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»Eine ganz ungeheure Grabschrift«

2023, transcript Verlag eBooks

Geben Grabschriften allgemeinhin in Stein gemeißelte Auskünfte über die Toten, die sie bezeichnen, oder begleiten sie diese mit letzten Worten auf den Weg ins ewige Leben, so verhält es sich mit der diesen Beitrag titelgebenden Grabschrift ein wenig anders. Diese steht metaphorisch für den Ausspruch: »Das Recht, das hier Ordnung herausschreit«, 1 der wiederum von Paul Wühr als Grabschrift gedeutet und anschließend in das Originalton-Hörspiel Preislied (1971) übernommen wurde. Hier avanciert, das wird aufzuzeigen sein, »[d]as Recht, das hier Ordnung herausschreit« 2 nicht nur zur Grabschrift seines Sprechers, sondern zu einem kollektiven Epitaph der (post-)nationalsozialistischen Gesellschaft. Auf materieller Ebene stellt »[d]as Recht, das hier Ordnung herausschreit« erst einmal einen von vielen Sprachschnipseln und Satzfragmenten dar, die im Preislied unter Zuhilfenahme neuer Technologien zu einer Zitatmontage kombiniert wurden. Für das Ergebnis dieses Verfahrens wurde Wühr 1972 mit dem renommierten Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnet. Lob bekam er jedoch nicht von allen Seiten. Der Journalist Wilhelm Genazino schrieb ganz dezidiert gegen Wühr in einem Artikel für die FAZ: »Im Original-Ton-Hörspiel reden viele Menschen, aber keiner von ihnen wird transparent. […] Die Sprechenden sind anwesend, aber nicht greifbar. Was sie möglicherweise zu sagen hätten, ist nicht zu hören. Sie teilen etwas mit, aber mitteilen dürfen sie sich nicht«. 3 Genazinos Ausführungen münden in der