Karl Marx - Philosophie, Pädagogik, Gesellschaftstheorie und Politik. Aktualität und Perspektiven der Marxschen Praxisphilosophie, 2018
Marx‘ dialektisches Praxisdenken wird erkenntnis- und konstitutionstheoretisch erhellt. Dadurch w... more Marx‘ dialektisches Praxisdenken wird erkenntnis- und konstitutionstheoretisch erhellt. Dadurch wird der entfremdungskritische und transformationstheoretische Charakter des Gesamtwerks deutlich. Entsprechend schloss Marx vom Wachstumszwang der Kapitalwirtschaft auf deren weltweite Durchsetzung und einen gesellschaftsgeschichtlichen Übergang. Aber es blieben grundlegende Entwicklungsaufgaben des Praxiskonzepts, und das Problem einer konkreten Systemalternative blieb ungelöst. Die Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass der im 20. Jahrhundert entwickelte Sozialkapitalismus die gesuchte Alternative bereits im Schoß, als eine reale Latenz enthält und schließlich ist die von Marx antizipierte Übergangsepoche im 21. Jahrhundert eröffnet. Diese globale Situation fordert die Fortentwicklung des Marxismus als dialektische Praxiswissenschaftlichkeit heraus. So fundiert kann die Wissenschaft der politischen Ökonomie als Transformationsforschung konkret werden, und anders kann die gesellschaftliche Linke sich weder selbst finden noch Geburtshilfe für eine neue Gesellschaft leisten.
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Papers by Horst Müller
They also contain challenges for Marxist approaches, left formations and for political philosophy in general. This is the subject of the present contribution. In this draft, I will present the basic ideas of Wolfgang Streeck's work in as brief a form as possible, followed by my own thoughts, be they close, different or more far-reaching. This version of the theses is intended to encourage discussion and exchange and is open to improvements and clarifications.
Why is the system alternative still missing 150 years after Marx? It is mainly due to the emaciation of the philosophical-scientific foundations, the misrecognition of the novel character of social capitalism, and a critique of political economy that lacks the positive dimension.
To counter this, Marx's dialectical practical thinking and significant 20th century practice thinkers are activated, and questions of philosophy of mind and dialectics are deepened. Integral praxis studies transcends all critical social theories and stands in the horizon of a world philosophy.
To clarify the situation, the development from industrial to social capitalism and neoliberal globalisation as well as the world scene with China, Europe and the USA are illuminated. An incipient setback for globalisation favours possible social emancipation:
The socio-economic analysis of reproduction is based on the trinodal structure of social-infrastructural social capitalism and uncovers new value relations and a system alternative that already exists latently. Their release requires a fiscal revolution and empowerment of the welfare state.
The unifying perspective for social forces lies in a welfare state economy and associative sociality freed from the pressure of growth. The political character of this emancipation movement is that of a kick-start for this impending and more concretely emerging renewal.
eine Übergangsperiode, in der die kapitalistische Formierung des Gesellschaftslebens und der Wachstumszwang weiter in sozial-ökologische Probleme und menschheitliche Katastrophen führen.
Warum fehlt die Systemalternative 150 Jahre nach Marx immer noch? Es liegt vor allem an der Auszehrung der philosophisch-wissenschaftlichen Grundlagen, an der Verkennung des neuartigen Charakters des Sozialkapitalismus sowie an einer Kritik der politischen Ökonomie, der die positive Dimension fehlt.
Dagegen wird Marx‘ dialektisches Praxisdenken und werden bedeutende Praxisdenker des 20. Jahrhunderts aktiviert sowie geistphilosophische Fragen und die Dialektik vertieft. Die integrale Praxiswissenschaft überschreitet alle kritischen Gesellschafts-theorien und steht im Horizont einer Weltphilosophie.
Zur Klärung der Situation wird die Entwicklung vom Industrie- zum Sozialkapitalismus und zur neoliberalen Globalisierung sowie die Weltszene mit China, Europa und den USA bleuchtet. Ein beginnender Rückschlag der Globalisierung kommt der möglichen gesellschaftlichen Emanzipation entgegen:
Die sozioökonomische Reproduktionsanalytik setzt an die trinodale Struktur des sozial-infrastrukturell geprägten Sozial-kapitalismus an und deckt neue Wertverhältnisse und eine bereits latent existierende Systemalternative auf. Deren Freisetzung er-fordert eine Fiskalrevolution und Ermächtigung des Sozialstaats.
Die vereinigende Perspektive für gesellschaftliche Kräfte liegt in einer vom Wachstumszwang befreiten Sozialstaatswirtschaft und assoziativen Gesellschaftlichkeit. Der politische Charakter dieser Emanzipationsbewegung ist der einer Geburtshilfe für ein andrängendes und sich konkreter abzeichnendes Neues.
Im konstitutionstheoretischen Zusammenhang klären sich Fragen zur innerlogischen Dialektik Hegels, zu deren Aufhebung in Marx‘ Konzept der Dialektik der Praxis und bezüglich Blochs Kategorienlehre. Als höchste Entwicklungsform gewährt die Praxis Einsicht in die Rolle des dialektischen Geistigen in der Selbstorganisation alles Materiellen. Dies gilt und erscheint, wie Engels aufzeigte, von der physikalischen Tiefe, über die Vielfalt des Lebendigen bis in die kosmische Dimension und impliziert eine Fundamentalkritik des modernen Physikalismus.
Entsprechend ist Marx‘ Wissenschaft der politischen Ökonomie und ihre Konzeption des ökonomischen Werts Ausdruck einer dialektischen Wert-, Reproduktions- und Praxisanalytik. Ihr transformistischer Sinn verweist auf einen historischen theoretischen Lag der Kritik der politischen Ökonomie. Dieser äußert sich in der Verkennung des latenzhaltigen, widersprüchlichen Charakters des modernen Sozi-alkapitalismus und im Unvermögen zur konkreten Alternative. Alle Kritik der politischen Ökonomie wird in einer künftigen, positiven Sozioökonomie aufgehen.
Die Erkenntnis der im Bestehenden latent kristallisierten Systemalternative bestätigt den Charakter gesellschaftlicher Wirklichkeit als widersprüchliche Praxis und Synthesis gesellschaftlicher Praxisperspektiven. Die politisch-ökonomische Selbst-bezüglichkeit der sozialkapitalistischen Formierung bekräftigt das Konzept einer maßhaltigen Selbstorganisation und nationalen Konstitution von ‚Gesellschaft‘. Diese Existenzform wird durch den Marktradikalismus und neoliberalen Internati-onalismus unterminiert, und mit der Globalisierung wurde die von Marx viel zu früh anvisierte systemgeschichtliche Übergangsperiode eröffnet.
Im Übergang ist der formationelle Widerspruch zwischen der alten Praxisformierung und der latent andrängenden neuen der akute, alles durchdringende Haupt-widerspruch. Die Kräfte für die nötige Wende zu einer höheren Zivilisation können sich daher nur im Hinblick auf eine erkennbare politisch-ökonomische Systemalter-native konstituieren. Die Philosophie der Revolution muss daher durch ein Konzept der Geburtshilfe dieses Neuen in und aus der alten Welt konkret werden.
Mit dieser Vergewisserung über die Natur und Zukunft der gesellschaftlichen Praxis und die Stellung des Menschen in einem lebendigen Universum öffnet sich die Tür zu einer wahrhaftigen Existenz- und Weltphilosophie.
Streecks Vorschläge zu einer „neuen Ökonomie für eine neue Linke“ gehen von einem systemisch relevanten Gegensatz zwischen Kapital- und Fundamentalöko-nomie aus. Aber er vermag weder die spezifische „ökonomische Form“ der letzteren noch die wert- und reproduktionstheoretischen Zusammenhänge zwischen beiden Abteilungen des wirtschaftlichen Lebens zu analysieren. Diese bilden zusammen mit der zentralen Rolle des Steuer- und Sozialstaats die Konfiguration des modernen Sozialkapitalismus.
Dessen national- und sozialökonomische, formationelle Gesamtcharakteristik wurde auch marxistisch nicht erfasst. Von daher fokussiert Streeck schließlich primär und politisch auf die untere, kommunale Ebene. Ich versuche dagegen zu erläutern, inwiefern eine „Fiskalrevolution“, sozusagen von oben, die notwendige Bedingung auch für eine Emanzipation der lokalen, kommunal verfassten urbanen Praxis oder für das ist, was Streeck „kommunalen Sozialismus“ nennt.
Auch andere infrastrukturbezogene Ansätze und das hier entwickelte Konzept sollten den Anstoß geben, an diesem keineswegs ganz gelösten Knotenpunkt weiter zu forschen. Es braucht aber nicht nur einer „verstärkten Berücksichtigung in der volkswirtschaftlichen Forschung“, so als sei „die“ Wissenschaft ideologiefrei und realitätstüchtig.
Durch die Argumentation sollte vielmehr deutlicher werden, dass die Lösung der Probleme die Aktivierung eines dialektischen, methodisch reflektierten Praxisdenkens und eine Fortentwicklung des von Marx begründeten wert-, reproduktions- und praxisanalytischen Forschungsansatzes in Richtung einer zukunftsfähigen Sozioökonomie erfordert.
They also contain challenges for Marxist approaches, left formations and for political philosophy in general. This is the subject of the present contribution. In this draft, I will present the basic ideas of Wolfgang Streeck's work in as brief a form as possible, followed by my own thoughts, be they close, different or more far-reaching. This version of the theses is intended to encourage discussion and exchange and is open to improvements and clarifications.
Why is the system alternative still missing 150 years after Marx? It is mainly due to the emaciation of the philosophical-scientific foundations, the misrecognition of the novel character of social capitalism, and a critique of political economy that lacks the positive dimension.
To counter this, Marx's dialectical practical thinking and significant 20th century practice thinkers are activated, and questions of philosophy of mind and dialectics are deepened. Integral praxis studies transcends all critical social theories and stands in the horizon of a world philosophy.
To clarify the situation, the development from industrial to social capitalism and neoliberal globalisation as well as the world scene with China, Europe and the USA are illuminated. An incipient setback for globalisation favours possible social emancipation:
The socio-economic analysis of reproduction is based on the trinodal structure of social-infrastructural social capitalism and uncovers new value relations and a system alternative that already exists latently. Their release requires a fiscal revolution and empowerment of the welfare state.
The unifying perspective for social forces lies in a welfare state economy and associative sociality freed from the pressure of growth. The political character of this emancipation movement is that of a kick-start for this impending and more concretely emerging renewal.
eine Übergangsperiode, in der die kapitalistische Formierung des Gesellschaftslebens und der Wachstumszwang weiter in sozial-ökologische Probleme und menschheitliche Katastrophen führen.
Warum fehlt die Systemalternative 150 Jahre nach Marx immer noch? Es liegt vor allem an der Auszehrung der philosophisch-wissenschaftlichen Grundlagen, an der Verkennung des neuartigen Charakters des Sozialkapitalismus sowie an einer Kritik der politischen Ökonomie, der die positive Dimension fehlt.
Dagegen wird Marx‘ dialektisches Praxisdenken und werden bedeutende Praxisdenker des 20. Jahrhunderts aktiviert sowie geistphilosophische Fragen und die Dialektik vertieft. Die integrale Praxiswissenschaft überschreitet alle kritischen Gesellschafts-theorien und steht im Horizont einer Weltphilosophie.
Zur Klärung der Situation wird die Entwicklung vom Industrie- zum Sozialkapitalismus und zur neoliberalen Globalisierung sowie die Weltszene mit China, Europa und den USA bleuchtet. Ein beginnender Rückschlag der Globalisierung kommt der möglichen gesellschaftlichen Emanzipation entgegen:
Die sozioökonomische Reproduktionsanalytik setzt an die trinodale Struktur des sozial-infrastrukturell geprägten Sozial-kapitalismus an und deckt neue Wertverhältnisse und eine bereits latent existierende Systemalternative auf. Deren Freisetzung er-fordert eine Fiskalrevolution und Ermächtigung des Sozialstaats.
Die vereinigende Perspektive für gesellschaftliche Kräfte liegt in einer vom Wachstumszwang befreiten Sozialstaatswirtschaft und assoziativen Gesellschaftlichkeit. Der politische Charakter dieser Emanzipationsbewegung ist der einer Geburtshilfe für ein andrängendes und sich konkreter abzeichnendes Neues.
Im konstitutionstheoretischen Zusammenhang klären sich Fragen zur innerlogischen Dialektik Hegels, zu deren Aufhebung in Marx‘ Konzept der Dialektik der Praxis und bezüglich Blochs Kategorienlehre. Als höchste Entwicklungsform gewährt die Praxis Einsicht in die Rolle des dialektischen Geistigen in der Selbstorganisation alles Materiellen. Dies gilt und erscheint, wie Engels aufzeigte, von der physikalischen Tiefe, über die Vielfalt des Lebendigen bis in die kosmische Dimension und impliziert eine Fundamentalkritik des modernen Physikalismus.
Entsprechend ist Marx‘ Wissenschaft der politischen Ökonomie und ihre Konzeption des ökonomischen Werts Ausdruck einer dialektischen Wert-, Reproduktions- und Praxisanalytik. Ihr transformistischer Sinn verweist auf einen historischen theoretischen Lag der Kritik der politischen Ökonomie. Dieser äußert sich in der Verkennung des latenzhaltigen, widersprüchlichen Charakters des modernen Sozi-alkapitalismus und im Unvermögen zur konkreten Alternative. Alle Kritik der politischen Ökonomie wird in einer künftigen, positiven Sozioökonomie aufgehen.
Die Erkenntnis der im Bestehenden latent kristallisierten Systemalternative bestätigt den Charakter gesellschaftlicher Wirklichkeit als widersprüchliche Praxis und Synthesis gesellschaftlicher Praxisperspektiven. Die politisch-ökonomische Selbst-bezüglichkeit der sozialkapitalistischen Formierung bekräftigt das Konzept einer maßhaltigen Selbstorganisation und nationalen Konstitution von ‚Gesellschaft‘. Diese Existenzform wird durch den Marktradikalismus und neoliberalen Internati-onalismus unterminiert, und mit der Globalisierung wurde die von Marx viel zu früh anvisierte systemgeschichtliche Übergangsperiode eröffnet.
Im Übergang ist der formationelle Widerspruch zwischen der alten Praxisformierung und der latent andrängenden neuen der akute, alles durchdringende Haupt-widerspruch. Die Kräfte für die nötige Wende zu einer höheren Zivilisation können sich daher nur im Hinblick auf eine erkennbare politisch-ökonomische Systemalter-native konstituieren. Die Philosophie der Revolution muss daher durch ein Konzept der Geburtshilfe dieses Neuen in und aus der alten Welt konkret werden.
Mit dieser Vergewisserung über die Natur und Zukunft der gesellschaftlichen Praxis und die Stellung des Menschen in einem lebendigen Universum öffnet sich die Tür zu einer wahrhaftigen Existenz- und Weltphilosophie.
Streecks Vorschläge zu einer „neuen Ökonomie für eine neue Linke“ gehen von einem systemisch relevanten Gegensatz zwischen Kapital- und Fundamentalöko-nomie aus. Aber er vermag weder die spezifische „ökonomische Form“ der letzteren noch die wert- und reproduktionstheoretischen Zusammenhänge zwischen beiden Abteilungen des wirtschaftlichen Lebens zu analysieren. Diese bilden zusammen mit der zentralen Rolle des Steuer- und Sozialstaats die Konfiguration des modernen Sozialkapitalismus.
Dessen national- und sozialökonomische, formationelle Gesamtcharakteristik wurde auch marxistisch nicht erfasst. Von daher fokussiert Streeck schließlich primär und politisch auf die untere, kommunale Ebene. Ich versuche dagegen zu erläutern, inwiefern eine „Fiskalrevolution“, sozusagen von oben, die notwendige Bedingung auch für eine Emanzipation der lokalen, kommunal verfassten urbanen Praxis oder für das ist, was Streeck „kommunalen Sozialismus“ nennt.
Auch andere infrastrukturbezogene Ansätze und das hier entwickelte Konzept sollten den Anstoß geben, an diesem keineswegs ganz gelösten Knotenpunkt weiter zu forschen. Es braucht aber nicht nur einer „verstärkten Berücksichtigung in der volkswirtschaftlichen Forschung“, so als sei „die“ Wissenschaft ideologiefrei und realitätstüchtig.
Durch die Argumentation sollte vielmehr deutlicher werden, dass die Lösung der Probleme die Aktivierung eines dialektischen, methodisch reflektierten Praxisdenkens und eine Fortentwicklung des von Marx begründeten wert-, reproduktions- und praxisanalytischen Forschungsansatzes in Richtung einer zukunftsfähigen Sozioökonomie erfordert.