und er sie bestens kennt. Breiten Raum nehmen die Darlegungen der Migrationsverflechtung (notabene infolge von Personenfreizügigkeit) ein, von den Söldnern über die Zuckerbäcker und Kaminfeger bis zu den Baumeistern. Da erhalten auch die in St. Petersburg wirkenden Basler Mathematiker (Euler, Bernoulli, Hermann, Fuss) ihren verdienten Platz. Ergänzt werden diese Ausführungen mit Abschnitten über die kommerziellen und die diplomatischen Verflechtungen. Ein zentraler Gedanke gilt dem »Ressourcenaustausch«: Geld gegen Menschen, Salz gegen Vieh, Käse und Textilien. Dem Autor geht es unter anderem auch darum, das Bild eines »schollenverhafteten« und abseitigen Bergvölkchens zu berichtigen und auf die »Weltläufigkeit« und hohe Anpassungsfähigkeit der Schweizer Bevölkerung hinzuweisen. Ein eigener Abschnitt ist unvermeidlicherweise der Neutralität gewidmet. Dabei wird einmal mehr die Vorstellung korrigiert, dass diese auf Marignano (1515) zurück-
Jakob Tanner im Interview mit Thomas Gull: Die Schweiz ist eine gespaltene Nation, in: magazin. Die Zeitschrift der Universität Zürich, Nr. 3, 20. Jg. September 2011, S. 38-42., 2011
1997
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2010
Originalveröffentlichung in: Thomas Maissen, Seit wann ist die Schweiz souverän?, in: Katja Gentinetta/ Georg Kohler (Hg.), Souveränität im Härtetest. Selbstbestimmung unter neuen Vorzeichen, Zürich 2010, S. 57-80. SEIT WANN IST DIE SCHWEIZ SOUVERÄN? THOMAS MAISSEN Seit wann ist die Schweiz souverän? Diese Frage lässt sich sehr unterschied lich beantworten, je nachdem, ob man damit ein (im Rahmen einer Rechts ordnung gewährtes) Recht auf Selbstbestimmung meint oder eine Praxis der Selb stb estimmung oder aber das Selbstverständnis einer souveränen Gemein schaft, die sich auch als solche bezeichnet und von ihresgleichen, den anderen Souveränen, akzeptiert wird, so dass sie auf ihrem eigenen Territorium formal uneingeschränkt («ab solut») Herrschaft ausüben kann. Will man die Rolle der Souveränität in der schweizerischen Geschichte verstehen, so empfiehlt sich vor allem Letzteres und damit ein engeres Verständnis, als es die Her ausgeb er dieses Bandes vorschlagen: «Grösstmögliches Selb stb estimmungs recht» ist b edingt, nicht ab solut, und formuliert ausserdem ein Ziel der staatlichen Ordnung, nicht wie der herkömmliche Souveränitätsb egriff ihre Grundlage. Die Reichsfreiheit der Eidgenossen Der skizzierte Sprachgebrauch zeigt bereits, dass «Souveränität» kein zeitloses Phänomen ist, sondern historisch entstanden ist und sich historisch wandelt, sowohl als Konzept als auch als dadurch legitimierte politische Praxis. 57 SOUVERÄNITÄT IM HÄRTETEST -SELBSTBESTIMMUNG UNTER VERÄNDERTEN VORZEICHEN «Selbstbestimmungsrecht» und autonomes Handeln gibt es hingegen in der Geschichte immer wieder, wenn eine Obrigkeit in einem bestimmten Raum nicht gewillt oder fähig ist, herrschaftliche Gewalt auszuüben. Ein solches Vakuum erlaubt, ja provoziert im Spätmittelalter die Bildung verschiedener Eidgenossenschaften im Alpenraum: die burgundische um Bern, die bünd nerische und diejenige im Wallis, aber auch den Brückenschlag zwischen den ländlichen Waldstätten und den Städten Luzern, Zürich und Bern. Deren Praxis der Selbstbestimmung wird sehr bewusst als gewährtes Recht wahr genommen, als Privileg innerhalb der Rechtsordnung des Heiligen Römi schen Reiches Deutscher Nation. Die eidgenössischen Orte verstehen sich als «gefreite Stände»: Ihre Herrschaftsrechte, in deren Zentrum die (Blut) Gerichtsbarkeit steht, verdanken sie dem Kaiser, dem sie unmittelbar, ohne (habsburgische) fürstliche Zwischengewalt, unterstellt sind. Diese Reichsfreiheit bildet die Grundlage des eidgenössischen Selbstverständ nisses bis weit ins 17., ja teilweise ins 18. Jahrhundert hinein. In der nationalen Geschichtsschreibung seit dem späten 19. Jahrhundert ist dagegen eine bis heute nicht auszurottende «faktische Unabhängigkeit» der Schweiz formu liert worden, die im Schwabenkrieg 1499 errungen worden sei einem Krieg eben gegen die Schwaben und nicht gegen das mittelalterliche Kaiserreich, von dem sich die alten Eidgenossen nicht durch Unabhängigkeit abgrenzen wollen wie die späteren gegenüber dem Wilhelminischen Kaiserreich. Der Reichsadler als Symbol der Reichsfreiheit schmückt im 17. Jahrhundert noch alle Kantonswappen und viele Rathäuser, und im 16. Jahrhundert lassen sich die eidgenössischen Orte noch oft ihre Privilegien vom neu gewählten Kaiser bestätigen. Die (im Prinzip universal gedachte) Reichsordnung ist der Rah men, in dem die subsidiären kantonalen Rechts und Friedensordnungen aufgehoben und eingefügt sind. Das gilt uneingeschränkt auch für die Re formierten, obwohl sie stets mit einem katholischen Kaiser konfrontiert sind; und ebenso wird von der Tatsache abstrahiert, dass dieser Kaiser seit 1438 stets ein Spross der Habsburger ist, zu denen das Verhältnis historisch nicht un 53 SEIT WANN IST DIE SCHWEIZ SOUVERÄN? -THOMAS MAISSEN belastet ist. In der Praxis unproblematisch ist dies, weil die Eidgenossen sich z war im Universalreich verorten, aber im politischen Herrschaftsverband Reich kaum mehr präsent sind. Heerfolge leisten sie nicht, Steuern entrich ten sie keine, abgesehen höchstens von seltenen Pulverlieferungen für den «heiligen» Krieg gegen die Türken. Auch in diplomatischer Hinsicht sind die Beziehungen der Eidgenossen aber auch anderer peripherer Reichsglieder (Niederlande, Böhmen, Savoyen oder Preussen) zu Kaiser und Reich manchmal fast wie zwischenstaatliche, so dass man am Reichstag «Eidsgenossen und andere christliche Potentaten» auch in denselben Topf werfen kann. Tatsächlich führen die Eidgenossen mit ihren Bündnissen, namentlich mit Frankreich, auch eine selbständige Au ssenpolitik, die auf das Reich wenig Rücksichten nimmt. Gleichwohl oder vielleicht gerade auch deswegen, um die Schweizer in die Pflicht zu nehmen, spricht der Kaiser sie als «Unsere und des Reichs Liebe und Getreue» an. Treue soll an die Verpflichtung des Vasallen gegenüber seinem Lehnsherrn erin nern. Erst 1654 willigt Kaiser Ferdinand m. in «eine dem freien Stand» entspre chende Titulatur ein und wendet sich nun an den «gestrengen, vesten und ehrsamben unnseren besonders lieben Gesandten gemeiner Eidgnoschafft aller 13 Orthen in Schweitz». Diese Änderung erfolgt nicht zufällig kurz nach dem Westfälischen Frieden von 1648, der in der erwähnten Schultradition als Beginn der «juristischen U n abhängigkeit» der Schweiz gilt. Auch das trifft den Sachverhalt nicht genau. Was Kaiser und Reich dem Basler Gesandten Johann Rudolf Wettstein zugeste hen, ist eine sogenannte Exemtion: die Befreiung von einer höheren Rechtsin stanz, in diesem Fall die definitive Befreiung aller eidgenössischen Orte vom Reichskammergericht, das allerdings nur noch für die spät 1501 dazugekom menen Orte Basel und Schaffhausen eine Rolle gespielt hat. Die Exemtion ist, in durchaus mittelalterlichem Sinn, weiterhin ein Privileg; es wird also vom Herrscher einem ihm U ntergeordneten gewährt. Die Beziehung zwischen 59 SOUVERÄNITÄT IM HÄRTETEST -SELBSTBESTIMMUNG UNTER VERÄNDERTEN VORZEICHEN dem Kaiser und den Eidgenossen ist formal nach wie vor eine reichsrechtlichehierarchische, nicht eine völkerrechtlichgleichwertige. Ferd inand in. entlässt d ie Schweiz nicht in die Souveränität, obwohl Wettstein dieses damals im Deut schen noch ganz ungewohnte Wort in seinen Verhand lungen verwend et und geford ert hat, «eine Lobliche Eidgenossenschaft bey ihrem freyen, souverainen Stand und Herkommen fürbass ruhig und ohnturbirt zu lassen». Diese Terminologie ist dem Eid genossen von französischen Diplomaten ein geflüstert worden. Wettstein möge sich für seine Forderung, vom Reichskam mergericht befreit zu werden, nicht auf d as Reichsrecht und d ie in d iesem Rahmen gewährten Privilegien berufen, sondern auf die Freiheit, «so sie durch das Recht der Waffen erlangt» sei. Die Franzosen bed ienen sich, nicht erst in Westfalen, der Souveränitätslehre, um d as Reich und d amit d ie Habsburger zu schwächen. Die Logik ist einfach. Das Reichsrecht besagt, dass Territorien, d ie einmal zum stets auch heilsgeschichtlich ged euteten Reich gehört haben, ihm nicht entfremdet werden können. Für die Souveränitätslehre d a gegen beruht Herrschaft nicht auf althergebrachten Rechtstiteln, sondern auf d er Fähigkeit, diese faktisch zu behaupten, nicht zuletzt durch Waffengewalt. So kann Frankreich legitimieren, d ass es sich selbst frühere Reichsterritorien in Lothringen oder im Elsass aneignet. Das Reich wird aber auch geschwächt, wenn Teile davon sich für souverän erklären und damit in keiner Weise mehr d em Kaiser unterstellt sind , d er innerhalb d es Reichs keine weiteren Souve räne neben sich d uld en kann. Diese Strategie verfolgen d ie Gesandten Lud wigs xiv. 1648 nicht nur mit Bezug auf die Eid genossenschaft, sondern auch auf die Niederlande, d enen explizit Souveränität zugestand en wird und d ie so den Reichsverband verlassen. Selbst d as End e d es Alten Reichs im Jahr 1806 wird nach d ieser Logik erfolgen: Indem Napoleon im Fried en von Press burg für seine deutschen Verbünd eten Bayern, Bad en und Württemberg d ie Souveränität erlangt, gehören sie völkerrechtlich nicht mehr zum Reich und treten bald auch offiziell daraus aus, so dass Franz 11. als Kaiser abdankt und d as Heilige Römische Reich Deutscher Nation für aufgelöst erklärt.
Fragile Sozialität, 2010
Lektorat: Frank Engelhardt VS Verlag fOr Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschOtzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fOr Vervieltaltigungen, Obersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen-und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden dOrften.
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Christliche Willkommenskultur? Die Integration von Migranten als Handlungsfeld christlicher Akteure nach 1945, 2020
Civitas 49, 12 (1994), p. 297-299, 1994
Jakob Tanner, Als die Schweiz eine andere wurde. Die 1968er Bewegung und die Veränderung der Gesellschaft. Essay in: Sonntagsblick „Magazin ‚68“ (Spezial ‚68 in der Schweiz), 4. März 2018, S. 17-19., 2018
Jakob Tanner, Opposition in der Schweiz, in: Sabine Braunschweig (Hg.), „Als habe es die Frauen nicht gegeben“. Beiträge zur Frauen- und Geschlechtergeschichte, Zürich (Chronos) 2014, S. 219-230., 2014
Jakob Tanner, Interview (mit Reto Wild): Die Neuerfindung der Schweiz als Sonderfall nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Migros-Magazin. Sonderausgabe 75 Jahre, 3. Juli 2017, S. 9-11. https://www.migrosmagazin.ch/die-neuerfindung-der-schweiz-als-sonderfall , 2017
Geschichte der Gegenwart, 2017