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Identitäten im Prozess

2015, De Gruyter eBooks

Abstract

Die Publikation "Identitäten im Prozess. Region, Nation, Staat, Individuum" ist der sechste Band in der Reihe der "Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Hamburg". Seit 2011 erscheinen die Publikationen dieser Reihe in lockerer Folge im Verlag De Gruyter. Ihre Inhalte und Erscheinungsformen spiegeln die fächerübergreifende und vielfältige Arbeit unserer Akademie. Dem Verlag und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, namentlich Frau Julia Brauch, danke ich an dieser Stelle für die stets konstruktive, flexible und geduldige Zusammenarbeit. Der vorliegende Band dokumentiert die Ergebnisse der Akademie-Arbeitsgruppe "Region, Nation, Europa. Merkmale ihrer Identität", die ihre Arbeit inzwischen abgeschlossen hat. Die darin enthaltenen Beiträge beruhen auf Vorträgen, die im Rahmen der von der Arbeitsgruppe organisierten Veranstaltungen gehalten und aufgrund der anschließenden Diskussionen erweitert und aktualisiert wurden: Zum einen in der Akademievorlesungsreihe mit dem Titel "Konstruktion von Identitäten", zum anderen auf einem Symposium zum Thema "Identitäten im Prozess". Akademie-Arbeitsgruppen wie die genannte sind das Kernelement der Akademie-Arbeit, denn die Akademie der Wissenschaften in Hamburg ist-anders als die anderen Wissenschaftsakademien in Deutschland-nicht in Klassen organisiert, sondern in interdisziplinären Arbeitsgruppen. In diesen konzipieren und bearbeiten ihre Mitglieder zeitlich befristet Projekte zu wissenschaftlichen Grundsatzproblemen und gesellschaftlich bedeutenden Zukunftsfragen und legen die Ergebnisse dann in Form von Publikationen wie dieser vor. Gern nehme ich diese Veröffentlichung zum Anlass, den Mitgliedern Gabriele Clemens, Silke Göttsch-Elten, Anna Margaretha Horatschek, Ulrike Jekutsch und der Sprecherin der Arbeitsgruppe, Anja Pistor-Hatam zu danken. Alle fünf haben die erste Akademievorlesungsreihe bestritten, deren Vortragende ausschließlich Akademiemitglieder waren, und sie haben gemeinsam diesen Band organisiert und redigiert.

Key takeaways

  • Als wichtigstes Instrument für die Repräsentation und Verknüpfung disparater und nicht selten widersprüchlicher Momente zu einem in sich verhältnismäßig widerspruchsfrei konstruierten individuellen oder auch kollektiven Identitätsbild gilt gemeinhin das emplotment, das heißt die (verbale) Verknüpfung von Ereignissen, Merkmalen, Projektionen, Interessen, Ängsten und Erwartungen zu zeitlich und strukturell organisierten Handlungssequenzen und Beziehungsmustern durch eine plausible Erzählung.11 Für Paul Ricoeur führt erst die textuelle Konfiguration der ‚narrativen Identität' die Aspekte der Selbigkeit und der Selbstheit der individuellen Erfahrung, also das Bewusstsein der Kontinuität durch zeitliche Veränderungen hindurch (idem) und die Selbstwahrnehmung, dass ich es bin, die erlebt (ipse), zusammen.12 Mit Bezug auf die Konstruktion einer kohärenten individuellen Identität kommt der (Auto)Biographie diese ordnende, beziehungsstiftende und repräsentierende Rolle zu, für kollektive Identitäten übernimmt die Geschichtsschreibung unter anderem die Legitimierung von identitätspolitischen Interessen durch die selektive Aneignung, Darstellung und Perspektivierung des historischen Materials (vgl.
  • Ob jedoch die eigens zu diesem Zwecke produzierten Filme tatsächlich zu einer gemeinsamen europäischen Identität führten, lässt sich mangels entsprechender Daten für die 1950er und 1960er Jahre nicht beantworten.
  • Wenn es nicht mehr der Ort, der Stamm, der Clan oder die Familie, der Glaube oder eine Ideologie, fest verankerte und von Generation zu Generation weitergegebene kulturelle Traditionen, der Schatz an sinngebenden Mythen und Symbolen oder auch die großen nationalen Narrative sind, die Identität entstehen und sichern helfen, dann öffnet sich eine Welt der vielfältigsten Selbstverwirklichungs-Optionen wie eine Art gigantischer Wundertüte, wie ein Selbstbedienungswarenhaus für die Befriedigung individueller Lebensstile und Identitätsbedürfnisse.
  • Wie die u. a. von Jan Assmann initiierte und von ihm und anderen breit ausgefächerte Forschung zu kulturellen Identitäten und Erinnerungsräumen seit Ende der 1980er Jahre herausgestellt hat, ist kulturelle Identität immer als ein gesellschaftliches, in Auseinandersetzung mit und Abgrenzung zu anderen entstandenes Konstrukt und somit als eine kollektiv konstruierte zu betrachten, die "auf der Teilhabe an einem gemeinsamen Wissen und gemeinsamen Gedächtnis" beruht.1 Kollektive Identität wird als "das Bild" verstanden, "das eine Gruppe von sich aufbaut und mit dem sich deren Mitglieder identifizieren"; sie "ist eine Frage der Identifikation seitens der beteiligten Individuen".2 Ein weiterer Aspekt ist für den hier zu untersuchenden Gegenstand besonders relevant: Zum Aufbau eines kulturellen Gedächtnisses gehört nicht nur die Bewahrung der Erinnerung, der Aufbau einer Erinnerungskultur, die besondere, Gemeinsamkeit stiftende Ereignisse hervorhebt, sondern auch die Lücke in der Überlieferung und der Bruch mit der Tradition, der zugleich eine Anknüpfung an andere, frühere Zeiten und die Rekonstruktion zuvor marginalisierter Aspekte der Vergangenheit, die Konzentration auf Fixpunkte der Geschichte, auf Erinnerungsfiguren wie Exodus, Exil, Landnahme usw.
  • arabisch-semitischen Nationen in den Kreis der zivilisierten Welt aufrücken.3 Während nach islamischem Verständnis die vorislamische als eine Zeit der "Unwissenheit" gilt, die durch die Offenbarung des im Koran enthaltenen Wissens abgelöst wird, deuteten nationalistische Vordenker im Umkehrschluss die vorislamische Zeit als Zeitalter der "Aufklärung", deren Niedergang durch die arabischen Eroberungen herbeigeführt wurde.4 Obwohl die Mehrheit der Bevölkerung im damaligen Iran der Kadscharen (1779Kadscharen ( -1925 solchen Ideen nicht folgte -in der Mehrzahl sicherlich nicht einmal davon wußte -und obwohl sich viele iranische Reformer und Intellektuelle als Muslime verstanden und ganz andere Gründe für Irans politische, wirtschaftliche und militärische Schwäche ausmachten,5 wurden der Ariermythos und der Rückgriff auf die Achaimeniden während der Pahlavi-Ära (1925Pahlavi-Ära ( -1979 als grundlegender Bestandteil einer iranisch-nationalen Identität übernommen, an Schulen und Universitäten gelehrt und in öffentlichen Ritualen gefeiert.6 Bedienen konnten sich die Konstrukteure dieser Form des iranischen Nationalismus auch bei nichtiranischen Autoren wie dem deutschen Archäologen und Altorientalisten Ernst Herzfeld , der die Ansicht vertrat, die iranische "Nation" sei als geographische und politische Einheit zur Zeit der Achaimeniden und ihrem "Reich der Arier" entstanden.