Märchen Um die Theorien der literarischen Gattung Märchen zu erklären, soll zuerst eine kurze Erklärung des Begriffs Literarische Gattung gegeben werden. Die literarische Gattung bezeichnet zum einen die drei Naturformen der Literatur...
moreMärchen Um die Theorien der literarischen Gattung Märchen zu erklären, soll zuerst eine kurze Erklärung des Begriffs Literarische Gattung gegeben werden. Die literarische Gattung bezeichnet zum einen die drei Naturformen der Literatur nach Goethe: Lyrik, Drama und Epik, zum anderen die spezifischeren, anhand verschiedener Kriterien definierten Literaturtypen. 2 Die Bestimmungskriterien sind unterschiedliche eigenschaftliche Aspekte von einem Text (zum Beispiel Faktualität/ Fiktionalität oder Mündlichkeit/Schriftlichkeit). Daher kreuzen sich verschiedene Gattungen oft. Die Gattungsmerkmale sind zum Teil historisch konstant und obligatorisch, zum Teil fakultativ und historisch relativ. In jedem literarischen Text soll mindestens ein obligatorisches Merkmal auftreten, durch das der Text mit mindestens einer literarischen Gattung assoziiert werden kann. Im Falle von Märchen sind solche Merkmale nach allgemeinen Verständnissen die Formelhaftigkeit und die selbstverständliche Erscheinung von Wundern. Eine scharfe Trennung der Gattung Märchen von der Erzählung als Gattung gibt es nicht, denn die deutschen Wörter Märchen oder Märlein als Verkleinerungsformen zu Mär bezeichneten ursprünglich eine kurze Erzählung. Während diese Gattungsbezeichnungen nach den Belegen des 13. bis 16. Jahrhunderts eine Bedeutungsabwertung erlebten, wurden sie im 18. Jahrhundert wieder positiv bewertet, kamen als Feenmärchen und orientalische Märchen unter französischem Einfluss in Mode und die Gedanken zur "Volksdichtung" im Sturm und Drang entstanden. 3 Der französische Dichter Charles Perrault machte 1696/97 mit seinen Histoires ou Contes du temps passé, avec des moralités, die später auch Contes de ma Mère l'Oye genannt wurden, das Volksmärchen literaturfähig. 4 Mit den Volksmärchensammlungen der Brüder Grimm und Ludwig Bechsteins beziehungsweise mit den Märchendichtungen der deutschen Romantiker und besonders Hans Christian Andersens wurde das Märchen eine weltweit beliebte literarische Gattung. Besonders die Märchensammlung der Brüder Grimm bietet schematische Muster für die Volksmärchendichtung. Zurzeit gelten "Volksmärchen" und "Kunstmärchen" als "wertungsfrei bestimmte Erzählgattungen." 5 Da die Zauber-oder Wundermärchen als Kern und Schwerpunkt der eigentlichen Märchen gelten, werden mit der Bezeichnung Märchen häufig Zauber, Wunder und Übernatürliches assoziiert. In zahlreichen Definitionsversuchen von Märchen gehören das Wunderbare (Bolte-Polivka), "Wundermotive" (Helsinki), "marvelous" (Thompson), "Verwobenheit mit dem Wunderbaren" (Löwis of Menar) zu den zentralen Kategorien. 6 Doch unterscheiden die Jenseitsmotive wie Zauber, Wunder und jenseitige Wesen das Märchen nicht von den benachbarten Gattun