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Krise und Kritik: Über-Arbeiten oder Über-Leben

2010, Femina Politica – Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft

Abstract

Schon der gemeinsame griechische Wortstamm krinein (scheiden, sondern, trennen) verweist auf die inhärente Verknüpfung von Krise und Kritik. Während das griechische krisis Entscheidung, Ausschlag, Trennung bedeutet und somit den Aspekt der Veränderung in sich trägt, bezeichnet krites den Richter und deutet auf Urteilsfähigkeit. Krise und Kritik stehen folglich in enger Beziehung zueinander: Jede Krise nährt Kritik und bedarf ihrer, um sie generierende Problematiken, Widersprüche, Konflikte ebenso wie Potenziale notwendigen Wandels aufzuzeigen. Die Haltung der Kritik charakterisiert Foucault als "Kunst nicht dermaßen regiert zu werden" (Foucault 1992, 12). Was aber bedeutet es angesichts der Vielzahl zu konstatierender gesellschaftlicher Krisen, nicht dermaßen, nicht auf diese Weise regiert zu werden? Diese Frage, die nicht zuletzt die nach dem "guten Leben" impliziert, bezieht der vorliegende Beitrag vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschaftskrise und ihrer Folgen auf Erwerbsarbeit als zentralen, Lebensverhältnisse unmittelbar bestimmenden gesellschaftlichen Regulationsmodus. In Form einer von der Finanzkrise ausgehenden skizzenhaften "Genealogie der Krisen" zeigt der Beitrag die Krise des gegenwärtigen, wesentlich auf Erwerbsarbeit beruhenden Systems von Regierung auf, vor deren Hintergrund "nicht dermaßen regiert zu werden" schließlich zu einer Frage des Überlebens kristallisiert. Ausgangspunkt bildet hierbei Foucaults Begriff der Regierung, der eine Form von Machtausübung bezeichnet, die Individuen durch die Produktion von Wahrheit 1 anleitet, lenkt, führt und so zu Subjekten formt. Regierung umfasst Foucault folgend die Gesamtheit der Institutionen und Praktiken, durch welche Menschen gelenkt werden, sowie sämtliche Prozeduren, Techniken und Methoden, welche die Lenkung von Menschen untereinander gewährleisten (Foucault 1996, 119). Als "Führung der Führungen" zielt sie auf das Verhalten der Menschen. Foucault unterscheidet hierbei unter anderen Herrschafts-von Selbsttechniken. Selbsttechniken ermöglichen es Individuen, mit eigenen Mitteln auf ihre Körper oder ihre Psyche einzuwirken. Sie sind nicht bloßer Ausdruck von Herrschaftstechniken, sie ergänzen oder verstärken sich nicht zwangsläufig, doch bedingen sie sich wechselseitig ebenso wie sie aufeinander einwirken. Mit Regierung verbindet sich folglich nicht bloße Unterwerfung oder Beherrschung von Subjekten, sondern vielmehr deren Hervorbringung. Diese Konzeption von Regierung ermöglicht nicht nur, das Zusammenwirken politischer und ökonomischer Regulation zu erfassen, sondern auch deren Zwangs-und Freiheitskomponenten, wie sie Erwerbsarbeit charakterisieren.