Die Zusammenfassung der Genres Rock, Pop und Jazz mag – bei aller Heterogenitat – mit folgenden A... more Die Zusammenfassung der Genres Rock, Pop und Jazz mag – bei aller Heterogenitat – mit folgenden Aspekten, die untereinander koinzidieren, begrundet werden konnen: Sie lassen sich im weitesten Sinne als ‚Song‘-Typen jenseits der europaischen Entwicklungsformen klassifizieren; sie begrunden gemeinhin eine Unterhaltungskultur, die nicht immer asthetisch-textuell, aber umso mehr musiksoziologisch-kontextuell fassbar ist; sie lassen sich uberwiegend, mit Ausnahmen wie dem Free Jazz oder der Noise Music, als tonale Musik einordnen. Bei der folgenden Diskussion interessieren freilich weniger die Interdependenzen sowie die historische Verknupfung dieser Genres als vielmehr die Parallelen hinsichtlich repetitiver Strukturen. Diese lassen sich, so viel sei vorweggenommen, sowohl auf formaler, rhythmischer, harmonischer als auch melodischer Ebene nachweisen.
Wiederholung als zentrales universelles Gestaltungsmittel der Musik
Wahrend das vorangehende Kapitel aus einer elementaren, gleichsam ‚mathematisch wertungsfreien‘ P... more Wahrend das vorangehende Kapitel aus einer elementaren, gleichsam ‚mathematisch wertungsfreien‘ Perspektive erwuchs, wird das Folgekapitel in einer Auseinandersetzung mit dem begrifflichen Instrumentarium der Musiktheorie, insbesondere der Disziplin der Formenlehre entwickelt.
Wiederholung als zentrales universelles Gestaltungsmittel der Musik
Während sich die bisherige Betrachtung der Wiederholung aus europäischer musiktheoretischer Persp... more Während sich die bisherige Betrachtung der Wiederholung aus europäischer musiktheoretischer Perspektive primär auf Form-Modelle und deren Implikationen stützte, soll dem Phänomen der Wiederholung im Folgenden auf einer elementaren gestalterischen Ebene nachgespürt werden, um insbesondere auch eine interkulturelle Vergleichbarkeit zu ermöglichen. Eine Betrachtungsweise, die der Ockelford'schen Theorie zugrundeliegt, aber auch den Middleton'schen Begriff der ‚musematic repetition' berührt. Dabei wird sich zeigen, dass Wiederholung häufig eindimensional realisiert wird, während andere Ebenen des Tonsatzes respektive der Musik als Variationen, Neuerungen oder Kontraste beschreibbar sind. Und gerade das Verhältnis von Identität und Nichtidentität wird die Frage nach der Wahrnehmung, aber auch der ästhetischen Wertung evozieren. In der europäischen Musiktheorie, die sich-nach der mittelalterlichen Trennung in musica theorica und musica practica-historisch grob als Folge von Kontrapunkt-, Harmonie-und Formenlehre darstellen lässt, ist die Wiederholung auf der Ebene der Form stets am stärksten reflektiert worden. Als kleinstes Formelement gilt das Motiv, dessen Bedeutung existenziell auf Wiederholung beruht 558 , das sich, mit anderen Worten, erst durch Wiederholung manifestiert. Dass jedoch die Substanz eines realen musikalischen Gebildes, die ihm im Verlauf seiner Genese Identität verleiht, wohl zu unterscheiden ist von jener Substanz, die sich ändert, wird oft unterschlagen. Das Gleichbleibende, sich Wiederholende, wird musiktheoretisch und gleichzeitig ästhetisch nobilitiert, das sich Ändernde, Flüchtige, wird in einen sekundären Rang versetzt, 558 Carl Dahlhaus hat auf jenen fragwürdigen analytischen Ehrgeiz hingewiesen, der darauf beruhe, sämtliche Ereignisse eines musikalischen Werkes auf eine (meist diastematische) einzige Zelle, also ein omnipräsentes Element zurückführen zu wollen (vgl. C. Dahlhaus, 1993, S. 126).
Beiträge zur Jahrestagung der Gesellschaft für Musikforschung in Kassel 2017, 2018
Der musikalische Minimalismus ist in den 1960er-Jahren – in asthetischer Nahe zur Minimal Art-Bew... more Der musikalische Minimalismus ist in den 1960er-Jahren – in asthetischer Nahe zur Minimal Art-Bewegung – bekanntermasen mit dem Anspruch einer avantgardistischen kunstlerischen Bewegung gestartet. Die fruhen Arbeiten La Monte Youngs, Terry Rileys, Steve Reichs und Philip Glass’, aber auch die von Phill Niblock und Alvin Lucier, konnten als radikal und neu gelten, obwohl oder gerade weil der Bruch mit der europaischen ‘Tradition des Neuen’, dem noch der seriellen Musik inharenten Fortschrittsdenken, in der Mitte des 20. Jahrhunderts die Entstehung des fruhen Minimalismus begunstigt hatte. Nach ihrer Aufbruchsphase geriet die Minimal Music spatestens seit den 1970er-Jahren auf eine ‘Erfolgsspur’, die unmittelbar mit den musikalischen Mitteln der Reduktion, der Wiederholung, einer Neotonalitat und einer damit einhergehenden Redundanz erklart werden kann.
Schon die Tatsache, dass die in den fruhen 1960er Jahren entstandene Minimal Music bisweilen als ... more Schon die Tatsache, dass die in den fruhen 1960er Jahren entstandene Minimal Music bisweilen als Repetitive Musik in ihren strukturellen Implikationen terminologisch fixiert worden ist, verweist auf die Dringlichkeit, sich mit dieser spezifischen Form der neuen Musik der zweiten Halfte des 20. Jahrhunderts im Rahmen des Gesamtthemas ausfuhrlich auseinanderzusetzen. Musikologen wie Ulrich Dibelius, Ivanka Stoianova und Christian Baier haben den musikalischen Minimalismus mit seinem wohl starksten strukturellen Phanomen begrifflich identifiziert. Auch der Komponist Philip Glass bevorzugt den Begriff ‚Repetitive Musik‘, insbesondere um sich so – wie auch sein Kollege Terry Riley – von dem Attribut des ‚Minimalen‘ zu distanzieren.
Der Formulierung einer primar kompositionstechnischen, aber implizit auch asthetisch ausgerichtet... more Der Formulierung einer primar kompositionstechnischen, aber implizit auch asthetisch ausgerichteten Systematik der Wiederholung muss eine elementare Bestandsaufnahme vorausgehen. Die Fragen nach einem System, nach einer theoretischen Erfassung des Wiederholungsphanomens, fuhren zunachst zu einer rein formalistischen Betrachtungsweise jenseits asthetischer (und wahrnehmungspsychologischer) Implikationen – ein formales System, wie es auch David Huron und Adam Ockelford, indes mit unterschiedlichen Zielrichtungen, anstreben.
Wahrend asthetische Uberlegungen vielen Analysen bereits implizit zugrunde gelegen haben, sollen ... more Wahrend asthetische Uberlegungen vielen Analysen bereits implizit zugrunde gelegen haben, sollen nun spezifische Gesichtspunkte in den Fokus rucken, um die auserordentliche Bedeutung der Repetition bzw. Wiederholung aus unterschiedlichen Perspektiven zu untermauern und das Bild von Wiederholung als ein blos technisch-strukturelles Mittel zu differenzieren und zu erweitern. Hierbei geht es um die Darstellung bestimmter historischer Situationen und asthetischer Positionen, in denen das Element der Wiederholung die kompositorische Arbeit entscheidend – ob nun in negativer oder positiver Konnotation – beeinflusst hat.
Die Zusammenfassung der Genres Rock, Pop und Jazz mag – bei aller Heterogenitat – mit folgenden A... more Die Zusammenfassung der Genres Rock, Pop und Jazz mag – bei aller Heterogenitat – mit folgenden Aspekten, die untereinander koinzidieren, begrundet werden konnen: Sie lassen sich im weitesten Sinne als ‚Song‘-Typen jenseits der europaischen Entwicklungsformen klassifizieren; sie begrunden gemeinhin eine Unterhaltungskultur, die nicht immer asthetisch-textuell, aber umso mehr musiksoziologisch-kontextuell fassbar ist; sie lassen sich uberwiegend, mit Ausnahmen wie dem Free Jazz oder der Noise Music, als tonale Musik einordnen. Bei der folgenden Diskussion interessieren freilich weniger die Interdependenzen sowie die historische Verknupfung dieser Genres als vielmehr die Parallelen hinsichtlich repetitiver Strukturen. Diese lassen sich, so viel sei vorweggenommen, sowohl auf formaler, rhythmischer, harmonischer als auch melodischer Ebene nachweisen.
Wiederholung als zentrales universelles Gestaltungsmittel der Musik
Wahrend das vorangehende Kapitel aus einer elementaren, gleichsam ‚mathematisch wertungsfreien‘ P... more Wahrend das vorangehende Kapitel aus einer elementaren, gleichsam ‚mathematisch wertungsfreien‘ Perspektive erwuchs, wird das Folgekapitel in einer Auseinandersetzung mit dem begrifflichen Instrumentarium der Musiktheorie, insbesondere der Disziplin der Formenlehre entwickelt.
Wiederholung als zentrales universelles Gestaltungsmittel der Musik
Während sich die bisherige Betrachtung der Wiederholung aus europäischer musiktheoretischer Persp... more Während sich die bisherige Betrachtung der Wiederholung aus europäischer musiktheoretischer Perspektive primär auf Form-Modelle und deren Implikationen stützte, soll dem Phänomen der Wiederholung im Folgenden auf einer elementaren gestalterischen Ebene nachgespürt werden, um insbesondere auch eine interkulturelle Vergleichbarkeit zu ermöglichen. Eine Betrachtungsweise, die der Ockelford'schen Theorie zugrundeliegt, aber auch den Middleton'schen Begriff der ‚musematic repetition' berührt. Dabei wird sich zeigen, dass Wiederholung häufig eindimensional realisiert wird, während andere Ebenen des Tonsatzes respektive der Musik als Variationen, Neuerungen oder Kontraste beschreibbar sind. Und gerade das Verhältnis von Identität und Nichtidentität wird die Frage nach der Wahrnehmung, aber auch der ästhetischen Wertung evozieren. In der europäischen Musiktheorie, die sich-nach der mittelalterlichen Trennung in musica theorica und musica practica-historisch grob als Folge von Kontrapunkt-, Harmonie-und Formenlehre darstellen lässt, ist die Wiederholung auf der Ebene der Form stets am stärksten reflektiert worden. Als kleinstes Formelement gilt das Motiv, dessen Bedeutung existenziell auf Wiederholung beruht 558 , das sich, mit anderen Worten, erst durch Wiederholung manifestiert. Dass jedoch die Substanz eines realen musikalischen Gebildes, die ihm im Verlauf seiner Genese Identität verleiht, wohl zu unterscheiden ist von jener Substanz, die sich ändert, wird oft unterschlagen. Das Gleichbleibende, sich Wiederholende, wird musiktheoretisch und gleichzeitig ästhetisch nobilitiert, das sich Ändernde, Flüchtige, wird in einen sekundären Rang versetzt, 558 Carl Dahlhaus hat auf jenen fragwürdigen analytischen Ehrgeiz hingewiesen, der darauf beruhe, sämtliche Ereignisse eines musikalischen Werkes auf eine (meist diastematische) einzige Zelle, also ein omnipräsentes Element zurückführen zu wollen (vgl. C. Dahlhaus, 1993, S. 126).
Beiträge zur Jahrestagung der Gesellschaft für Musikforschung in Kassel 2017, 2018
Der musikalische Minimalismus ist in den 1960er-Jahren – in asthetischer Nahe zur Minimal Art-Bew... more Der musikalische Minimalismus ist in den 1960er-Jahren – in asthetischer Nahe zur Minimal Art-Bewegung – bekanntermasen mit dem Anspruch einer avantgardistischen kunstlerischen Bewegung gestartet. Die fruhen Arbeiten La Monte Youngs, Terry Rileys, Steve Reichs und Philip Glass’, aber auch die von Phill Niblock und Alvin Lucier, konnten als radikal und neu gelten, obwohl oder gerade weil der Bruch mit der europaischen ‘Tradition des Neuen’, dem noch der seriellen Musik inharenten Fortschrittsdenken, in der Mitte des 20. Jahrhunderts die Entstehung des fruhen Minimalismus begunstigt hatte. Nach ihrer Aufbruchsphase geriet die Minimal Music spatestens seit den 1970er-Jahren auf eine ‘Erfolgsspur’, die unmittelbar mit den musikalischen Mitteln der Reduktion, der Wiederholung, einer Neotonalitat und einer damit einhergehenden Redundanz erklart werden kann.
Schon die Tatsache, dass die in den fruhen 1960er Jahren entstandene Minimal Music bisweilen als ... more Schon die Tatsache, dass die in den fruhen 1960er Jahren entstandene Minimal Music bisweilen als Repetitive Musik in ihren strukturellen Implikationen terminologisch fixiert worden ist, verweist auf die Dringlichkeit, sich mit dieser spezifischen Form der neuen Musik der zweiten Halfte des 20. Jahrhunderts im Rahmen des Gesamtthemas ausfuhrlich auseinanderzusetzen. Musikologen wie Ulrich Dibelius, Ivanka Stoianova und Christian Baier haben den musikalischen Minimalismus mit seinem wohl starksten strukturellen Phanomen begrifflich identifiziert. Auch der Komponist Philip Glass bevorzugt den Begriff ‚Repetitive Musik‘, insbesondere um sich so – wie auch sein Kollege Terry Riley – von dem Attribut des ‚Minimalen‘ zu distanzieren.
Der Formulierung einer primar kompositionstechnischen, aber implizit auch asthetisch ausgerichtet... more Der Formulierung einer primar kompositionstechnischen, aber implizit auch asthetisch ausgerichteten Systematik der Wiederholung muss eine elementare Bestandsaufnahme vorausgehen. Die Fragen nach einem System, nach einer theoretischen Erfassung des Wiederholungsphanomens, fuhren zunachst zu einer rein formalistischen Betrachtungsweise jenseits asthetischer (und wahrnehmungspsychologischer) Implikationen – ein formales System, wie es auch David Huron und Adam Ockelford, indes mit unterschiedlichen Zielrichtungen, anstreben.
Wahrend asthetische Uberlegungen vielen Analysen bereits implizit zugrunde gelegen haben, sollen ... more Wahrend asthetische Uberlegungen vielen Analysen bereits implizit zugrunde gelegen haben, sollen nun spezifische Gesichtspunkte in den Fokus rucken, um die auserordentliche Bedeutung der Repetition bzw. Wiederholung aus unterschiedlichen Perspektiven zu untermauern und das Bild von Wiederholung als ein blos technisch-strukturelles Mittel zu differenzieren und zu erweitern. Hierbei geht es um die Darstellung bestimmter historischer Situationen und asthetischer Positionen, in denen das Element der Wiederholung die kompositorische Arbeit entscheidend – ob nun in negativer oder positiver Konnotation – beeinflusst hat.
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