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Sozialwissenschaftliche Gewalttheorie heute: Sechs Thesen

Abstract

Verletzt zu werden und andere verletzen zu können, ist eine der Grundbedingungen der menschlichen Existenz. Wir sind dünnhäutig. Es braucht weder viel Kraft noch Geschick, einen anderen gefährlich zu verletzen. Angesichts dessen mag es verwundern, dass Gewalttheorie im engeren Sinne zu den noch jungen sozialwissenschaftlichen Forschungsfeldern zählt. Zwar füllt die Literatur zu Kriegen, Aufständen, Revolutionen und anderen bewaffneten Konflikten seit Thukydides’ Peleponnesischem Krieg Bibliotheken. Doch wird die Frage nach den sozialen Dynamiken der Gewalt in allgemeiner theoretischer Perspektive erst seit den späten 1990er Jahren intensiver diskutiert. In diesen zunächst vor allem deutschsprachigen Debatten geht es aber nicht nur darum, eine Begriffssprache zur differenzierten Beschreibung von Gewaltphänomenen zu entwickeln, sondern immer auch um die Frage, warum die modernen Sozialwissenschaften zu diesem Gegenstand so lange nichts zu sagen hatten. Insofern versteht sich die Arbeit an Theorien der Gewalt immer auch als Beitrag zur kritischen Reflexion des Selbstverständnisses moderner Gesellschaften. Das so entstehende gewalttheoretische Forschungsprogramm ist zwar soziologisch geprägt, aber interdisziplinär. In diesem Artikel sollen die zentralen Einsichten der neueren Gewalttheorie in sechs Thesen vorgestellt werden.