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Grenzen der Sorge

2021, Gesellschaft unter Spannung. Verhandlungen des 40. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie 2020

Wie Würmer im Kompost: Grenzenlose Sorge im Anthropozän Im Kontext des Narrativs einer neuen Epoche der Klima-und Erdgeschichte (Anthropozän), wonach der Mensch selbst zu einem entscheidenden geologischen Faktor (Crutzen, Stoermer 2000) geworden ist, dessen Existenzspuren bis in die tiefsten Gesteinsschichten eingeschrieben sind, wird vermehrt auf eine mangelnde ökologische Sorgekultur (den Planeten betreffend) hingewiesen. Damit geht ein Wandel im Verständnis von Sorgebeziehungen hin zu einer dezidiert posthumanistischen Konfiguration einher, die Versuche beinhaltet, ein Sorgekonzept zu etablieren, "das auch nicht-menschliche Entitäten als sorgetragende Akteure einschließt" (Block 2020, S. 239). War der Sorgebegriff im feministischen Care-Diskurs der 1980er und 1990er Jahre noch durch starke anthropologische Prämissen geprägt, indem Sorgebeziehungen nur als unter Menschen stattfindend bestimmt werden (Conradi 2001, S. 45), so weiten Joan Tronto und Berenice Fisher den Geltungsbereich von Sorgetätigkeiten erheblich aus: Mehr-als-menschliche 1 Entitäten können in ihrer Definition von Care 2 ebenso Gegenstand fürsorglicher Praxis sein. Care beschreibt dann "a species activity that includes everything that we do to maintain, continue, and repair our 'world' so that we can live on it as well as possible. That world includes our bodies, our selves, and our environment, all of which we seek to interweave in a complex, life-sustaining web" (Tronto, Fisher 1990, S. 40, Herv.i.O.). Anhand dieser Definition wird Care aus der genderkodierten Vorstellung intim-mütterlicher Fürsorglichkeit, die sich auf zwischenmenschlicher Ebene als ethischer Maßstab manifestiert (Gilligan 1996; Noddings 1984), herausgelöst und ausgeweitet auf sämtliche, unterschiedlichste Tätigkeiten, "that we do to maintain, continue, and repair our 'world'" (Tronto, Fisher 1990, S. 40, Herv.i.O.), die nicht nur zwischenmenschlich stattfinden, sondern auch auf die Umwelt bezogen sein können. Um Care 1 Die gewählte Formulierung "mehr-als-menschlich" ("more than human", Puig de la Bellacasa 2017, S. 1) soll im Gegensatz zum gängigen Begriff "nicht-menschlich" die (positiv) erweiternde und nicht die abgrenzende Bestimmung (per Negation) in Bezug auf menschliche Entitäten betonen. 2 Im Folgenden werden die Begriffe Care und Sorge synonym verwendet. Der Begriff Care referiert besonders auf die aus dem angloamerikanischen Kontext stammende feministische Debatte der 1980er Jahre, dessen Ziel darin bestand, entlang der Frage nach einer gerechten Verteilung von Pflege-, Betreuungs-und Care-Tätigkeiten auf Machtasymmetrien zwischen den Geschlechtern aufmerksam zu machen (Ostner 2011). Einhergehend mit einer zunehmenden Entgrenzung des Forschungsdiskurses verweist Care aber auch auf Sorgetätigkeiten, die nicht primär innerhalb des Kontexts der Geschlechterfrage diskutiert werden, wie z.B. die Sorge um Tiere, Pflanzen etc.