Um von öffentlicher Beobachtung zu sprechen, muss nicht erst beim Überwachungsskandal der NSA ang... more Um von öffentlicher Beobachtung zu sprechen, muss nicht erst beim Überwachungsskandal der NSA angesetzt werden. Jeden Tag zur besten Sendezeit präsentiert das Fernsehen Formate, in denen sich Menschen scheinbar bewusst zur Schau stellen und tiefe Einblicke in ihr Leben und ihre Persönlichkeit geben, in die der Zuschauer mit großer Freude eindringt. Ob es sich dabei nun um eine Reality-Soap oder eine Reality-Show handelt spielt fast keine Rolle, in beiden Fällen steht das Sich zur Schau stellen und -gestellt werden im Zentrum des Geschehens. Immer wieder kommt es dabei zu Situationen, die mittlerweile ein gängiges Bild der Unterhaltungsindustrie darstellen:
Einleitung "Schon nach ein paar Augenblicken hatte ich einen Kloß im Hals, und nach einigen Minut... more Einleitung "Schon nach ein paar Augenblicken hatte ich einen Kloß im Hals, und nach einigen Minuten ungläubigen Staunens habe ich einfach meinen Gefühlen freien Lauf gelassen und hemmungslos drauflos geflennt. Das war mir vorher noch nie passiert... Im Leben schon, durchaus auch mal im Kino, aber nicht beim Zuschauen einer einstudierten Inszenierung, geschweige denn einer Choreographie." 1 Mit diesen Worten kommentierte Wim Wenders seinen ersten Kontakt zu der Tanzkunst Pina Bauschs im Jahre 1985. Seit dem war er ein treuer Anhänger und kurz darauf auch guter Freund der Choreographin. Schon bald packte Wenders die Idee das von Pina Bausch geleitete Wuppertaler Tanztheater auf die Leinwand zu bringen, jedoch tat er sich schwer mit der Übertragung von "Bauschs einzigartige[r] Kunst aus Bewegung, Gestik, Sprache und Musik" 2 in die mediale Form des Filmes. Erst 2007 erkannte Wenders eine Möglichkeit der Umsetzung seiner Vision: er produzierte den Film in 3D. Der im Jahre 2011 ins Kino gekommene Film Pina ist aufgrund des plötzlichen Todes Pina Bauschs kurz vor den Dreharbeiten eine Hommage an diese bedeutende Choreographin geworden. Der Film zeigt Ausschnitte aus verschiedenen Bühnenstücken der Wuppertaler Tanzgruppe, gepaart mit Sequenzen alter Probenmitschnitte, Erfahrungsberichte der Gruppe, sowie zahlreiche Soloauftritte der Tänzer, welche in Wuppertal und naher Umgebung aufgezeichnet wurden. Dass Wenders Pina nur in 3D produzieren wollte, ist vermutlich mit der immensen Bedeutungskraft, die Pina Bausch der körperlichen Präsenz ihrer Tänzer zurechnete zu begründen. Wie das Zitat von Wim Wenders bereits aufgezeigt hat, handelt es sich bei den Choreographien Pina Bauschs um äußerst emotionsgeladene und atmosphärische Stücke. Die Frage, die mich nun in der vorliegenden Arbeit beschäftigen wird, ist, inwieweit es möglich ist, diese ansonsten nur dem Theater inhärente Atmosphäre durch die 3D-Simulation auf den Film zu übertragen. Die technische Dimension des 3D-Films möchte ich dabei nur sehr minimiert abhandeln, da es mir vorrangig um die Übertragung ästhetischer Wahrnehmungsmuster vom Theater auf den Film gehen wird. Beginnen werde ich also mit einem Vergleich bzw. einer Ausdifferenzierung der Wahrnehmungsweisen im Film und Theater. Darauf folgend werde ich mich theoretischen Konzepten der Atmosphäre im Theater widmen, wobei ich außerdem eine Abgrenzung zu Walter Benjamins Aura vornehmen werde, um aufzuzeigen, dass ein klassischer Film zwar eine Aura, nicht jedoch eine Atmosphäre haben kann. Um zu verdeutlichen inwiefern eine Atmosphäre im 3D-Film 1 Wim Wenders, Auf: http://www.pina-film.de/de/ueber-den-film.html 2 Ensteheung, Auf: http://www.pina-film.de/de/ueber-den-film.html 1 unter Umständen entstehen kann, ist es notwendig eine Erklärung und Analyse des Begriffs der Simulation folgen zu lassen, wobei ich diese erst von der tradierten nachahmenden Kunst, der Mimesis abgrenzen und dann auf den 3D-Film anwenden werde. Danach werde ich anhand von Pina versuchen aufzuzeigen, inwiefern Wim Wenders durch die Verwendung des 3D-Filmes die theatrale Atmosphäre simuliert. Der Klarheit halber werde ich mich dabei auf die Sequenz beschränken, in der Ausschnitte aus Pina Bauschs berühmtesten Stück Le Sacre du Printemps gezeigt werden. In diesem Zuge werde ich zuletzt auf die Immersion als fundamentales Element der gelungenen Simulation einer Atmosphäre eingehen, worin meine Arbeit ihren Abschluss findet. Die Differenzen des filmischen und theatralen Blicks 2.1 Der filmische Blick Grundsätzlich kann man behaupten, dass sich Film und Theater darin ähneln, eine bestimmte Handlung von Körpern im Raum darzustellen bzw. abzubilden. Abgesehen von der Möglichkeit, aufgrund der Mobilität in der Filmproduktion narrative Strukturen in der Darstellung einer Handlung ändern zu können, geht es in der Frühphase des Filmes zu aller erst darum, die Inszenierungsweisen der neu gewonnenen Räume zu erforschen. Gewohnt an eine chronologische Abfolge von Bewegungen auf der räumlich vom Zuschauer abgegrenzten Bühne, orientierte sich auch die anfängliche professionelle Filmproduktion an diesem "theatralischen Blick" 3 . Tatsächlich wurde die durch den Film gewonnene Unabhängigkeit von der Bühne zuallererst genutzt, um Theaterstücke an Originalschauplätzen oder in akribisch gefertigten Dekorationen zu drehen 4 . Sehr bald merkten die Filmemacher jedoch, dass diese Produktionsform nicht sonderlich wirkungsvoll war, da sie stets von dem Versuch einer Imitation des Blicks auf die Bühne geprägt war. Es zeigte sich also, dass "[w]eder für das Verständnis des Films, noch für das seiner natürlich vorhandenen Beziehung zum Theater (…) [die ursprünglich vermutete enge Verwandtschaft zwischen den beiden Kunstformen] fruchtbar zu machen [war]". 5 Das anfängliche Gefühl eines scheinbaren Defizits in der Darstellungsästhetik, konnte sehr bald umgewandelt werden, in den Gewinn einer neuen gestalterischen Freiheit, welche durch die Unabhängigkeit vom Bühnenraum zustande kam. In den 1920er Jahren war es George Méliès, der die Möglichkeit erblickte, Filmszenen aneinander zu reihen und damit eine illusionistische Dimension der Darstellung zu entwerfen. Dies war der Beginn der Multiperspektivität, wie wir sie heute vom Film kennen. 3 Richterich, S. 18 4 Ebd., S. 18 5 Ebd., S. 42 2 Durch die Montage im Film war es plötzlich möglich, verschiedene Szenarien an unterschiedlichen Orten zu verknüpfen, oder, wie auch Ritterrich zitiert: "Der Film hat (durch den Schnitt, das heißt durch den Wechsel der Einstellung, die die Grundeinheit des Filmaufbaus ist) die Möglichkeit einer allegorischen oder diskontinuierlichen Verwendung des Raums" 6 . Noch bedeutsamer als die neu gewonnene Unabhängigkeit vom Raum, ist jedoch die veränderte Zeitwahrnehmung, welche nun durch die simultane Verknüpfung verschiedener Handlungsabschnitte zustande kommt 7 . Die Darstellung und Wahrnehmung von Zeitabläufen war plötzlich nicht mehr gebunden an die Bewegung von Körpern im Raum, sondern in der Lage unterschiedliche Gegenwarten abzubilden und damit die "lokalzeitlich und räumlich begrenzte Anschauung" 8 zu überwinden. Man kann also sagen, dass die Ungebundenheit an chronologische raumzeitliche Abfolgen im Film die Darstellungsmöglichkeiten von Handlungsverläufen erweitert, indem sie raumzeitlich weit auseinander liegende Faktoren zusammen bringt und verdichtet und damit sozusagen eine Neuformation der (abgebildeten) Wirklichkeit" 9 vornimmt. Durch die selektive Wiedergabe eines Geschehens im Film ist es also möglich, den Blick und Fokus des Zuschauers komplett zu lenken und damit die Wahrnehmung und Rezeption zu beeinflussen. Nach Bina Elisabeth Mohn ist es gerade der selektive Umgang mit dem Bildmaterial, der dazu führt, dass paradoxerweise "anschließend mehr und nicht weniger auf dem Videomaterial sichtbar wird", denn: "Die Kunst des Sehens und Zeigens ist immer auch eine des Weglassens und Nicht-Zeigens." 10
Bild sei, o Fremdling, als das einem Wahren ähnlich gemachte andere derartige? Platon 1 Die Frage... more Bild sei, o Fremdling, als das einem Wahren ähnlich gemachte andere derartige? Platon 1 Die Frage, was ein Bild sei und wie es zu bestimmen ist, existiert seit der frühsten Philosophie und hat bis heute seine Brisanz nicht nur nicht verloren, sondern im Zuge der Entwicklung der technischen und digitalen Medien geradezu eine Renaissance bei Philosophen und Medienwissenschaftlern erlebt. Vilém Flusser, einer der bedeutendsten Kommunikationswissenschaftler seiner Zeit, hat ebenfalls die Frage um das Bild und seinen modernen Bedeutungswandel mit ins Zentrum seiner kommunikationstheoretischen Betrachtungen gestellt. In einer stets sehr selbstbezogenen und essayistischen Schreibeweise zeigt Flusser einen vom Bild ausgehenden historischen Wandel der menschlichen Kommunikation auf und verweist anhand dessen auf einen kulturellen und gesellschaftlichen Wandel. Demnach steuere die Menschheit auf eine Apokalypse zu, lerne sie nicht, sich aus der Bilderflut der unentschlüsselbaren Technobilder zu befreien und sich im neuen, dialogischen Verständnis zur telematischen Gesellschaft zu transformieren. Insofern zeigt Flusser zweifellos positive Optionen in der Entwicklung neuer Bild-und Kommunikationsformen auf, indem die telematische Gesellschaft in der Lage wäre die Bilderflut selbstverantwortlich und kritisch zu hinterfragen und eine aufgeklärte, informierte Gemeinschaft bilden könnte. Zuallererst gelte es jedoch, das gegenwärtige System zu reformieren. Besonders interessant und einer Untersuchung wert sind diese Ansätze im Hinblick auf die kurz nach seinem Tod ( † 1991) um sich greifende globale Vernetzung durch das Internet und eine damit möglicherweise verbundene dialogische Verständigung und Demokratisierung medialer Diskurse. Ich werde in dieser Arbeit jedoch ausschließlich Flussers Ausführungen hinsichtlich der vortelematischen Gesellschaft diskutieren, also seine Beobachtung einer Gesellschaft, die, verloren in der unbegreiflichen Bilderflut, auf ihr Ende zusteuere. Dabei wird es mir vor allem um die Dominanz des Flusserschen Bildbegriffes in Bezug auf seine kommunikologischen Diskurse gehen sowie um daraus resultierende Folgen für die beteiligten Kommunikatoren. Obgleich Flusser sich einer entsprechenden Begrifflichkeit nicht bedient, scheint er nämlich die machtausübende Position 1 Platon. In: Böhme (1999), S. 13 1 und Wirkung des technischen Bildes als ein System der Repression zu beschreiben, das sich sowohl auf den Empfänger, als auch auf den Bildschaffenden selbst auswirkt. Meine Absicht ist es, aufzuzeigen, dass Flussers anthropomorpher Medienbegriff 2 vorrangig instrumentell fokussiert ist und damit mögliche apparatexternen Einwirkungsfaktoren ausschließt, was im Hinblick auf ein sozial ausgerichtetes Kommunikationsmodell meines Erachtens ein schweres Unterfangen ist. Indem Flusser also von einer lenkenden und manipulierenden Kraft des Technobildes ausgeht und den neuen Code als für jeden unentzifferbar darstellt, missachtet er jegliche Möglichkeit der bewussten Bildmanipulation seitens der Erzeuger und verleiht dem Apparat damit eine mystische Allmacht. Im Aufzeigen der Möglichkeit einer von außen einwirkenden Kraft in der Erzeugung der Bilderflut, werde ich -auch wenn dies in diesem Themenfeld durchaus angebracht erscheintkeinen Machtdiskurs öffnen. Stattdessen möchte ich entsprechend von mir verwendete Begriffe im Sinne Elena Espositos verstanden wissen, d.h., als Persuasion bzw. Einfluss. Dass man von einer vom Bild ausgehenden und auf den Empfänger wirkenden Repression sprechen kann, geht meines Erachtens aus den Formulierungen Flussers hervor, was in meinen Ausführungen und Beispielen deutlich werden soll. In der Erläuterung der Wirkung und des Ausmaßes der Technobilder trifft Flusser an wenigen Stellen eine Unterscheidung zwischen den einzelnen tatsächlichen und den von ihm konkret gemeinten Medien. Daher ist es wichtig an dieser Stelle zu bemerken, dass ich in meinen Ausführungen zumeist vom Fernsehen ausgehe, da dies zum einen das anschaulichste Beispiel des von Flusser angeführten Amphitheaterdiskurses ist und zum anderen, wie Spangenberg sagt: es ihm [dem Dispositiv Fernsehen, I.K.] weiterhin gelingt, die Konkurrenz um die soziale wie individuelle Aufmerksamkeit in eine hinreichend dynamische und hinreichend strukturkonstante, "kanalisierte" Form zu bringen, womit "Erwartbarkeiten und Nicht-Erwartbarkeiten sozialer wie individueller Wissens-und Erfahrungsvoraussetzung zugleich strukturplastisch und -stabil gehalten werden. Somit ist das Fernsehen besonders im Hinblick auf eine sozial ausgerichtete Analyse von Kommunikationssystemen der Massenmedien ein zuträgliches Untersuchungsobjekt. Nicht zuletzt soll diese Arbeit eine kritische Betrachtung des von Flusser verwendeten Codebegriffs darstellen, indem dieser nach Flusser im Technobild stets selbstreferenziell bleibt und durch eine von ihm selbst ausgehenden Dynamik die Wirkungsweise des Bildes bestimmt. Auch hier soll sich zeigen, dass es eine mögliche, von außen einwirkende und den Code vorerst prägende Instanz zu 2 In den folgenden Ausführungen ist zu beachten, dass Flusser die Begriffe "Bild" und "Massenmedium" oftmals synonym verwendet (Vergl. Flusser (1996) S. 29, Flusser (2007) S. 262 u.a.). Dies hat natürlich weitreichende Folgen für andere Bild-und Medientheorien, worauf ich jedoch nicht weiter eingehen werde. Dennoch sei auf diese Begriffsverwendung auch im Hinblick auf meiner weiteren Ausführungen hingewiesen. 2 berücksichtigen gilt. 2 Die codierte Welt nach Flusser 2.1 Der Code Für Flusser stellt das technische Bild eine Entfremdung des Menschen von der Natur dar. Bereits die Anfänge der Kommunikation sind für ihn der Versuch, die Spaltung des Menschen von der natürlichen Welt aufzuheben und den verlorenen Kontakt mit der Bedeutung der Symbole wieder herzustellen. Als verfremdetes Tier 3 suche der Mensch also stets nach Möglichkeiten, der ihn umgebenden Erscheinungen Bedeutung zu verleihen und damit der Sinnlosigkeit der Welt und dem Tod 4 zu entgehen. Dieser existenzielle Ausgangspunkt veranlasste den Menschen also, die Welt um sich herum zu codieren, das heißt, sich ein System aus Symbolen zu konstruieren, um seine Erkenntnisse zu teilen und das Kollektiv in seiner Sinnfindung voran zu treiben 5 . Die Codierung der Welt ist damit für Flusser Ausgangspunkt und Voraussetzung der Entstehung einer Kultur, indem sich der Mensch von der natürlichen Welt abwendet. So sagt er, die Symbolisierung natürlicher Erscheinungen muß aus dem Menschen eine ganz neue Art Tier gemacht haben, welches absichtlich Symbole zu Codes ordnet, um erworbene Informationen zu speichern und dadurch die Welt zu leugnen. 6 Die Symbolisierung und Codierung der Welt dient also zum einen dazu, der Welt Sinn zu verleihen, zum anderen aber auch der zwischenmenschlichen Kommunikation. Diese hat im Laufe der Menschheitsgeschichte eine immense Wandlung erfahren, was an der Weiterentwicklung und zunehmenden Komplexität der verwendeten Codes liegt. 2.2 Vom Tafelbild zum Technobild Als einer der ersten Formen der Codierung erachtet Flusser die Höhlenmalerei. In Codes wie 3 Flusser (1997), S. 23 4 Flusser (2007), S. 260 5 Flusser spricht zwar von einer dem Menschen eingeborenen Einsamkeit (Vergl. Kommunikologie S. 259 ff), die er in der Kommunikation nur überbrückt, um sich im Mitsein mit anderen unsterblich zu machen, ob die Kommunikation jedoch tatsächlich antinatürlich ist, da sie dazu dient den Tod zu leugnen und nicht vielmehr einem hoch entwickelten, komplexen aber natürlich evolutionärem Arterhaltungsstreben entspringt, wäre diskussionsbedürftig. 6 Flusser (2007), S.74 3 diesen, erkennt Flusser eine direkte Abbildung der Bedeutung der Welt. Die Botschaft des Bildes kann mit einem Blick erfasst werden und ist damit synchronisch und oberflächlich 7 bzw. zweidimensional. Indem solche Bilder die Welt im wahrsten Sinne des Wortes imaginieren, wird eine natürliche Sachlage in eine Szene gefasst, welche vom Betrachter auf magische 8 Weise dekodiert werden kann und einen direkten Rückschluss auf die ursprüngliche Sachlage zulässt. Die in der Kommunikationsgeschichte folgende Entwicklung der Schrift brachte demnach einen welterschütternden Umbruch mit sich. Szenen wurden nun nicht mehr dargestellt, sondern erklärt, um nicht mehr flächig sondern linear wahrgenommen werden zu können. Somit verweist ein Text nicht mehr auf einen konkreten Umstand, stattdessen entwickelte der Mensch mit der Schrift eine lineare Wahrnehmung, indem sich die Botschaft sukzessive während des Prozess des Lesens ergibt. Diese Wendung stellt für Flusser daher auch den Zeitpunkt der Entstehung eines menschlichen Geschichtsbewusstseins, sowie der Wissenschaft und Technik dar, indem nun die eindimensionale Stufe des Begreifens und Erzählens erreicht sei. Einher geht diese Entwicklung jedoch auch mit einer weiteren Verfremdung von der Welt, indem der Mensch sich in seinen Codierungen immer mehr von der ursprünglichen Bedeutung und Erscheinung des Dargestellten bzw. des Signifikanten entfernt. Der nächste Entwicklungsschritt in der menschlichen Codierung der Welt war die Herstellung von Technobildern, also die technische Herstellung und teilweise auch Verbreitung von Bildern. Bereits zu Zeiten Flussers war von einer Bilderflut die Rede, welche der Welt eine völlig neue und bunte 9 Bedeutung zu geben schien. In diesem Zusammenhang wäre es geradezu nahe liegend, die wieder aufkommende Dominanz der bildlichen Darstellung als eine magisch-mystische Rückkehr zu dem kommunikativen Urzustand zu betrachten. Der gravierende Unterschied ist nach Flusser jedoch, dass es sich bei vor-modernen Bildern um Produkte des Handwerks 10 , bei nach-modernen hingegen um Produkte der Technik handelt. Was bei einem technischen Bild vorliegt, ist nicht eine direkte Darstellung eines zu entschlüsselnden Umstandes, sondern vielmehr eine Verbildlichung von Begriffen. Technische Bilder sind nach Flusser Modelle, welche auf einer Reihe von...
Um von öffentlicher Beobachtung zu sprechen, muss nicht erst beim Überwachungsskandal der NSA ang... more Um von öffentlicher Beobachtung zu sprechen, muss nicht erst beim Überwachungsskandal der NSA angesetzt werden. Jeden Tag zur besten Sendezeit präsentiert das Fernsehen Formate, in denen sich Menschen scheinbar bewusst zur Schau stellen und tiefe Einblicke in ihr Leben und ihre Persönlichkeit geben, in die der Zuschauer mit großer Freude eindringt. Ob es sich dabei nun um eine Reality-Soap oder eine Reality-Show handelt spielt fast keine Rolle, in beiden Fällen steht das Sich zur Schau stellen und -gestellt werden im Zentrum des Geschehens. Immer wieder kommt es dabei zu Situationen, die mittlerweile ein gängiges Bild der Unterhaltungsindustrie darstellen:
Einleitung "Schon nach ein paar Augenblicken hatte ich einen Kloß im Hals, und nach einigen Minut... more Einleitung "Schon nach ein paar Augenblicken hatte ich einen Kloß im Hals, und nach einigen Minuten ungläubigen Staunens habe ich einfach meinen Gefühlen freien Lauf gelassen und hemmungslos drauflos geflennt. Das war mir vorher noch nie passiert... Im Leben schon, durchaus auch mal im Kino, aber nicht beim Zuschauen einer einstudierten Inszenierung, geschweige denn einer Choreographie." 1 Mit diesen Worten kommentierte Wim Wenders seinen ersten Kontakt zu der Tanzkunst Pina Bauschs im Jahre 1985. Seit dem war er ein treuer Anhänger und kurz darauf auch guter Freund der Choreographin. Schon bald packte Wenders die Idee das von Pina Bausch geleitete Wuppertaler Tanztheater auf die Leinwand zu bringen, jedoch tat er sich schwer mit der Übertragung von "Bauschs einzigartige[r] Kunst aus Bewegung, Gestik, Sprache und Musik" 2 in die mediale Form des Filmes. Erst 2007 erkannte Wenders eine Möglichkeit der Umsetzung seiner Vision: er produzierte den Film in 3D. Der im Jahre 2011 ins Kino gekommene Film Pina ist aufgrund des plötzlichen Todes Pina Bauschs kurz vor den Dreharbeiten eine Hommage an diese bedeutende Choreographin geworden. Der Film zeigt Ausschnitte aus verschiedenen Bühnenstücken der Wuppertaler Tanzgruppe, gepaart mit Sequenzen alter Probenmitschnitte, Erfahrungsberichte der Gruppe, sowie zahlreiche Soloauftritte der Tänzer, welche in Wuppertal und naher Umgebung aufgezeichnet wurden. Dass Wenders Pina nur in 3D produzieren wollte, ist vermutlich mit der immensen Bedeutungskraft, die Pina Bausch der körperlichen Präsenz ihrer Tänzer zurechnete zu begründen. Wie das Zitat von Wim Wenders bereits aufgezeigt hat, handelt es sich bei den Choreographien Pina Bauschs um äußerst emotionsgeladene und atmosphärische Stücke. Die Frage, die mich nun in der vorliegenden Arbeit beschäftigen wird, ist, inwieweit es möglich ist, diese ansonsten nur dem Theater inhärente Atmosphäre durch die 3D-Simulation auf den Film zu übertragen. Die technische Dimension des 3D-Films möchte ich dabei nur sehr minimiert abhandeln, da es mir vorrangig um die Übertragung ästhetischer Wahrnehmungsmuster vom Theater auf den Film gehen wird. Beginnen werde ich also mit einem Vergleich bzw. einer Ausdifferenzierung der Wahrnehmungsweisen im Film und Theater. Darauf folgend werde ich mich theoretischen Konzepten der Atmosphäre im Theater widmen, wobei ich außerdem eine Abgrenzung zu Walter Benjamins Aura vornehmen werde, um aufzuzeigen, dass ein klassischer Film zwar eine Aura, nicht jedoch eine Atmosphäre haben kann. Um zu verdeutlichen inwiefern eine Atmosphäre im 3D-Film 1 Wim Wenders, Auf: http://www.pina-film.de/de/ueber-den-film.html 2 Ensteheung, Auf: http://www.pina-film.de/de/ueber-den-film.html 1 unter Umständen entstehen kann, ist es notwendig eine Erklärung und Analyse des Begriffs der Simulation folgen zu lassen, wobei ich diese erst von der tradierten nachahmenden Kunst, der Mimesis abgrenzen und dann auf den 3D-Film anwenden werde. Danach werde ich anhand von Pina versuchen aufzuzeigen, inwiefern Wim Wenders durch die Verwendung des 3D-Filmes die theatrale Atmosphäre simuliert. Der Klarheit halber werde ich mich dabei auf die Sequenz beschränken, in der Ausschnitte aus Pina Bauschs berühmtesten Stück Le Sacre du Printemps gezeigt werden. In diesem Zuge werde ich zuletzt auf die Immersion als fundamentales Element der gelungenen Simulation einer Atmosphäre eingehen, worin meine Arbeit ihren Abschluss findet. Die Differenzen des filmischen und theatralen Blicks 2.1 Der filmische Blick Grundsätzlich kann man behaupten, dass sich Film und Theater darin ähneln, eine bestimmte Handlung von Körpern im Raum darzustellen bzw. abzubilden. Abgesehen von der Möglichkeit, aufgrund der Mobilität in der Filmproduktion narrative Strukturen in der Darstellung einer Handlung ändern zu können, geht es in der Frühphase des Filmes zu aller erst darum, die Inszenierungsweisen der neu gewonnenen Räume zu erforschen. Gewohnt an eine chronologische Abfolge von Bewegungen auf der räumlich vom Zuschauer abgegrenzten Bühne, orientierte sich auch die anfängliche professionelle Filmproduktion an diesem "theatralischen Blick" 3 . Tatsächlich wurde die durch den Film gewonnene Unabhängigkeit von der Bühne zuallererst genutzt, um Theaterstücke an Originalschauplätzen oder in akribisch gefertigten Dekorationen zu drehen 4 . Sehr bald merkten die Filmemacher jedoch, dass diese Produktionsform nicht sonderlich wirkungsvoll war, da sie stets von dem Versuch einer Imitation des Blicks auf die Bühne geprägt war. Es zeigte sich also, dass "[w]eder für das Verständnis des Films, noch für das seiner natürlich vorhandenen Beziehung zum Theater (…) [die ursprünglich vermutete enge Verwandtschaft zwischen den beiden Kunstformen] fruchtbar zu machen [war]". 5 Das anfängliche Gefühl eines scheinbaren Defizits in der Darstellungsästhetik, konnte sehr bald umgewandelt werden, in den Gewinn einer neuen gestalterischen Freiheit, welche durch die Unabhängigkeit vom Bühnenraum zustande kam. In den 1920er Jahren war es George Méliès, der die Möglichkeit erblickte, Filmszenen aneinander zu reihen und damit eine illusionistische Dimension der Darstellung zu entwerfen. Dies war der Beginn der Multiperspektivität, wie wir sie heute vom Film kennen. 3 Richterich, S. 18 4 Ebd., S. 18 5 Ebd., S. 42 2 Durch die Montage im Film war es plötzlich möglich, verschiedene Szenarien an unterschiedlichen Orten zu verknüpfen, oder, wie auch Ritterrich zitiert: "Der Film hat (durch den Schnitt, das heißt durch den Wechsel der Einstellung, die die Grundeinheit des Filmaufbaus ist) die Möglichkeit einer allegorischen oder diskontinuierlichen Verwendung des Raums" 6 . Noch bedeutsamer als die neu gewonnene Unabhängigkeit vom Raum, ist jedoch die veränderte Zeitwahrnehmung, welche nun durch die simultane Verknüpfung verschiedener Handlungsabschnitte zustande kommt 7 . Die Darstellung und Wahrnehmung von Zeitabläufen war plötzlich nicht mehr gebunden an die Bewegung von Körpern im Raum, sondern in der Lage unterschiedliche Gegenwarten abzubilden und damit die "lokalzeitlich und räumlich begrenzte Anschauung" 8 zu überwinden. Man kann also sagen, dass die Ungebundenheit an chronologische raumzeitliche Abfolgen im Film die Darstellungsmöglichkeiten von Handlungsverläufen erweitert, indem sie raumzeitlich weit auseinander liegende Faktoren zusammen bringt und verdichtet und damit sozusagen eine Neuformation der (abgebildeten) Wirklichkeit" 9 vornimmt. Durch die selektive Wiedergabe eines Geschehens im Film ist es also möglich, den Blick und Fokus des Zuschauers komplett zu lenken und damit die Wahrnehmung und Rezeption zu beeinflussen. Nach Bina Elisabeth Mohn ist es gerade der selektive Umgang mit dem Bildmaterial, der dazu führt, dass paradoxerweise "anschließend mehr und nicht weniger auf dem Videomaterial sichtbar wird", denn: "Die Kunst des Sehens und Zeigens ist immer auch eine des Weglassens und Nicht-Zeigens." 10
Bild sei, o Fremdling, als das einem Wahren ähnlich gemachte andere derartige? Platon 1 Die Frage... more Bild sei, o Fremdling, als das einem Wahren ähnlich gemachte andere derartige? Platon 1 Die Frage, was ein Bild sei und wie es zu bestimmen ist, existiert seit der frühsten Philosophie und hat bis heute seine Brisanz nicht nur nicht verloren, sondern im Zuge der Entwicklung der technischen und digitalen Medien geradezu eine Renaissance bei Philosophen und Medienwissenschaftlern erlebt. Vilém Flusser, einer der bedeutendsten Kommunikationswissenschaftler seiner Zeit, hat ebenfalls die Frage um das Bild und seinen modernen Bedeutungswandel mit ins Zentrum seiner kommunikationstheoretischen Betrachtungen gestellt. In einer stets sehr selbstbezogenen und essayistischen Schreibeweise zeigt Flusser einen vom Bild ausgehenden historischen Wandel der menschlichen Kommunikation auf und verweist anhand dessen auf einen kulturellen und gesellschaftlichen Wandel. Demnach steuere die Menschheit auf eine Apokalypse zu, lerne sie nicht, sich aus der Bilderflut der unentschlüsselbaren Technobilder zu befreien und sich im neuen, dialogischen Verständnis zur telematischen Gesellschaft zu transformieren. Insofern zeigt Flusser zweifellos positive Optionen in der Entwicklung neuer Bild-und Kommunikationsformen auf, indem die telematische Gesellschaft in der Lage wäre die Bilderflut selbstverantwortlich und kritisch zu hinterfragen und eine aufgeklärte, informierte Gemeinschaft bilden könnte. Zuallererst gelte es jedoch, das gegenwärtige System zu reformieren. Besonders interessant und einer Untersuchung wert sind diese Ansätze im Hinblick auf die kurz nach seinem Tod ( † 1991) um sich greifende globale Vernetzung durch das Internet und eine damit möglicherweise verbundene dialogische Verständigung und Demokratisierung medialer Diskurse. Ich werde in dieser Arbeit jedoch ausschließlich Flussers Ausführungen hinsichtlich der vortelematischen Gesellschaft diskutieren, also seine Beobachtung einer Gesellschaft, die, verloren in der unbegreiflichen Bilderflut, auf ihr Ende zusteuere. Dabei wird es mir vor allem um die Dominanz des Flusserschen Bildbegriffes in Bezug auf seine kommunikologischen Diskurse gehen sowie um daraus resultierende Folgen für die beteiligten Kommunikatoren. Obgleich Flusser sich einer entsprechenden Begrifflichkeit nicht bedient, scheint er nämlich die machtausübende Position 1 Platon. In: Böhme (1999), S. 13 1 und Wirkung des technischen Bildes als ein System der Repression zu beschreiben, das sich sowohl auf den Empfänger, als auch auf den Bildschaffenden selbst auswirkt. Meine Absicht ist es, aufzuzeigen, dass Flussers anthropomorpher Medienbegriff 2 vorrangig instrumentell fokussiert ist und damit mögliche apparatexternen Einwirkungsfaktoren ausschließt, was im Hinblick auf ein sozial ausgerichtetes Kommunikationsmodell meines Erachtens ein schweres Unterfangen ist. Indem Flusser also von einer lenkenden und manipulierenden Kraft des Technobildes ausgeht und den neuen Code als für jeden unentzifferbar darstellt, missachtet er jegliche Möglichkeit der bewussten Bildmanipulation seitens der Erzeuger und verleiht dem Apparat damit eine mystische Allmacht. Im Aufzeigen der Möglichkeit einer von außen einwirkenden Kraft in der Erzeugung der Bilderflut, werde ich -auch wenn dies in diesem Themenfeld durchaus angebracht erscheintkeinen Machtdiskurs öffnen. Stattdessen möchte ich entsprechend von mir verwendete Begriffe im Sinne Elena Espositos verstanden wissen, d.h., als Persuasion bzw. Einfluss. Dass man von einer vom Bild ausgehenden und auf den Empfänger wirkenden Repression sprechen kann, geht meines Erachtens aus den Formulierungen Flussers hervor, was in meinen Ausführungen und Beispielen deutlich werden soll. In der Erläuterung der Wirkung und des Ausmaßes der Technobilder trifft Flusser an wenigen Stellen eine Unterscheidung zwischen den einzelnen tatsächlichen und den von ihm konkret gemeinten Medien. Daher ist es wichtig an dieser Stelle zu bemerken, dass ich in meinen Ausführungen zumeist vom Fernsehen ausgehe, da dies zum einen das anschaulichste Beispiel des von Flusser angeführten Amphitheaterdiskurses ist und zum anderen, wie Spangenberg sagt: es ihm [dem Dispositiv Fernsehen, I.K.] weiterhin gelingt, die Konkurrenz um die soziale wie individuelle Aufmerksamkeit in eine hinreichend dynamische und hinreichend strukturkonstante, "kanalisierte" Form zu bringen, womit "Erwartbarkeiten und Nicht-Erwartbarkeiten sozialer wie individueller Wissens-und Erfahrungsvoraussetzung zugleich strukturplastisch und -stabil gehalten werden. Somit ist das Fernsehen besonders im Hinblick auf eine sozial ausgerichtete Analyse von Kommunikationssystemen der Massenmedien ein zuträgliches Untersuchungsobjekt. Nicht zuletzt soll diese Arbeit eine kritische Betrachtung des von Flusser verwendeten Codebegriffs darstellen, indem dieser nach Flusser im Technobild stets selbstreferenziell bleibt und durch eine von ihm selbst ausgehenden Dynamik die Wirkungsweise des Bildes bestimmt. Auch hier soll sich zeigen, dass es eine mögliche, von außen einwirkende und den Code vorerst prägende Instanz zu 2 In den folgenden Ausführungen ist zu beachten, dass Flusser die Begriffe "Bild" und "Massenmedium" oftmals synonym verwendet (Vergl. Flusser (1996) S. 29, Flusser (2007) S. 262 u.a.). Dies hat natürlich weitreichende Folgen für andere Bild-und Medientheorien, worauf ich jedoch nicht weiter eingehen werde. Dennoch sei auf diese Begriffsverwendung auch im Hinblick auf meiner weiteren Ausführungen hingewiesen. 2 berücksichtigen gilt. 2 Die codierte Welt nach Flusser 2.1 Der Code Für Flusser stellt das technische Bild eine Entfremdung des Menschen von der Natur dar. Bereits die Anfänge der Kommunikation sind für ihn der Versuch, die Spaltung des Menschen von der natürlichen Welt aufzuheben und den verlorenen Kontakt mit der Bedeutung der Symbole wieder herzustellen. Als verfremdetes Tier 3 suche der Mensch also stets nach Möglichkeiten, der ihn umgebenden Erscheinungen Bedeutung zu verleihen und damit der Sinnlosigkeit der Welt und dem Tod 4 zu entgehen. Dieser existenzielle Ausgangspunkt veranlasste den Menschen also, die Welt um sich herum zu codieren, das heißt, sich ein System aus Symbolen zu konstruieren, um seine Erkenntnisse zu teilen und das Kollektiv in seiner Sinnfindung voran zu treiben 5 . Die Codierung der Welt ist damit für Flusser Ausgangspunkt und Voraussetzung der Entstehung einer Kultur, indem sich der Mensch von der natürlichen Welt abwendet. So sagt er, die Symbolisierung natürlicher Erscheinungen muß aus dem Menschen eine ganz neue Art Tier gemacht haben, welches absichtlich Symbole zu Codes ordnet, um erworbene Informationen zu speichern und dadurch die Welt zu leugnen. 6 Die Symbolisierung und Codierung der Welt dient also zum einen dazu, der Welt Sinn zu verleihen, zum anderen aber auch der zwischenmenschlichen Kommunikation. Diese hat im Laufe der Menschheitsgeschichte eine immense Wandlung erfahren, was an der Weiterentwicklung und zunehmenden Komplexität der verwendeten Codes liegt. 2.2 Vom Tafelbild zum Technobild Als einer der ersten Formen der Codierung erachtet Flusser die Höhlenmalerei. In Codes wie 3 Flusser (1997), S. 23 4 Flusser (2007), S. 260 5 Flusser spricht zwar von einer dem Menschen eingeborenen Einsamkeit (Vergl. Kommunikologie S. 259 ff), die er in der Kommunikation nur überbrückt, um sich im Mitsein mit anderen unsterblich zu machen, ob die Kommunikation jedoch tatsächlich antinatürlich ist, da sie dazu dient den Tod zu leugnen und nicht vielmehr einem hoch entwickelten, komplexen aber natürlich evolutionärem Arterhaltungsstreben entspringt, wäre diskussionsbedürftig. 6 Flusser (2007), S.74 3 diesen, erkennt Flusser eine direkte Abbildung der Bedeutung der Welt. Die Botschaft des Bildes kann mit einem Blick erfasst werden und ist damit synchronisch und oberflächlich 7 bzw. zweidimensional. Indem solche Bilder die Welt im wahrsten Sinne des Wortes imaginieren, wird eine natürliche Sachlage in eine Szene gefasst, welche vom Betrachter auf magische 8 Weise dekodiert werden kann und einen direkten Rückschluss auf die ursprüngliche Sachlage zulässt. Die in der Kommunikationsgeschichte folgende Entwicklung der Schrift brachte demnach einen welterschütternden Umbruch mit sich. Szenen wurden nun nicht mehr dargestellt, sondern erklärt, um nicht mehr flächig sondern linear wahrgenommen werden zu können. Somit verweist ein Text nicht mehr auf einen konkreten Umstand, stattdessen entwickelte der Mensch mit der Schrift eine lineare Wahrnehmung, indem sich die Botschaft sukzessive während des Prozess des Lesens ergibt. Diese Wendung stellt für Flusser daher auch den Zeitpunkt der Entstehung eines menschlichen Geschichtsbewusstseins, sowie der Wissenschaft und Technik dar, indem nun die eindimensionale Stufe des Begreifens und Erzählens erreicht sei. Einher geht diese Entwicklung jedoch auch mit einer weiteren Verfremdung von der Welt, indem der Mensch sich in seinen Codierungen immer mehr von der ursprünglichen Bedeutung und Erscheinung des Dargestellten bzw. des Signifikanten entfernt. Der nächste Entwicklungsschritt in der menschlichen Codierung der Welt war die Herstellung von Technobildern, also die technische Herstellung und teilweise auch Verbreitung von Bildern. Bereits zu Zeiten Flussers war von einer Bilderflut die Rede, welche der Welt eine völlig neue und bunte 9 Bedeutung zu geben schien. In diesem Zusammenhang wäre es geradezu nahe liegend, die wieder aufkommende Dominanz der bildlichen Darstellung als eine magisch-mystische Rückkehr zu dem kommunikativen Urzustand zu betrachten. Der gravierende Unterschied ist nach Flusser jedoch, dass es sich bei vor-modernen Bildern um Produkte des Handwerks 10 , bei nach-modernen hingegen um Produkte der Technik handelt. Was bei einem technischen Bild vorliegt, ist nicht eine direkte Darstellung eines zu entschlüsselnden Umstandes, sondern vielmehr eine Verbildlichung von Begriffen. Technische Bilder sind nach Flusser Modelle, welche auf einer Reihe von...
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