2020, KWI-Blog
Auf ein Bier mit Kommissar Maigret blog.kulturwissenschaften.de/auf-ein-bier-mit-kommissar-maigret/ Julika Griem Krise und Gewohnheit scheinen sich auf einen ersten Blick als singuläres Ereignis und wiederholtes Tun gegenüberzustehen. Aber die Ausrufung einer Krise -wie z. B. jener der Geisteswissenschaften -kann auch zur Gewohnheit werden. Und manche Krisen -wie z. B. jene des Klimas -sind zwar längst als lebensbedrohlich anerkannt, doch trotzdem gelingt es uns nicht, schädliche Gewohnheiten zu ändern. Was könnten wir aus der gegenwärtigen Lage über die Bedeutung von Gewohnheiten lernen? Stabilisieren sie soziales Leben oder hemmen sie Reformfähigkeit? Wiegen sie uns in denkfauler Sicherheit oder schaffen sie die Entlastung, die Kontingenzbewusstsein erst hervorbringt? Wie wäre zwischen sinnvollen und sinnwidrigen Routinen zu unterscheiden? Und lassen sich neue Gewohnheiten über Nacht entwickeln, oder brauchen sie Zeit, um sich einzunisten, in Körper und Gruppen, Alltage und Lebensräume? Wie viel Zeit -wenn die Zeit, krisenbedingt, knapp bemessen ist? Mit der Pandemie veränderte sich auch in Deutschland über Nacht vieles, was man eben gerade so machte -nicht nur Arbeiten, Wirtschaften, Regieren, Forschen und Lehren, sondern auch Feiern, Spielen und Ausruhen, Rausgehen und Drinbleiben. "Ways of doing things" im Großen und Kleinen, über die wir nicht nachdenken, weil sie zu funktionieren scheinen: Parteitage und Pressekonferenzen, der Radiosender am Morgen, Lektüre oder anderes zum Einschlafen. Auch beim Lesen interessieren sich viele von uns nicht nur für singuläre Herausforderungen, sondern für die Wiederkehr des Bekannten -wir kennen die Spielregeln des Genres und genießen die minimale Variation, oder auch nur das vorhersehbar Eintretende. Man könnte nun glauben, dass in der Krise, angesichts der Suspendierung so vieler gut eingespielter Routinen, bewährte Lektüre-Gewohnheiten Sicherheit und Trost spenden.