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Formen, Kreise, Diagramme. Bemerkungen zur Notation von „Formen“

Soziale Systeme

Abstract

Zusammenfassung Welche Rolle spielen die aus vielen Texten der Systemtheorie vertrauten „Form“-Figuren? Der vorliegende Beitrag beobachtet an theorieüblichen Selbstbeschreibungen der Rolle der „Formen“ vorbei den tatsächlichen Gebrauch dieser „Formen“ in ihren unterschiedlichen Notationsweisen. Der Umgang mit den „Formen“ ist in dieser Perspektive kein Anwenden eines Kalkül des Sozialen. Die Formen fungieren nicht als logische Ausdrücke. Vielmehr lassen sich, so die These, diese Figuren als Diagramme deuten, die der Systemtheorie, wie Wittgensteins „Sprachspiele“ in der Sprachphilosophie, als Vergleichsobjekte dienen. In diesem Sinne macht der Beitrag den Vorschlag, den diagrammatischen Umgang als eine fruchtbare heuristische Praxis zu begreifen, als eine (systemtheoretische) Form von Design Thinking.

Key takeaways

  • In der der primären Algebra der Laws of Form beziehen sich die Buchstaben, die jener Hinweis ("Nichts hindert uns daran, …") als "Variablen" deutet, allerdings nicht auf Begriffe, soziale Errungenschaften oder sonst irgendwelche Lagen in der Welt, auch nicht auf unterschiedliche Unterscheidungen,8 sondern nur auf die (Einheit der) first distinction zwischen markiertem und unmarkiertem Zustand dergestalt, dass die Variablen nur anzeigen, dass unterschieden wurde, dabei aber unbestimmt lassen, "auf welchen Zustand der Ausdruck als ganzes zurückführbar ist" (Lau 2005, 74).9 So besehen fungieren die Kleinbuchstaben der primären Algebra etwa nicht als Variablen, sondern als Parameter, vergleichbar den Hilbertschen "Mitteilungszeichen" der Metamathematik, die anzeigen, dass in dem Kontext, über den gesprochen wird, konkrete Zahlzeichen bekannt sein sollen, sie aber in dem metamathematischen Kontext selbst unbekannt bleiben (Tapp 2006, 158).
  • Überträgt man dieses Programm auf die Gestaltung von Zwei-Seiten-Formen, sind die Form-Figuren nicht "direkte", also durch Namens-Einsetzungen in die Formeln der Laws of Form in Betrieb genommene Durchführungen eben jener mathematischen Form-Gesetze, sondern diese dienen als Vergleichsmuster für jene Verhältnisse, die die Soziologie im Sinne einer qualitativen Sozialforschung tatsächlich beobachtet, indem sie die registrablen Kommunikabilien, das laufend Gesagte und beiläufig Vorgezeigte, das zufällig Bewegte ebenso wie das routiniert Hergestellte, als Spuren von anschlussverketteten Unterscheidungen deutet.
  • Der Vorschlag lautet, die Form-Figuren, seien sie mittels einer barre oblique oder den Spencer-Brownschen Queren notiert, nicht als Formalisierungen zu begreifen, nicht als Vorarbeiten zu einer noch zu bauenden Kalkül des Sozialen, sondern als diagrammatische Symbolisierungen.19 Unter Symbolisierung sei hier20 die Transkription von normalsprachlichen Ausdrücken in Spezialzeichenschriften verstanden (das einschlägige Beispiel ist die phonetische Schreibweise).
  • Aber wenn die Wand, die Membran, die Linie die Grenze bilden, wo ist dann die Grenze dieser Grenze, deren Rand?
  • den Konsens der gemeinsamen (Drauf)Sicht, ebenso wenig wie die Entwürfe und Studien des Industrie-Designs nicht schon die Serienproduktion ersetzen; das Erarbeiten von und Diskutieren mittels Formendiagrammen kann aber als zusätzliche Methode dazu beitragen, durch vergleichende Orientierung an sichtbaren Relationen kontrollierte begriffliche Unterscheidungen zu treffen, um so eine "vernünftige Basis für gemeinsame Argumentation zu konstituieren" (Stekeler-Weithofer 1986, 61).