2009, In: Kritikon. Rezensionen zur Philosophie, 10.07.2009.
Um es vorweg zu nehmen: Philipp Sarasin ist mit seinem Buch "Darwin und Foucault" ein überzeugender Wurf gelungen, auch wenn er selbst die Ansprüche niedrig zu halten versucht. Ein Experiment soll es sein, der Versuch einer genealogischen Verkettung zweier Autoren, "die bei aller scheinbaren Verschiedenheit zuerst die ätzende Schärfe ihrer Dekonstruktionen gemeinsam haben" (S. 9). Mit seinem Zugang erweist sich Sarasin einmal mehr als eigenwilliger Interpret Foucaults, von dem hier behauptet wird: "Foucault stammt von Darwin ab" (ebd.). Ungeachtet der foucaultschen Perspektive erscheint das Buch in erster Linie als Beitrag zum Darwin-Jubiläum und soll, wohl jenseits aller erwartbaren Historienspektakel, das "intellektuelle Potenzial" beider Autoren freilegen. "Gerade Darwin scheint angesichts der banalisierten und jedermann bekannten Binsenweisheiten von der ‚Evolution' und vom ‚Überleben des Tüchtigsten' kaum mehr wirklich gelesen zu werden" (S. 11). Auf der anderen Seite hat die Sozial-und Kulturwissenschaft "unter dem Zeichen des siegreichen linguistic turn (...) jede Verbindung zwischen der Welt der Zeichen und jener der Natur aufgegeben" (S. 109). Anhand seiner beiden Protagonisten verfolgt Sarasin angesichts dieser (sicher etwas überzeichneten) Diagnose ein doppeltes Ziel: er argumentiert gegen ein deterministisches Denken, das seines Erachtens als biologistische und kulturalistische Variante weite Bereiche heutiger Wissenschaft prägt. Die Diskussion der beiden Autoren und ihrer Werke erfolgt in sich überkreuzenden Erzählungen und Lektüren, die immer anregend und kurzweilig bleiben, bisweilen sogar spannend werden. Sarasin beginnt mit Darwins Reisen, seiner Sammeltätigkeit und der Evolutionstheorie, diskutiert das genealogische Denken beider Protagonisten, präsentiert deren Diagramme als Visualisierungsformen von Serien, beharrt auf der produktiven Kraft von Ereignissen (auch zerstörerischen) und landet schließlich bei der Diskussion von Foucaults Haltung zur modernen Genetik und (im Anschluss an Foucault) einer Kritik an Judith Butlers Überdeterminierung biologischer Körper durch kulturelle Genderpraktiken. In Bezug auf Darwin geht es Sarasin letztlich darum, eine im Allgemeinen nicht durchdringende Seite seiner Theorie stark zu machen, die den Evolutionsbiologen gleichwohl bekannt sein dürfte. Neben dem survival of the fittest, das gern als Kern der Evolutionstheorie dargestellt wird, existiert mit der sexual selection ein zweiter, als Zeichenprozess zu verstehender Selektionsmechanismus. Das survival of the fittest, aus dem der funktionalistische Kurzschluss abgeleitet wurde, einzig die am besten angepassten und tüchtigsten Individuen seien überlebensfähig, leistet nur einen Beitrag zur Erklärung des Überlebens oder vielleicht besser des Aussterbens von Lebewesen. Es sorgt für die Trennung der Arten, die angesichts einer vielfältigen Variabilität der Individuen, einem Ineinanderfließen von Varianten, sonst gar nicht als solche unterschieden werden könnten. Daneben spielt für die Entstehung der Arten im Sinne der breiten Variabilität ihrer Erscheinungen der im Kern kulturelle Prozess der sexual selection die größere Rolle. Es handelt sich um völlig kontingente Beziehungsspiele zwischen Lebewesen, um die Kritikon -www.kritikon.de