Books by Jenny Willner

Towards the Limits of Freudian Thinking. Critical Edition and Readings of Beyond the Pleasure Principle, 2024
Sigmund Freud’s Beyond the Pleasure Principle stands as a foundational text in psychoanalysis, de... more Sigmund Freud’s Beyond the Pleasure Principle stands as a foundational text in psychoanalysis, delving into profound questions about life, death, pleasure and pain. Through a combination of contextualising and philosophical contributions, this critical edition and commentary sheds new light on Freud’s text. In a series of contributions spanning approaches from historical exegesis to philosophical reflections on key concepts and ideas presented in Beyond the Pleasure Principle, the evolution and inconsistencies found in the various versions of the text are highlighted. Particular emphasis is placed on the conceptualisation of trauma and drive theory. These commentaries also provide context for the work, examining its position within the Freudian corpus, its role in the collaborative project with Sándor Ferenczi in speculative bioanalysis, and its clinical insights into war neuroses, trauma, bonding and aggression in post-World War I society. By critically examining diverse interpretations of Freud’s work, Towards the Limits of Freudian Thinking re-actualises this classic text in contemporary philosophy and psychoanalysis, rendering it accessible to both specialised and broader audiences.
Editors’ Note and Acknowledgements
(Herman Westerink & Jenny Willner)
Dimensions of ‘Beyond’: An Introduction
(Herman Westerink & Jenny Willner)
Beyond the Pleasure Principle
(Sigmund Freud, ed. by M. ffytche, J. Forrester and M. Molnar on the basis of the German critical edition by U. May and M. Schröter)
The Third Step in Drive Theory: On the Genesis of Beyond the Pleasure Principle
Ulrike May
From Repetition and Drive Monism to Binding and Conflict: Re‑reading Freud’s Beyond the Pleasure Principle
(Philippe Van Haute & Herman Westerink)
Traumatic Neuroses and Psychoneuroses in (and) Beyond the Pleasure Principle*
Ulrike Kistner
Neurotic Evolution: Bioanalysis against Biologism in Beyond the Pleasure Principle
(Jenny Willner)
Ferenczi Thinking Beyond the Pleasure Principle
(Jakob Staberg)

Ferenczi Dialogues. On Trauma and Catastrophe, 2023
"Reading Ferenczi. A Pirouette Backwards in Seven-League Boots
An Introduction by Jenny Willner,... more "Reading Ferenczi. A Pirouette Backwards in Seven-League Boots
An Introduction by Jenny Willner, Jakob Staberg and Raluca Soreanu"
"The houses seem scattered, as if diced into a landscape as empty and abstract as a map. A blue piece of paper in the upper left corner is perhaps the sea behind the shore, and indefinite black and white shapes take up the foreground, like flames or shades. At the centre there are two female legs, dressed in mid-calf laced boots, leaping over the fragmented landscape. The legs have no torso, there is no head, there are no arms, but a spiral-shaped shell is strapped around the crotch, the shell of a snail or a mollusc. 'Siebenmeilenstiefel' is the title of this photomontage, the image on our book cover. It was made in 1934 by Hannah Höch (1889–1978), an active member of the Berlin Dada group."
Ferenczi Dialogues presents the contribution of Sándor Ferenczi to a psychoanalytic theory of trauma and discusses the philosophical, political and clinical implications of Ferenczi’s thinking. To a far greater extent than Freud, Sándor Ferenczi centered his psychoanalytic thought around trauma. Ferenczi's work pluralises the notion of catastrophe, as being both destructive and a turning point. This book addresses Ferenczi’s work in terms of thinking in times of crises, by considering contemporary situations in constellation with various scenes from the past: the outbreak of the First World War, the crisis of psychoanalysis as an institution, the disastrous final encounter between Ferenczi and Freud, the rise of Fascism and National Socialism, and the impending exile of the founding members of the psychoanalytic movement. Against this backdrop, the authors show how Ferenczi's late work outlines a new metapsychology of fragments. Ferenczi Dialogues situates the legacy of Ferenczi within the broad interdisciplinary landscape of the social sciences, literary theory, psychoanalytic theory, and clinical practice, and highlights Ferenczi’s relevance for contemporary philosophical discussions.
This publication is GPRC-labeled (Guaranteed Peer-Reviewed Content).

Eine Skizze von Peter Weiss aus dem Jahr 1946 zeigt eine Hand, die aussieht, als könne sie Schmer... more Eine Skizze von Peter Weiss aus dem Jahr 1946 zeigt eine Hand, die aussieht, als könne sie Schmerzen genauso zufügen wie erleiden. Sie ist Prothese und Waffe in einem: Ein Hammer wächst aus dem Daumen heraus, der kleine Finger ist ein Teppichschneider und Ring- und Mittelfinger bilden eine Scherenzange, deren Griffe tief bis in die Knochen der Fingergelenke geschraubt sind. So sieht keine fortschrittsoptimistische Vision des Handwerks aus und es ist fraglich, ob sich Weiss' Begriff des Werkzeugs jemals ganz von diesem Bild erholt hat. Es zeigt die abgründige Dimension des später von ihm selbst vertretenen Ideals von der Sprache als Werkzeug.
"Wortgewalt ist Teil einer beginnenden aktualisierenden Weiss-Rezeption, ein Beitrag zur Aufarbeitung der nachkriegsdeutschen Literaturgeschichte und eine Studie über die deutsche Sprache. Jenny Willner kombiniert die Analyse bislang kaum bekannter Archivmaterialien aus dem Nachlass von Weiss mit einer dezidiert literaturtheoretischen Herangehensweise: Vergleichende Lektüren mit Sprachdenkern wie Victor Klemperer, Jacques Derrida, Judith Butler und Georges-Arthur Goldschmidt machen Weiss’ besonderen Umgang mit Fragen sprachlicher Gewalt und Gegengewalt, sprachlicher Verletzbarkeit und Strategien der Immunisierung erkennbar. Sein Schreiben wird hier als ebenso grundlegende wie konsequente Auseinandersetzung mit der sprachlichen Dimension nationalsozialistischer Herrschaft, mit ihren Auswirkungen und Spätfolgen greifbar.
Ein Spannungsverhältnis prägt so Weiss’ Beschreibungen der Sprache: Worte erscheinen als Werkzeug und Waffe, und zugleich als Material prekärer Konstruktionen, hinter denen sich ein verletzlicher Körper verbirgt. Sein Kampf mit, um und gegen die deutsche Sprache berührt Probleme, die längst nicht überwunden sind. Quer zur Kampfrhetorik um West und Ost, quer zu den Debatten der Linken um ’68 verläuft eine ganz andere Konfliktlinie: zwischen dem im Exil Gebliebenen, dessen Lebenslauf von der nationalsozialistischen Verfolgung durchkreuzt wurde, und den Deutschen und ihrer Sprache. Die Studie behandelt Text, Sprache und Körper als drei Aspekte einer allgemeinen Symptomatologie, die auf die historische Situation des Entkommenen, des Exilautors und des öffentlichen Intellektuellen bezogen wird. Die Kehrseite des Ideals von der Sprache als Werkzeug offenbart sich, wenn die sprachliche Verhärtung, die der Abwehr dienen sollte, zur Quelle einer neuen Gefahr wird. Gelesen mit Franz Kafkas Erzählfragment »Der Bau« eröffnet sich eine andere Dimension der Ästhetik des Widerstands: Der Roman ist ein Bau aus Worten, aber was aus der Ferne aussieht wie ein glatter Schrift-Block, wird aus der Nähe, mit mikroskopischem Blick betrachtet, zu etwas Ausgehöhltem, in dem es wispert, brodelt und pulsiert."

Das Tier als Medium und Obsession interessiert sich für jene literarischen und theoretischen Int... more Das Tier als Medium und Obsession interessiert sich für jene literarischen und theoretischen Interventionen, die affirmativ bis euphorisch auf die evolutionsbiologisch begründete Nähe zum Animalischen reagieren. Dabei drängen sich Fragen sozialgeschichtlicher und psychohistorischer Natur auf: Lässt sich die überschwängliche Auseinandersetzung mit Pantoffeltierchen, Ichthyosauriern und Kröten auf den Wunsch zurückführen, das Amorphe zu inkorporieren und dadurch zu bannen? Ist die Sehnsucht nach der All-Einheit mit dem Organischen eine Reaktion auf Entfremdung in der Moderne? Und wie verhält sich die obsessive Hinwendung zur Welt der tierischen Vorfahren und Mitlebewesen zur Hybris, die Schranken des Menschendaseins über das ‚Medium Tier‘ gleichsam transzendieren zu wollen? Nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob man generell versuchen müsste, Tierliebe mit politischer Krisenstimmung zusammen zu denken, und wenn ja: was das wiederum in Hinblick auf die gegenwärtige Konjunktur der sogenannten Animal Studies heißen würde.
Mit dem Sammelband wird eine dezidiert literaturwissenschaftliche Annäherung an die bizarren und mitunter gar erschreckenden Erscheinungsformen anvisiert, in denen sich das Menschliche und das Nicht-Menschliche körperlich, institutionell, geschichtlich und nicht zuletzt semiotisch überkreuzen. Untersucht werden Sprachformen und Sprechweisen, die auf Tiere Bezug nehmen, Diskurse, die die Vorstellungen von Tiersein und Menschsein konstituieren oder eben auflösen, sowie die Variationen einer literarischen Sprache, die Tierisches in Texten zu inszenieren vermag. Gefragt wird zudem nach dem Unheimlichen und Abgründigen, das gerade am Haus- und Dressurtier in Erscheinung tritt. Auf eine verstörende und bislang kaum erhellte Konstellation machen die gesammelten Beiträge so aufmerksam: dass nämlich Mensch-Tier-Beziehungen um 1900, zwischen Liebe und Grausamkeit, Bio-Utopien und sozialer Krisenstimmung oszillierend, Tierliebe und Misanthropie mitunter auf bedenkliche Weise spiegeln.
Anbei: Inhaltsverzeichning sowie die Einleitung, die sich mit den 'nachdarwinistischen Obsessionen' um 1900 als Vorgeschichte der Human-Animal-Studies befasst: "Das jahrtausendealte Bündnis von 'Herr und Hund' wird als hierarchises Verhältnis demontiert und dafür mit dem Verweis auf eine gemeinsame Darmflora neu begründet."
Papers by Jenny Willner

Psychoanalysis and History 24(2) 2022, 2022
At the beginning of the First World War, Sándor Ferenczi drafted a first version of his theory of... more At the beginning of the First World War, Sándor Ferenczi drafted a first version of his theory of genitality, which was to be published in 1924 under the title Versuch einer Genitaltheorie (in English: Thalassa). Here, he theorizes not only genitality, but the genitals themselves. With the morphology of reproductive organs as a point of departure, Thalassa takes us through time and space, speculating that the physiological side of genitality must be understood as the belated abreaction of a series of phylogenetic catastrophes. This contribution offers a new frame for reading Thalassa, challenging the common perception that the phylogenetic speculation in Ferenczi and Freud sought to provide psychoanalysis with a natural scientific foundation. Instead, Ferenczi deconstructs precisely such foundational claims: he reads his sources from nineteenth-century popular biology against the grain and draws upon diverging psychoanalytic notions of hysteria to destabilize popular evolutionary narratives. Read against the backdrop of its time, Ferenczian ‘bioanalysis’ holds the potential for a political intervention against biologism and eugenic thought. His methodology breaks with the dream of a transparent language in what is today called the hard sciences.
RISS, Zeitschrift für Psychoanalyse. 94: Bioanalysen I, 2021

in: Welt-Komposita. Ein Lexikon, hg. v. Thomas Erthel, Robert Stockhammer, 2019
Etwas am Wort Weltanschauung ist bekenntnishaft, es transportiert einen suggestiven Mehrwert, der... more Etwas am Wort Weltanschauung ist bekenntnishaft, es transportiert einen suggestiven Mehrwert, der nicht leicht zu erfassen ist. Adorno konstatiert in der Philosophischen Terminologie, dass es häufig mit einem Possessivpronomen versehen wird: "meine Weltanschauung". Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist die Freiheit nicht nur des religiösen, sondern auch des „weltanschaulichen Bekenntnisses“ verankert (Art. 4 GG); historisch und systematisch betrachtet ist der Begriff zudem in der Nachbarschaft von Wissenschaft und Ideologie anzusiedeln.
Jede eingehendere Auseinandersetzung mit diesem Kompositum muss sich mit dem aporetischen Verhältnis von Subjektivität und Geltungsanspruch, Relativismus und verabsolutierender Setzung befassen. Dabei handelt es sich bei dem Wort selbst um eine sehr deutsche Angelegenheit. Wie Angst, Besserwisser und Lebensraum, figuriert das Wort Weltanschauung als Lehnwort in zahlreichen anderen Sprachen; es zählt zu den sogenannten Intraduisibles; das Englische world view ist zu optisch, world concept wiederum zu konzeptuell. Es ist die Geschichte deutschsprachiger Philosophie sowie die politische Geschichte Deutschlands überhaupt, die den Ruhm wie die Infamie des Weltanschauungsbegriffs begründet haben.
- - -
Aus der Verlagsankündigung des Lexikons:
"Weltgeschichte, Halbwelt, Weltanschauung: Es gibt keine Welt ohne Welt-Komposita. Das Lexikon entfaltet diese These in 57 Artikeln im Grenzbereich von Essay und Wortgeschichte.
Die Rede von der Welt ist in aller Munde, zumal angesichts der aktuellen Dynamik, die als fortgeschrittene ‚Globalisierung‘ begriffen wird. Besonders in der deutschen Sprache tritt das kleine Wort mit der großen Bedeutung häufig in zusammengesetzten Wörtern auf. Solche Welt-Komposita sind immer auch Verfahren, Welten – die es ja nicht an sich und je schon gibt – zu komponieren, und ihre genauere Analyse ermöglicht Einblicke in die Vielfalt der Kompositionsweisen."

Ferenczi Dialogues. On Trauma and Catastrophe, 2023
In the second part of "Ferenczi Dialogues. On Trauma and Catastrophe", we enter the Hungarian gar... more In the second part of "Ferenczi Dialogues. On Trauma and Catastrophe", we enter the Hungarian garrison town of Pápa in 1914, where Freud’s theory of sexuality met popular Darwinism in a soldiers’ library. These were the circumstances under which the Hungarian psychoanalyst Sándor Ferenczi drafted a first version of his theory of genitality. The book Thalassa was to be completed and published only in 1924. It is a speculative theory of genitality and of the evolutionary history of genital organs. This chapter offers a new frame for reading Thalassa, challenging the perception that Ferenczi and Freud sought to provide psychoanalysis with a natural scientific foundation. Instead, the comparative reading shows how their ‘bioanalytic’ speculations deconstruct precisely what claims such a founding status: Ferenczi reads his sources from nineteenth-century popular biology – Lamarck, Haeckel and Bölsche – against the grain.
Combining a poetology of science with psychoanalytic literary theory, this reading foregrounds the diverging ideological implications of the languages of biology. While Freud and Ferenczi’s immersion into pre-human history may seem like a retreat from political matters, Ferenczian ‘bioanalysis’, read against the backdrop of his time, holds the potential of a political intervention against biologism and eugenicist thought. At a time when evolutionary theory begins to inform eugenicist projects, alassa rewrites the terms of an entire discourse, while using concepts drawn from the psychoanalytic study of hysteria.
Subchapters:
- Freud’s Theory of Sexuality Meets Popular Darwinism in a Soldiers’ Library
- The Fish-Orgy: Wilhelm Bölsche’s Herrings and Ferenczi’s Thalassa
- Weltanschauung: Fetishistic Disavowal in Popular Darwinism
- Neurotic Evolution: Bioanalysis vs. Biologism
- Heroic Organs, Hysteric Organs: The Method of Bioanalysis
- The Politics of Bioanalysis

Germanic Review, 2021
Die Jugendliteratur Gudrun Pausewangs (1928-2020) trug in den 1980er Jahren entschieden zur Fried... more Die Jugendliteratur Gudrun Pausewangs (1928-2020) trug in den 1980er Jahren entschieden zur Friedens- und Anti-atomkraftbewegung in der BRD bei. In das Gedächtnis ganzer Schülergenerationen ging die Autorin als ,die Furchterregende' ein. Der Beitrag liest Pausewangs Roman Die letzten Kinder von Schewenborn (1983) mit Jean Laplanches Theorie rätselhafter Botschaften. Was der kindlichen Leserschaft mit Pausewangs Roman widerfuhr, kann als historisch bedingtes Extrembeispiel dafür verstanden werden, dass eine Botschaft zwischen Erwachsenem und Kind traumatisierend wirkt, weil sie immer einen Sinn mittransportiert, der dem Sprecher unbewusst ist (Laplanche). Pausewangs Roman erzählt von Kindern, die nach einem Atomkrieg qualvoll sterben. Gerahmt durch die Erklärung der Autorin, politisch engagieren zu wollen, pflegt der Text zugleich eine negative Beziehung zur Leserschaft: Die Brutalität der Schilderungen wütet gegen die Welt der durch die ,Gnade der späten Geburt' Verschonten. Der Beitrag diskutiert Formen transgenerationaler Übertragung von Schuld, Scham und Trauma und rückt das Verhältnis der Ökologiebewegung zur Lebensreformbewegung in den Fokus. Pausewangs Schaffen steht im Zeichen der Abgrenzung gegenüber der NS-Generation und ihrer Schuld. Es zeigt sich, dass Die letzten Kinder von Schewenborn zugleich ein melancholisches Verhältnis zum Gegenstand dieser Abgrenzung pflegt.
1. Widmung, Appell, Erschütterung.
Zur Didaktik der Friedensbewegung
2. Enigmatische Signifikanten:
Die Wohlgesinnte und die Zombies von Schewenborn
3. Theoretischer Ausblick:
Endzeitstimmung, Schuld und Scham

in: Luisa Banki und Michael Scheffel (Hg.): Lektüren. Positionen zeitgenössischer Philologie, Trier 2017, S. 207-231., 2017
"Durch Klemperers Fokus auf das Schriftbild und seinen Träger wird der Forschungsgegenstand auf s... more "Durch Klemperers Fokus auf das Schriftbild und seinen Träger wird der Forschungsgegenstand auf seine Materialität reduziert und unter dem Blick durch die Lupe bis zur Unkenntlichkeit vergrößert. Gerade Klemperer, der mit philologischen Mitteln aufzuklären versteht, der den Ernst der politischen Lage nicht nur begreift, sondern am eigenen Leib akut erfährt, lenkt hier den Fokus auf die Grenzen des Verstehens: Er macht ein materielles Gewebe sichtbar, das vom tödlich gewordenen semantischen Gewebe ablenkt, er lässt die philologische Kontextualisierung des Zeichens in eine Dekontextualisierung übergehen, bis nur noch Fasern und Farben, 'die Einzelparzellen des gelben Gewebes, die Ungleichheiten des schwarzen Aufdrucks' übrig sind.
Im Zentrum seines Interesses steht die Tatsache, dass etwas am Zwangszeichen sich heteronom zu jenem Zwang verhält, den es bewirkt. Klemperer scheut die Nähe zu seinem Gegenstand nicht, er sucht sie geradezu exzessiv, wodurch sich allerdings das Verhältnis von Nähe und Distanz destabilisiert: Durch die Lupe des Philologen betrachtet, rückt der Stern so fern, als würde er, wie bei wirklichen Gestirnen üblich, mit dem Fernrohr studiert. Der verfremdende, Entfernung erzeugende Blick durch die Lupe lässt sich als sprachphilosophisches und machttheoretisches Interesse begreifen, das sich auf das Morsche, jeglicher Letztbegründung entbehrende Moment der sprachlichen Gewalt richtet."

PSYCHE. Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen 74 (11), 2020
Im Heft zum Thema: 100 Jahre »Jenseits des Lustprinzips«:
Der Beitrag liest »Jenseits des Lust... more Im Heft zum Thema: 100 Jahre »Jenseits des Lustprinzips«:
Der Beitrag liest »Jenseits des Lustprinzips« ausgehend vom Projekt einer »Bioanalyse«, das Sigmund Freud und Sándor Ferenczi gemeinsam anvisierten, aber nie vollendeten. Ferenczi definierte die Bioanalyse als spekulative Wissenschaft, die psychoanalytische Begriffe und Methoden konsequent auf die Naturwissenschaften überträgt. Mit historischem Abstand wird das Projekt »Bioanalyse« als Versuchsanordnung lesbar, in deren Rahmen Ferenczi und Freud in Zeiten einer zunehmenden Biologisierung des Sozialen mit einem Gegennarrativ experimentierten. Freuds Spekulation über den Einzeller im vierten Kapitel von »Jenseits des Lustprinzips« ist dafür beispielhaft: Ihre Relevanz besteht in der Abgrenzung gegenüber jener Gemengelage aus biologistischen Vervollkommnungsphantasien und esoterischen Reinheitsidealen, deren tödliche Auswirkung sich erst in den Jahrzehnten nach »Jenseits des Lustprinzips« in ihrem vollen Ausmaß erweisen sollte.

Peter Weiss Jahrbuch für Literatur, Kunst und Politik, 2018
Es ist der 22. September 1937, der Staatsbesuch Mussolinis in Berlin wird vorbereitet und SS-Verb... more Es ist der 22. September 1937, der Staatsbesuch Mussolinis in Berlin wird vorbereitet und SS-Verbände gehen mit besonderer Härte gegen unerwünschte Personen im Straßenbild vor. Unterdessen tobt in Spanien der Bürgerkrieg, und in Moskau werden seit dem Vorjahr Schauprozesse geführt, in deren Rahmen Hauptvertreter der Politikergeneration der Oktoberrevolution liquidiert werden. Wer hat da die Muße, über Fossilien ausgestorbener Lebewesen nachzudenken? In Peter Weiss' Roman Die Ästhetik des Widerstands gehen die antifaschistischen Haupfiguren an diesem Tag ins Naturkundemuseum. Hinterher fliegt der Erzähler über Berlin und konstatiert, dass "alles materiell" sei, "daß wir allem auf Tod und Leben ausgeliefert" und die "Haufen der Toten" "nicht wegzuleugnen seien".
Das Nachdenken über den Tod sowie das Totengedenken ist für den politischen Widerstand, wie er in diesem Roman gedacht wird, unentbehrlich. Es ist als bediente sich der Erzähler des Mottos, mit dem Freud sein Essay "Zeitgemäßes über Krieg und Tod" (1915) beschließt: "Wenn du das Leben aushalten willst, richte dich auf den Tod ein", und in diesem Sinne weiterdenkend: Wenn du weiterkämpfen willst, vertiefe dich in historische Niederlagen.
Die dem Roman implizite Kritik am Darwinomarxismus führt ins Zentrum des Problems, das mit der Suche nach einer anderen Ästhetik, nach einer anderen Politik verbunden ist. Der Anspruch besteht darin, Widerstand jenseits des Fortschrittsparadigmas zu denken und zu üben, Widerstand ohne Verdrängung der Katastrophe. Dabei ist die naturwissenschaftliche Seite der Frage nach Tod und Leben diesen am historischen Materialismus geschulten Romanfiguren alles andere als gleichgültig: Materialität hat hier durchaus mit Kreatürlichkeit im Sinne einer Natur- und Todesverfallenheit zu tun. Es gilt, das Widerstandsdenken in Weiss' Roman ins Verhältnis zu Walter Benjamins geschichtsphilosophischen Ansatz zu setzen, zur Evolutionstheorie Darwins und ihrer Rezeption durch die Arbeiterbewegung sowie in Relation zu Freuds Begriff des Todestriebs. Diese Konstellation dient dem Versuch, politischen Widerstand zugunsten einer Form von Hoffnung zu konzipieren, die nicht von der Abwehr des Unerträglichen abhängt. Damit geht die so implizite wie durchgehende Kritik des populären sozialistischen Darwinismus einher, deren Artikulation im vorliegenden Beitrag die für den Roman so zentrale Rolle des Kreatürlichen und Organischen erhellt.

Exilforschung. Ein Internationales Jahrbuch, hg. im Auftrag der Gesellschaft für Exilforschung von Doerte Bischoff, Claus-Dieter Krohn und Lutz Winckler. Bd. 32, 2014
Goldschmidts Essay "Quand Freud voit la mer" ist zum Teil im Duktus einer linguistischen Abhandlu... more Goldschmidts Essay "Quand Freud voit la mer" ist zum Teil im Duktus einer linguistischen Abhandlung verfasst und stellt in anderen Passagen Bezüge zur Geschichte der deutschsprachigen Philosophie her. Das Wesentliche in diesem Text vollzieht sich allerdings nicht auf der argumentativen, sondern auf der performativen Ebene. Finstere Komik steckt in der zentralen These Goldschmidts, der zufolge das, was im Nationalsozialismus verboten und vernichtet werden sollte, mit jeder Silbe aus ebendieser Sprache der Verbote, Befehle und Diskriminierungen immerfort, über die Köpfe der Sprecher hinweg, weiterspricht. Wer sich von diesem Text provozieren lässt, wird regelrecht vorgeführt; er tappt in die Falle, die Goldschmidts Beschreibungen der deutschen Sprache bereithalten. Sein Lob der deutschen Sprache verfügt über ein kränkendes Potential - allerdings nur für die Stolzen, die sich kränken lassen. Indem der Text den verdrängten, mit Scham beladenen Körper zelebriert, unterminiert er die Logik von Stolz und Kränkung.
(M)Other Tongues. On Tracking a Difficult Distinction., Feb 2013
Nachkriegskörper. Prekäre Korporealitäten in der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts, 2013
Erschienen in der Begleitpublikation zum HAU-Festival "Die Ästhetik des Widerstands – Peter Weiss 100", Berlin 28.9.–8.10.2016. Redaktion: Annika Frahm, Aenne Quiñones, Sarah Reimann, Arved Schultze, Isabelle Zinsmaier., 2016
"Wenn das Pathos vergangener politischer Hoffnung schmerzt oder peinlich berührt, so hängt es mit... more "Wenn das Pathos vergangener politischer Hoffnung schmerzt oder peinlich berührt, so hängt es mit der unverarbeiteten Trauer und dem Entsetzen darüber zusammen, was im 20. Jahrhundert geschah und sich fortzusetzen droht."
Språket, makten och härligheten. Fem föreläsningar., 2011

In the international debate over the last decades, scholars of postcolonial literature have most ... more In the international debate over the last decades, scholars of postcolonial literature have most often examined the issue of comparison in relation to history and context. How does literary criticism in the Baltic Sea Region relate to these debates? During our symposion intersections between literature and history will make up a key aspect. Crossing the boundaries between countries, cultures and languages in the Baltic Sea region region inevitably involves crossing the tracks of vikings and tradesmen, smugglers and duty free ships, politicians and armies, nomads and crusaders, working-class activists and aristocrats, fascists and communists, esperantists and feminists, refugees and economic migrants, scholars and artists, diplomats and spies. Any literary protagonist, author, motif or stylistic device that can be argued to reflect such modes of movement is of potential relevance for the discussion.
Conferences by Jenny Willner

28. Workshop am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der LMU, 2023
Mit einer berühmt gewordenen Formulierung hat Freud in seinem kurzen Aufsatz „Die Verneinung“ (19... more Mit einer berühmt gewordenen Formulierung hat Freud in seinem kurzen Aufsatz „Die Verneinung“ (1925) die Negation zu einem Ausgangspunkt psychoanalytischer Interpretationspraxis erhoben. Verneint der Patient bei der Traumwiedergabe eine bestimmte Assoziation – „Die Mutter ist es nicht“ –, so nimmt der Analytiker sich demgegenüber „die Freiheit, bei der Deutung von der Verneinung abzusehen“ und schließt rigoros: „Also ist es die Mutter“. Die Negation figuriert dabei als Signal für Bedeutsamkeit, mehr noch: Sie scheint gar einer Hermeneutik der Vereindeutigung den Weg zu bahnen. Gleichzeitig gilt bereits hier, was Freud später betonen sollte: Das Nein rührt an die Grenzen der Deutbarkeit. In Freuds „Konstruktionen in der Analyse“ (1937) gilt die Bejahung bloß als Verneinung höherer Ordnungsstufe, wobei die Verneinung selbst „ebenso vieldeutig und eigentlich noch weniger verwendbar“ sei als das Ja des Analysierten: „Die einzig sichere Deutung seines ‚Nein‘ ist also die auf Unvollständigkeit; die Konstruktion hat ihm gewiß nicht alles gesagt.“ Dieses dem Phänomen eigentümliche Schwanken zwischen Mangel und Überschuss, zwischen Vereindeutigungstendenz und Proliferation von Bedeutung, verweist weit über den psychoanalytischen Kontext hinaus. Gerade das Thematisieren eines Mangels bringt Produktivität ins Spiel: Über Negatives zu sprechen, heißt nicht unbedingt, auf etwas Nichtseiendes Bezug zu nehmen, sondern auch auf das Nichtvorhandensein von Etwas zu beharren. Und auch in der dialektischen Negation entfaltet das Negative eine produktive Kraft: Da bei Hegel die Negation immer schon gedoppelt auftritt, verbirgt sich hinter dem dialektischen Dreischritt eine „Tendenz zur Vervielfältigung“ der Negationen und die Suche nach einer „Abbreviatur unendlicher Negationsreihen“ (Patrick Eiden-Offe).
Die Analyse der spezifischen Negationsreihen literarischer Texte kann an solche theoretischen Perspektiven anschließen, erfordert jedoch eine darüber hinausgehende Sensibilität für die Vielfalt von textuellen Verneinungsoperationen, die deshalb im Zentrum des Workshops stehen: vom expliziten Nein über die geisternde Vorsilbe -un bis hin zur Frage nach der strukturierenden Funktion von Auslassungen, Leerstellen und Hohlräumen. Zur Diskussion steht unter anderem die Frage nach dem heuristischen Wert einer Philologie der Negation für eine literaturwissenschaftliche Methodendiskussion. Inwiefern lässt sich die Analyse des Verhältnisses des „Nichtgesagten“ und des „gesagten Nicht“ (Karl-Heinz Stierle) als Strukturphänomen literarischer Texte begreifen? Die Auseinandersetzung mit Spielarten der Negation eröffnet die Möglichkeit, das Verhältnis von Implizitem und Explizitem, von Latenz und Evidenz, von textimmanenter Unbestimmtheit und kontextualisierender Ausdeutung, von Hermeneutik, Konstruktion und Dekonstruktion zu diskutieren. Die Frage nach der Negation hat aber auch eine historische Dimension: Während Verfahren der Negativität gewöhnlich mit der literarischen Avantgarde in Verbindung gebracht werden, heißt es bei Hans Blumenberg nicht von ungefähr: „Unsere Fähigkeit zum Realismus beruht auf der Negation.“ Bereits der literarische Realismus verhandelt systematisch Momente des Widerstands, der Desillusionierung oder Ohnmacht und umkreist populäre Figuren der Resignation und des Neinsagens.
Begrüßung
Jenny Willner, Roman Widder
Un-: Geschichte und Theorie einer Vorsilbe
(Nietzsche, Freud, Butler)
Wolfgang Hottner, Bergen
Verneinung ‚Made in Germany’
(Freud, Ferenczi, G.-A. Goldschmidt)
Jenny Willner, München
Widerstand, Kastration, Leerstelle:
Die realistische Negation lesen (Gogol, Storm)
Roman Widder, Berlin
L’in-fini et l’ineffable vide:
Negation und Meskalin bei Michaux und Blanchot
Jan Knobloch, Köln
rien/vide. Im Herz der Negativität bei Marguerite Duras
Katharina Simon, München
Uploads
Books by Jenny Willner
Editors’ Note and Acknowledgements
(Herman Westerink & Jenny Willner)
Dimensions of ‘Beyond’: An Introduction
(Herman Westerink & Jenny Willner)
Beyond the Pleasure Principle
(Sigmund Freud, ed. by M. ffytche, J. Forrester and M. Molnar on the basis of the German critical edition by U. May and M. Schröter)
The Third Step in Drive Theory: On the Genesis of Beyond the Pleasure Principle
Ulrike May
From Repetition and Drive Monism to Binding and Conflict: Re‑reading Freud’s Beyond the Pleasure Principle
(Philippe Van Haute & Herman Westerink)
Traumatic Neuroses and Psychoneuroses in (and) Beyond the Pleasure Principle*
Ulrike Kistner
Neurotic Evolution: Bioanalysis against Biologism in Beyond the Pleasure Principle
(Jenny Willner)
Ferenczi Thinking Beyond the Pleasure Principle
(Jakob Staberg)
An Introduction by Jenny Willner, Jakob Staberg and Raluca Soreanu"
"The houses seem scattered, as if diced into a landscape as empty and abstract as a map. A blue piece of paper in the upper left corner is perhaps the sea behind the shore, and indefinite black and white shapes take up the foreground, like flames or shades. At the centre there are two female legs, dressed in mid-calf laced boots, leaping over the fragmented landscape. The legs have no torso, there is no head, there are no arms, but a spiral-shaped shell is strapped around the crotch, the shell of a snail or a mollusc. 'Siebenmeilenstiefel' is the title of this photomontage, the image on our book cover. It was made in 1934 by Hannah Höch (1889–1978), an active member of the Berlin Dada group."
Ferenczi Dialogues presents the contribution of Sándor Ferenczi to a psychoanalytic theory of trauma and discusses the philosophical, political and clinical implications of Ferenczi’s thinking. To a far greater extent than Freud, Sándor Ferenczi centered his psychoanalytic thought around trauma. Ferenczi's work pluralises the notion of catastrophe, as being both destructive and a turning point. This book addresses Ferenczi’s work in terms of thinking in times of crises, by considering contemporary situations in constellation with various scenes from the past: the outbreak of the First World War, the crisis of psychoanalysis as an institution, the disastrous final encounter between Ferenczi and Freud, the rise of Fascism and National Socialism, and the impending exile of the founding members of the psychoanalytic movement. Against this backdrop, the authors show how Ferenczi's late work outlines a new metapsychology of fragments. Ferenczi Dialogues situates the legacy of Ferenczi within the broad interdisciplinary landscape of the social sciences, literary theory, psychoanalytic theory, and clinical practice, and highlights Ferenczi’s relevance for contemporary philosophical discussions.
This publication is GPRC-labeled (Guaranteed Peer-Reviewed Content).
"Wortgewalt ist Teil einer beginnenden aktualisierenden Weiss-Rezeption, ein Beitrag zur Aufarbeitung der nachkriegsdeutschen Literaturgeschichte und eine Studie über die deutsche Sprache. Jenny Willner kombiniert die Analyse bislang kaum bekannter Archivmaterialien aus dem Nachlass von Weiss mit einer dezidiert literaturtheoretischen Herangehensweise: Vergleichende Lektüren mit Sprachdenkern wie Victor Klemperer, Jacques Derrida, Judith Butler und Georges-Arthur Goldschmidt machen Weiss’ besonderen Umgang mit Fragen sprachlicher Gewalt und Gegengewalt, sprachlicher Verletzbarkeit und Strategien der Immunisierung erkennbar. Sein Schreiben wird hier als ebenso grundlegende wie konsequente Auseinandersetzung mit der sprachlichen Dimension nationalsozialistischer Herrschaft, mit ihren Auswirkungen und Spätfolgen greifbar.
Ein Spannungsverhältnis prägt so Weiss’ Beschreibungen der Sprache: Worte erscheinen als Werkzeug und Waffe, und zugleich als Material prekärer Konstruktionen, hinter denen sich ein verletzlicher Körper verbirgt. Sein Kampf mit, um und gegen die deutsche Sprache berührt Probleme, die längst nicht überwunden sind. Quer zur Kampfrhetorik um West und Ost, quer zu den Debatten der Linken um ’68 verläuft eine ganz andere Konfliktlinie: zwischen dem im Exil Gebliebenen, dessen Lebenslauf von der nationalsozialistischen Verfolgung durchkreuzt wurde, und den Deutschen und ihrer Sprache. Die Studie behandelt Text, Sprache und Körper als drei Aspekte einer allgemeinen Symptomatologie, die auf die historische Situation des Entkommenen, des Exilautors und des öffentlichen Intellektuellen bezogen wird. Die Kehrseite des Ideals von der Sprache als Werkzeug offenbart sich, wenn die sprachliche Verhärtung, die der Abwehr dienen sollte, zur Quelle einer neuen Gefahr wird. Gelesen mit Franz Kafkas Erzählfragment »Der Bau« eröffnet sich eine andere Dimension der Ästhetik des Widerstands: Der Roman ist ein Bau aus Worten, aber was aus der Ferne aussieht wie ein glatter Schrift-Block, wird aus der Nähe, mit mikroskopischem Blick betrachtet, zu etwas Ausgehöhltem, in dem es wispert, brodelt und pulsiert."
Mit dem Sammelband wird eine dezidiert literaturwissenschaftliche Annäherung an die bizarren und mitunter gar erschreckenden Erscheinungsformen anvisiert, in denen sich das Menschliche und das Nicht-Menschliche körperlich, institutionell, geschichtlich und nicht zuletzt semiotisch überkreuzen. Untersucht werden Sprachformen und Sprechweisen, die auf Tiere Bezug nehmen, Diskurse, die die Vorstellungen von Tiersein und Menschsein konstituieren oder eben auflösen, sowie die Variationen einer literarischen Sprache, die Tierisches in Texten zu inszenieren vermag. Gefragt wird zudem nach dem Unheimlichen und Abgründigen, das gerade am Haus- und Dressurtier in Erscheinung tritt. Auf eine verstörende und bislang kaum erhellte Konstellation machen die gesammelten Beiträge so aufmerksam: dass nämlich Mensch-Tier-Beziehungen um 1900, zwischen Liebe und Grausamkeit, Bio-Utopien und sozialer Krisenstimmung oszillierend, Tierliebe und Misanthropie mitunter auf bedenkliche Weise spiegeln.
Anbei: Inhaltsverzeichning sowie die Einleitung, die sich mit den 'nachdarwinistischen Obsessionen' um 1900 als Vorgeschichte der Human-Animal-Studies befasst: "Das jahrtausendealte Bündnis von 'Herr und Hund' wird als hierarchises Verhältnis demontiert und dafür mit dem Verweis auf eine gemeinsame Darmflora neu begründet."
Papers by Jenny Willner
Jede eingehendere Auseinandersetzung mit diesem Kompositum muss sich mit dem aporetischen Verhältnis von Subjektivität und Geltungsanspruch, Relativismus und verabsolutierender Setzung befassen. Dabei handelt es sich bei dem Wort selbst um eine sehr deutsche Angelegenheit. Wie Angst, Besserwisser und Lebensraum, figuriert das Wort Weltanschauung als Lehnwort in zahlreichen anderen Sprachen; es zählt zu den sogenannten Intraduisibles; das Englische world view ist zu optisch, world concept wiederum zu konzeptuell. Es ist die Geschichte deutschsprachiger Philosophie sowie die politische Geschichte Deutschlands überhaupt, die den Ruhm wie die Infamie des Weltanschauungsbegriffs begründet haben.
- - -
Aus der Verlagsankündigung des Lexikons:
"Weltgeschichte, Halbwelt, Weltanschauung: Es gibt keine Welt ohne Welt-Komposita. Das Lexikon entfaltet diese These in 57 Artikeln im Grenzbereich von Essay und Wortgeschichte.
Die Rede von der Welt ist in aller Munde, zumal angesichts der aktuellen Dynamik, die als fortgeschrittene ‚Globalisierung‘ begriffen wird. Besonders in der deutschen Sprache tritt das kleine Wort mit der großen Bedeutung häufig in zusammengesetzten Wörtern auf. Solche Welt-Komposita sind immer auch Verfahren, Welten – die es ja nicht an sich und je schon gibt – zu komponieren, und ihre genauere Analyse ermöglicht Einblicke in die Vielfalt der Kompositionsweisen."
Combining a poetology of science with psychoanalytic literary theory, this reading foregrounds the diverging ideological implications of the languages of biology. While Freud and Ferenczi’s immersion into pre-human history may seem like a retreat from political matters, Ferenczian ‘bioanalysis’, read against the backdrop of his time, holds the potential of a political intervention against biologism and eugenicist thought. At a time when evolutionary theory begins to inform eugenicist projects, alassa rewrites the terms of an entire discourse, while using concepts drawn from the psychoanalytic study of hysteria.
Subchapters:
- Freud’s Theory of Sexuality Meets Popular Darwinism in a Soldiers’ Library
- The Fish-Orgy: Wilhelm Bölsche’s Herrings and Ferenczi’s Thalassa
- Weltanschauung: Fetishistic Disavowal in Popular Darwinism
- Neurotic Evolution: Bioanalysis vs. Biologism
- Heroic Organs, Hysteric Organs: The Method of Bioanalysis
- The Politics of Bioanalysis
1. Widmung, Appell, Erschütterung.
Zur Didaktik der Friedensbewegung
2. Enigmatische Signifikanten:
Die Wohlgesinnte und die Zombies von Schewenborn
3. Theoretischer Ausblick:
Endzeitstimmung, Schuld und Scham
Im Zentrum seines Interesses steht die Tatsache, dass etwas am Zwangszeichen sich heteronom zu jenem Zwang verhält, den es bewirkt. Klemperer scheut die Nähe zu seinem Gegenstand nicht, er sucht sie geradezu exzessiv, wodurch sich allerdings das Verhältnis von Nähe und Distanz destabilisiert: Durch die Lupe des Philologen betrachtet, rückt der Stern so fern, als würde er, wie bei wirklichen Gestirnen üblich, mit dem Fernrohr studiert. Der verfremdende, Entfernung erzeugende Blick durch die Lupe lässt sich als sprachphilosophisches und machttheoretisches Interesse begreifen, das sich auf das Morsche, jeglicher Letztbegründung entbehrende Moment der sprachlichen Gewalt richtet."
Der Beitrag liest »Jenseits des Lustprinzips« ausgehend vom Projekt einer »Bioanalyse«, das Sigmund Freud und Sándor Ferenczi gemeinsam anvisierten, aber nie vollendeten. Ferenczi definierte die Bioanalyse als spekulative Wissenschaft, die psychoanalytische Begriffe und Methoden konsequent auf die Naturwissenschaften überträgt. Mit historischem Abstand wird das Projekt »Bioanalyse« als Versuchsanordnung lesbar, in deren Rahmen Ferenczi und Freud in Zeiten einer zunehmenden Biologisierung des Sozialen mit einem Gegennarrativ experimentierten. Freuds Spekulation über den Einzeller im vierten Kapitel von »Jenseits des Lustprinzips« ist dafür beispielhaft: Ihre Relevanz besteht in der Abgrenzung gegenüber jener Gemengelage aus biologistischen Vervollkommnungsphantasien und esoterischen Reinheitsidealen, deren tödliche Auswirkung sich erst in den Jahrzehnten nach »Jenseits des Lustprinzips« in ihrem vollen Ausmaß erweisen sollte.
Das Nachdenken über den Tod sowie das Totengedenken ist für den politischen Widerstand, wie er in diesem Roman gedacht wird, unentbehrlich. Es ist als bediente sich der Erzähler des Mottos, mit dem Freud sein Essay "Zeitgemäßes über Krieg und Tod" (1915) beschließt: "Wenn du das Leben aushalten willst, richte dich auf den Tod ein", und in diesem Sinne weiterdenkend: Wenn du weiterkämpfen willst, vertiefe dich in historische Niederlagen.
Die dem Roman implizite Kritik am Darwinomarxismus führt ins Zentrum des Problems, das mit der Suche nach einer anderen Ästhetik, nach einer anderen Politik verbunden ist. Der Anspruch besteht darin, Widerstand jenseits des Fortschrittsparadigmas zu denken und zu üben, Widerstand ohne Verdrängung der Katastrophe. Dabei ist die naturwissenschaftliche Seite der Frage nach Tod und Leben diesen am historischen Materialismus geschulten Romanfiguren alles andere als gleichgültig: Materialität hat hier durchaus mit Kreatürlichkeit im Sinne einer Natur- und Todesverfallenheit zu tun. Es gilt, das Widerstandsdenken in Weiss' Roman ins Verhältnis zu Walter Benjamins geschichtsphilosophischen Ansatz zu setzen, zur Evolutionstheorie Darwins und ihrer Rezeption durch die Arbeiterbewegung sowie in Relation zu Freuds Begriff des Todestriebs. Diese Konstellation dient dem Versuch, politischen Widerstand zugunsten einer Form von Hoffnung zu konzipieren, die nicht von der Abwehr des Unerträglichen abhängt. Damit geht die so implizite wie durchgehende Kritik des populären sozialistischen Darwinismus einher, deren Artikulation im vorliegenden Beitrag die für den Roman so zentrale Rolle des Kreatürlichen und Organischen erhellt.
Conferences by Jenny Willner
Die Analyse der spezifischen Negationsreihen literarischer Texte kann an solche theoretischen Perspektiven anschließen, erfordert jedoch eine darüber hinausgehende Sensibilität für die Vielfalt von textuellen Verneinungsoperationen, die deshalb im Zentrum des Workshops stehen: vom expliziten Nein über die geisternde Vorsilbe -un bis hin zur Frage nach der strukturierenden Funktion von Auslassungen, Leerstellen und Hohlräumen. Zur Diskussion steht unter anderem die Frage nach dem heuristischen Wert einer Philologie der Negation für eine literaturwissenschaftliche Methodendiskussion. Inwiefern lässt sich die Analyse des Verhältnisses des „Nichtgesagten“ und des „gesagten Nicht“ (Karl-Heinz Stierle) als Strukturphänomen literarischer Texte begreifen? Die Auseinandersetzung mit Spielarten der Negation eröffnet die Möglichkeit, das Verhältnis von Implizitem und Explizitem, von Latenz und Evidenz, von textimmanenter Unbestimmtheit und kontextualisierender Ausdeutung, von Hermeneutik, Konstruktion und Dekonstruktion zu diskutieren. Die Frage nach der Negation hat aber auch eine historische Dimension: Während Verfahren der Negativität gewöhnlich mit der literarischen Avantgarde in Verbindung gebracht werden, heißt es bei Hans Blumenberg nicht von ungefähr: „Unsere Fähigkeit zum Realismus beruht auf der Negation.“ Bereits der literarische Realismus verhandelt systematisch Momente des Widerstands, der Desillusionierung oder Ohnmacht und umkreist populäre Figuren der Resignation und des Neinsagens.
Begrüßung
Jenny Willner, Roman Widder
Un-: Geschichte und Theorie einer Vorsilbe
(Nietzsche, Freud, Butler)
Wolfgang Hottner, Bergen
Verneinung ‚Made in Germany’
(Freud, Ferenczi, G.-A. Goldschmidt)
Jenny Willner, München
Widerstand, Kastration, Leerstelle:
Die realistische Negation lesen (Gogol, Storm)
Roman Widder, Berlin
L’in-fini et l’ineffable vide:
Negation und Meskalin bei Michaux und Blanchot
Jan Knobloch, Köln
rien/vide. Im Herz der Negativität bei Marguerite Duras
Katharina Simon, München
Editors’ Note and Acknowledgements
(Herman Westerink & Jenny Willner)
Dimensions of ‘Beyond’: An Introduction
(Herman Westerink & Jenny Willner)
Beyond the Pleasure Principle
(Sigmund Freud, ed. by M. ffytche, J. Forrester and M. Molnar on the basis of the German critical edition by U. May and M. Schröter)
The Third Step in Drive Theory: On the Genesis of Beyond the Pleasure Principle
Ulrike May
From Repetition and Drive Monism to Binding and Conflict: Re‑reading Freud’s Beyond the Pleasure Principle
(Philippe Van Haute & Herman Westerink)
Traumatic Neuroses and Psychoneuroses in (and) Beyond the Pleasure Principle*
Ulrike Kistner
Neurotic Evolution: Bioanalysis against Biologism in Beyond the Pleasure Principle
(Jenny Willner)
Ferenczi Thinking Beyond the Pleasure Principle
(Jakob Staberg)
An Introduction by Jenny Willner, Jakob Staberg and Raluca Soreanu"
"The houses seem scattered, as if diced into a landscape as empty and abstract as a map. A blue piece of paper in the upper left corner is perhaps the sea behind the shore, and indefinite black and white shapes take up the foreground, like flames or shades. At the centre there are two female legs, dressed in mid-calf laced boots, leaping over the fragmented landscape. The legs have no torso, there is no head, there are no arms, but a spiral-shaped shell is strapped around the crotch, the shell of a snail or a mollusc. 'Siebenmeilenstiefel' is the title of this photomontage, the image on our book cover. It was made in 1934 by Hannah Höch (1889–1978), an active member of the Berlin Dada group."
Ferenczi Dialogues presents the contribution of Sándor Ferenczi to a psychoanalytic theory of trauma and discusses the philosophical, political and clinical implications of Ferenczi’s thinking. To a far greater extent than Freud, Sándor Ferenczi centered his psychoanalytic thought around trauma. Ferenczi's work pluralises the notion of catastrophe, as being both destructive and a turning point. This book addresses Ferenczi’s work in terms of thinking in times of crises, by considering contemporary situations in constellation with various scenes from the past: the outbreak of the First World War, the crisis of psychoanalysis as an institution, the disastrous final encounter between Ferenczi and Freud, the rise of Fascism and National Socialism, and the impending exile of the founding members of the psychoanalytic movement. Against this backdrop, the authors show how Ferenczi's late work outlines a new metapsychology of fragments. Ferenczi Dialogues situates the legacy of Ferenczi within the broad interdisciplinary landscape of the social sciences, literary theory, psychoanalytic theory, and clinical practice, and highlights Ferenczi’s relevance for contemporary philosophical discussions.
This publication is GPRC-labeled (Guaranteed Peer-Reviewed Content).
"Wortgewalt ist Teil einer beginnenden aktualisierenden Weiss-Rezeption, ein Beitrag zur Aufarbeitung der nachkriegsdeutschen Literaturgeschichte und eine Studie über die deutsche Sprache. Jenny Willner kombiniert die Analyse bislang kaum bekannter Archivmaterialien aus dem Nachlass von Weiss mit einer dezidiert literaturtheoretischen Herangehensweise: Vergleichende Lektüren mit Sprachdenkern wie Victor Klemperer, Jacques Derrida, Judith Butler und Georges-Arthur Goldschmidt machen Weiss’ besonderen Umgang mit Fragen sprachlicher Gewalt und Gegengewalt, sprachlicher Verletzbarkeit und Strategien der Immunisierung erkennbar. Sein Schreiben wird hier als ebenso grundlegende wie konsequente Auseinandersetzung mit der sprachlichen Dimension nationalsozialistischer Herrschaft, mit ihren Auswirkungen und Spätfolgen greifbar.
Ein Spannungsverhältnis prägt so Weiss’ Beschreibungen der Sprache: Worte erscheinen als Werkzeug und Waffe, und zugleich als Material prekärer Konstruktionen, hinter denen sich ein verletzlicher Körper verbirgt. Sein Kampf mit, um und gegen die deutsche Sprache berührt Probleme, die längst nicht überwunden sind. Quer zur Kampfrhetorik um West und Ost, quer zu den Debatten der Linken um ’68 verläuft eine ganz andere Konfliktlinie: zwischen dem im Exil Gebliebenen, dessen Lebenslauf von der nationalsozialistischen Verfolgung durchkreuzt wurde, und den Deutschen und ihrer Sprache. Die Studie behandelt Text, Sprache und Körper als drei Aspekte einer allgemeinen Symptomatologie, die auf die historische Situation des Entkommenen, des Exilautors und des öffentlichen Intellektuellen bezogen wird. Die Kehrseite des Ideals von der Sprache als Werkzeug offenbart sich, wenn die sprachliche Verhärtung, die der Abwehr dienen sollte, zur Quelle einer neuen Gefahr wird. Gelesen mit Franz Kafkas Erzählfragment »Der Bau« eröffnet sich eine andere Dimension der Ästhetik des Widerstands: Der Roman ist ein Bau aus Worten, aber was aus der Ferne aussieht wie ein glatter Schrift-Block, wird aus der Nähe, mit mikroskopischem Blick betrachtet, zu etwas Ausgehöhltem, in dem es wispert, brodelt und pulsiert."
Mit dem Sammelband wird eine dezidiert literaturwissenschaftliche Annäherung an die bizarren und mitunter gar erschreckenden Erscheinungsformen anvisiert, in denen sich das Menschliche und das Nicht-Menschliche körperlich, institutionell, geschichtlich und nicht zuletzt semiotisch überkreuzen. Untersucht werden Sprachformen und Sprechweisen, die auf Tiere Bezug nehmen, Diskurse, die die Vorstellungen von Tiersein und Menschsein konstituieren oder eben auflösen, sowie die Variationen einer literarischen Sprache, die Tierisches in Texten zu inszenieren vermag. Gefragt wird zudem nach dem Unheimlichen und Abgründigen, das gerade am Haus- und Dressurtier in Erscheinung tritt. Auf eine verstörende und bislang kaum erhellte Konstellation machen die gesammelten Beiträge so aufmerksam: dass nämlich Mensch-Tier-Beziehungen um 1900, zwischen Liebe und Grausamkeit, Bio-Utopien und sozialer Krisenstimmung oszillierend, Tierliebe und Misanthropie mitunter auf bedenkliche Weise spiegeln.
Anbei: Inhaltsverzeichning sowie die Einleitung, die sich mit den 'nachdarwinistischen Obsessionen' um 1900 als Vorgeschichte der Human-Animal-Studies befasst: "Das jahrtausendealte Bündnis von 'Herr und Hund' wird als hierarchises Verhältnis demontiert und dafür mit dem Verweis auf eine gemeinsame Darmflora neu begründet."
Jede eingehendere Auseinandersetzung mit diesem Kompositum muss sich mit dem aporetischen Verhältnis von Subjektivität und Geltungsanspruch, Relativismus und verabsolutierender Setzung befassen. Dabei handelt es sich bei dem Wort selbst um eine sehr deutsche Angelegenheit. Wie Angst, Besserwisser und Lebensraum, figuriert das Wort Weltanschauung als Lehnwort in zahlreichen anderen Sprachen; es zählt zu den sogenannten Intraduisibles; das Englische world view ist zu optisch, world concept wiederum zu konzeptuell. Es ist die Geschichte deutschsprachiger Philosophie sowie die politische Geschichte Deutschlands überhaupt, die den Ruhm wie die Infamie des Weltanschauungsbegriffs begründet haben.
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Aus der Verlagsankündigung des Lexikons:
"Weltgeschichte, Halbwelt, Weltanschauung: Es gibt keine Welt ohne Welt-Komposita. Das Lexikon entfaltet diese These in 57 Artikeln im Grenzbereich von Essay und Wortgeschichte.
Die Rede von der Welt ist in aller Munde, zumal angesichts der aktuellen Dynamik, die als fortgeschrittene ‚Globalisierung‘ begriffen wird. Besonders in der deutschen Sprache tritt das kleine Wort mit der großen Bedeutung häufig in zusammengesetzten Wörtern auf. Solche Welt-Komposita sind immer auch Verfahren, Welten – die es ja nicht an sich und je schon gibt – zu komponieren, und ihre genauere Analyse ermöglicht Einblicke in die Vielfalt der Kompositionsweisen."
Combining a poetology of science with psychoanalytic literary theory, this reading foregrounds the diverging ideological implications of the languages of biology. While Freud and Ferenczi’s immersion into pre-human history may seem like a retreat from political matters, Ferenczian ‘bioanalysis’, read against the backdrop of his time, holds the potential of a political intervention against biologism and eugenicist thought. At a time when evolutionary theory begins to inform eugenicist projects, alassa rewrites the terms of an entire discourse, while using concepts drawn from the psychoanalytic study of hysteria.
Subchapters:
- Freud’s Theory of Sexuality Meets Popular Darwinism in a Soldiers’ Library
- The Fish-Orgy: Wilhelm Bölsche’s Herrings and Ferenczi’s Thalassa
- Weltanschauung: Fetishistic Disavowal in Popular Darwinism
- Neurotic Evolution: Bioanalysis vs. Biologism
- Heroic Organs, Hysteric Organs: The Method of Bioanalysis
- The Politics of Bioanalysis
1. Widmung, Appell, Erschütterung.
Zur Didaktik der Friedensbewegung
2. Enigmatische Signifikanten:
Die Wohlgesinnte und die Zombies von Schewenborn
3. Theoretischer Ausblick:
Endzeitstimmung, Schuld und Scham
Im Zentrum seines Interesses steht die Tatsache, dass etwas am Zwangszeichen sich heteronom zu jenem Zwang verhält, den es bewirkt. Klemperer scheut die Nähe zu seinem Gegenstand nicht, er sucht sie geradezu exzessiv, wodurch sich allerdings das Verhältnis von Nähe und Distanz destabilisiert: Durch die Lupe des Philologen betrachtet, rückt der Stern so fern, als würde er, wie bei wirklichen Gestirnen üblich, mit dem Fernrohr studiert. Der verfremdende, Entfernung erzeugende Blick durch die Lupe lässt sich als sprachphilosophisches und machttheoretisches Interesse begreifen, das sich auf das Morsche, jeglicher Letztbegründung entbehrende Moment der sprachlichen Gewalt richtet."
Der Beitrag liest »Jenseits des Lustprinzips« ausgehend vom Projekt einer »Bioanalyse«, das Sigmund Freud und Sándor Ferenczi gemeinsam anvisierten, aber nie vollendeten. Ferenczi definierte die Bioanalyse als spekulative Wissenschaft, die psychoanalytische Begriffe und Methoden konsequent auf die Naturwissenschaften überträgt. Mit historischem Abstand wird das Projekt »Bioanalyse« als Versuchsanordnung lesbar, in deren Rahmen Ferenczi und Freud in Zeiten einer zunehmenden Biologisierung des Sozialen mit einem Gegennarrativ experimentierten. Freuds Spekulation über den Einzeller im vierten Kapitel von »Jenseits des Lustprinzips« ist dafür beispielhaft: Ihre Relevanz besteht in der Abgrenzung gegenüber jener Gemengelage aus biologistischen Vervollkommnungsphantasien und esoterischen Reinheitsidealen, deren tödliche Auswirkung sich erst in den Jahrzehnten nach »Jenseits des Lustprinzips« in ihrem vollen Ausmaß erweisen sollte.
Das Nachdenken über den Tod sowie das Totengedenken ist für den politischen Widerstand, wie er in diesem Roman gedacht wird, unentbehrlich. Es ist als bediente sich der Erzähler des Mottos, mit dem Freud sein Essay "Zeitgemäßes über Krieg und Tod" (1915) beschließt: "Wenn du das Leben aushalten willst, richte dich auf den Tod ein", und in diesem Sinne weiterdenkend: Wenn du weiterkämpfen willst, vertiefe dich in historische Niederlagen.
Die dem Roman implizite Kritik am Darwinomarxismus führt ins Zentrum des Problems, das mit der Suche nach einer anderen Ästhetik, nach einer anderen Politik verbunden ist. Der Anspruch besteht darin, Widerstand jenseits des Fortschrittsparadigmas zu denken und zu üben, Widerstand ohne Verdrängung der Katastrophe. Dabei ist die naturwissenschaftliche Seite der Frage nach Tod und Leben diesen am historischen Materialismus geschulten Romanfiguren alles andere als gleichgültig: Materialität hat hier durchaus mit Kreatürlichkeit im Sinne einer Natur- und Todesverfallenheit zu tun. Es gilt, das Widerstandsdenken in Weiss' Roman ins Verhältnis zu Walter Benjamins geschichtsphilosophischen Ansatz zu setzen, zur Evolutionstheorie Darwins und ihrer Rezeption durch die Arbeiterbewegung sowie in Relation zu Freuds Begriff des Todestriebs. Diese Konstellation dient dem Versuch, politischen Widerstand zugunsten einer Form von Hoffnung zu konzipieren, die nicht von der Abwehr des Unerträglichen abhängt. Damit geht die so implizite wie durchgehende Kritik des populären sozialistischen Darwinismus einher, deren Artikulation im vorliegenden Beitrag die für den Roman so zentrale Rolle des Kreatürlichen und Organischen erhellt.
Die Analyse der spezifischen Negationsreihen literarischer Texte kann an solche theoretischen Perspektiven anschließen, erfordert jedoch eine darüber hinausgehende Sensibilität für die Vielfalt von textuellen Verneinungsoperationen, die deshalb im Zentrum des Workshops stehen: vom expliziten Nein über die geisternde Vorsilbe -un bis hin zur Frage nach der strukturierenden Funktion von Auslassungen, Leerstellen und Hohlräumen. Zur Diskussion steht unter anderem die Frage nach dem heuristischen Wert einer Philologie der Negation für eine literaturwissenschaftliche Methodendiskussion. Inwiefern lässt sich die Analyse des Verhältnisses des „Nichtgesagten“ und des „gesagten Nicht“ (Karl-Heinz Stierle) als Strukturphänomen literarischer Texte begreifen? Die Auseinandersetzung mit Spielarten der Negation eröffnet die Möglichkeit, das Verhältnis von Implizitem und Explizitem, von Latenz und Evidenz, von textimmanenter Unbestimmtheit und kontextualisierender Ausdeutung, von Hermeneutik, Konstruktion und Dekonstruktion zu diskutieren. Die Frage nach der Negation hat aber auch eine historische Dimension: Während Verfahren der Negativität gewöhnlich mit der literarischen Avantgarde in Verbindung gebracht werden, heißt es bei Hans Blumenberg nicht von ungefähr: „Unsere Fähigkeit zum Realismus beruht auf der Negation.“ Bereits der literarische Realismus verhandelt systematisch Momente des Widerstands, der Desillusionierung oder Ohnmacht und umkreist populäre Figuren der Resignation und des Neinsagens.
Begrüßung
Jenny Willner, Roman Widder
Un-: Geschichte und Theorie einer Vorsilbe
(Nietzsche, Freud, Butler)
Wolfgang Hottner, Bergen
Verneinung ‚Made in Germany’
(Freud, Ferenczi, G.-A. Goldschmidt)
Jenny Willner, München
Widerstand, Kastration, Leerstelle:
Die realistische Negation lesen (Gogol, Storm)
Roman Widder, Berlin
L’in-fini et l’ineffable vide:
Negation und Meskalin bei Michaux und Blanchot
Jan Knobloch, Köln
rien/vide. Im Herz der Negativität bei Marguerite Duras
Katharina Simon, München
Jenny Willner (LMU München): Reading Ferenczi. Interdisciplinary Approaches /
DREAMS AND CORRESPONDENCES /
Jakob Staberg (Södertörn): Instead of Language: Confusion. A Missed Encounter between Sigmund Freud and Sándor Ferenczi /
Shaul Bar-Haim (Essex): Confusion of tongues? The Psychoanalytic Languages and the Ferenczian Legacy /
CONFUSION OF TONGUES: FURTHER PERSPECTIVES /
Eveline List (Vienna): Sándor Ferenczi as a Radical Political Thinker /
Peter Coviello (Chicago): Annihilation and Unknowing in the Anthropocene; or, The Shining /
THALASSA /
Carlo Bonomi (Florence): Ferenczi´s Thalassa Myth and "The Great Lord Penis". A Deconstruction of Freud´s Genital Theory /
Jenny Willner (LMU München): Neurotic Evolution. "Bioanalysis" in Ferenczi and Freud /
INTROJECTION AND BEYOND /
Andrea Ritter (Budapest): From Introjection to Incorporation. Ferenczi, Abraham, Török /
Brigid Doherty (Princeton): Three Wishes for the Fourth Time /
CLINICAL DIARY – NEW READINGS /
Júlia Gyimesi (Budapest): The Fourth Narcissistic Wound. Sándor Ferenczi as a Psychical Researcher /
Raluca Soreanu (London): The Psychic Life of Fragments. Between Superego and Orpha /
Galina Hristeva (Stuttgart) “Urgesang”. Sándor Ferenczi as an Orphic Poet /
Freitag 9.-10.11.2018
_________
In Erinnerung an Prof. Dr. Jürgen Schutte
* 21. Juli 1938
† 19. Oktober 2018
_________
INSTITUT FÜR AVL AN DER LMU MÜNCHEN /
INTERNATIONALE PETER WEISS-GESELLSCHAFT
Freitag, 9.11.2018
14.15
Arnd Beise, Jenny Willner:
Begrüßung
14.30-15.15
Johanna Charlotte Horst:
»Ästhetiken des Widerstands«
15.15-16.00
Maria Fixemer und Felicitas Friedrich
»...alles nah seinem verwitterten Ende und nah seinem Ursprung« Überlegungen zur Melencolia-Passage in der »Ästhetik des Widerstands«
16:00-16:30
Kaffeepause
16:30-18:00
Wolfram Ette:
Widerstand ohne Hoffnung. Notizen aus Ostdeutschland
Samstag, 10.11.2018
9.00-10.00
Öffentliche Mitgliederversammlung der IPWG
10.00-10.30
Kaffeepause
10.30-12.00
»Marat/Sade« am Münchner Residenztheater
Gespräch mit Andrea Koschwitz (Dramaturgie) und Tina Lanik (Regie)
12:00-12:15
Kaffeepause
12:15-13:00
Werkstattbericht Lesekreis, München 2018:
Zur Aktualität der »Ästhetik des Widerstands«
13.00-13.15
Verabschiedung
Bild: Peter Weiss, Zu Arne Sand, »Erövraren«, 1951 – © 2018 Gunilla Palmstierna-Weiss, Stockholm
The workshop is the fifth part of a series of gatherings that fall under the epigraph of “Violence in Philosophy and Literature”.
Pressesprecher: Christian Steinau
Das "Bündnis für Kreuzvielfalt an Bayerischen Hochschulen" besteht aus zu Zeit ca. 300 Personen und dient der widerspenstigen Auslegung des § 28 der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern. Das Bündnis weiß darum, dass das Kreuz tiefer prägt, als man denkt,
• ob auf Grünewalds Isenheimer Altar
• in den Gedichten jüdischer Mitglieder der Münchner Räterepublik
• in den Blutorgien des Künstlers Hermann Nitsch
• bei Femen-Aktivistinnen und Pussy Riot
• als Fetisch in der BDSM-Szene
• in Madonnas „Like a Prayer“
• in Monty Python’s Life of Brian
Licenses for the following photographs were obtained:
Shoal of fish - iStock.com/Alexpunker
Herring - iStock.com/akinshin
Ascidiacea - iStock.com/LaSalle-Photo
Mating frogs - iStock.com/Anne Coatesy
Mating nile crocodiles - iStock.com/USO
Gastvortrag im Rahmen des Seminars "Peter Weiss: Ästhetik des Widerstands" von Jonathan Schmidt-Dominé
Ort: Seminarhaus, Campus Westend, Raum 3.101
Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main
Peter Berz, Privatdozent für Biologische Medientheorie an der Humboldt-Universität zu Berlin, befasst sich mit Freud und Ferenczi im Horizont nicht-darwinistischer Biologien. Veröffentlichungen u.a.: Die Einzeller und die Lust. L'imaginaire animal. Die Identität der Amoeben. Die vier Verschiebungen des Blicks.
Literatur u.a.: Daniel Paul Schreber: Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken. Giessen 2003. (Faksimilierte Neuauflage der Ausgabe Leipzig 1903, hrsg. mit einem Nachwort, Personen- und Sachregister versehen von Gerd Busse); Eric L. Santner: My Own Private Germany. Daniel Paul Schreber’s Secret History of Modernity. Princeton 1997.