Papers by Andrea Dr. Hindrichs

Deutsche Reisende und ihre (Un-)sitten standen schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter Beobach... more Deutsche Reisende und ihre (Un-)sitten standen schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter Beobachtung. So beschreibt die in Florenz lebende Schriftstellerin Isolde Kurz schon 1919 die zwei Welten, die oftmals aufeinander treffen, wenn Deutsche und Italiener sich begegnen. 1 Unpassende Kleidung, übermäßiges Trinken von Wein und das Absingen deutschen Liedgutes in weinseliger Stimmung komme bei den Italienern nicht gut an. Dabei seien doch die deutschen Reisenden Botschafter ihres Landes und vertreten ihre Nation in der Fremde. Leider füge der deutsche Reisenden seinem eigenen Land mehr Schaden zu als er ihm nutze. 2 Das Phänomen war also nicht neu, und mit dem Entstehen des Massentourismus rückte es wieder in den Blickpunkt. Die Pauschaltouristen zeichneten sich oftmals durch Oberflächlichkeit, eine gewisse Überheblichkeit, Eile und ihr Massenauftreten aus. Dies wiederum veranlasste Beobachter wie Schriftsteller und Journalisten 3 , den neuen Typus des Pauschaltouristenim Gegensatz zum Bildungsreisendenkritisch unter die Lupe zu nehmen und über dessen Verfehlungen zu berichten. Im Zuge dieser Entwicklung der kritischen Betrachtung kam in den 50er Jahren auch eine neue Literaturgattung auf den Markt: die Anstandsbücher. Sie sollten helfen, ein positives Bild des Deutschen im Ausland zu vermitteln und die Urlauber auf die unterschiedlichen Lebensweisen vorbereiten, um so Missverständnissen vorzubeugen. Der Verunsicherung der Deutschen, bestehend aus einem Konglomerat aus Spuren der Nazizeit und der Niederlage, die trotz des erfolgreichen Wiederaufbaus bestand und die sich bei der Begegnung mit dem Ausland immer wieder zeigte, versuchte auch das Auswärtige Amt entgegenzutreten: Mit Überlegungen zu einer Broschüre zum Thema ‚Richtiges Verhalten in Italien' für deutsche Urlauber. In einem Schreiben des Generalkonsulats Mailand ans Auswärtige Amt vom 16. April 1952 heißt es, Bezug nehmend auf einen Artikel aus dem ‚Corriere della Sera': "'Schwalben aus Übersee und touristische Mauerschwalben -aber sie bringen keinen Frühling' Unter (dieser) Überschrift hat sich die Zeitung erneut in abfälliger Weise mit dem nach italienischer Auffassung allzu freien Gebaren einer gewissen Klasse von Touristen befasst, die leider vorwiegend aus dem Norden kommt. (...) (Da) heißt es unter anderem freundlicherweise: ‚Mögen sie kommen! Wenn sie uns auch von weitem manchmal die Zähne zeigen, sobald sie hier sind, werden sie Freunde und als solche behandelt.' Die ersten Musterexemplare (...) seien schon da (...) Viele von ihnen eilten dem Kalender voraus und trügen leichte Hemden, Söckchen und nackte Waden. Auch sehe man viele ‚massive weibliche Mauerschwälbchen', (die) gar nicht begreifen könnten, wenn man sie einmal in den Dom nicht hereinließe, weil ihnen ein halber Meter Stoff fehle oder sie in freigebiger Weise zuviel überflüssige Haut zur Schau trügen (…) Es handele sich eben um 'Touristen zu reduziertem Tarif und mit reduzierter Kleidung'." 4 Italien war übrigens nicht das einzig betroffene Land, auch die Botschaft Paris berichtete über den ‚Missstand', den das "gruppenweise Auftreten von Touristen im Zusammenhang mit Omnibus-Reisen da oder dort unliebsam" verursache. 5 Auch wenn nur ein geringer Prozentsatz diese schlechten Manieren aufweise, sei der Schaden, der der mühsamen Aufbauarbeit zugefügt werde, gar nicht abzusehen. Amtlicherseits dachte man an ein Merkblatt, vielleicht in Form eines netten Briefes des Bundespräsidenten, wie es die USA schon in ähnlicher Weise praktiziert hatten. 6 Noch zögerte das Auswärtige Amt, da man es vermeiden wollte, eine nationalsozialistische Praxis wieder aufleben zu lassen: "Merkblätter über das Verhalten im Ausland wurden nach 1933 bekanntlich deutschen Auslandsreisenden von Amts wegen mit dem Pass ausgehändigt." 7 Die fatale Wirkung, die solch ein Verfahren auslösen könne, nämlich der Gedanke, dass die Deutschen immer noch ‚geführt' werden müssten, überwiege bei weitem die voraussichtlich geringe praktische Wirkung eines solchen Merkblattes. Takt könne man nicht lernen. Hinzu kämen der nicht unerhebliche Kostenfaktor sowie die Schwierigkeiten, die Informationsblätter an die Reisenden zu verteilen. 8 Auf Grundlage des Entwurfs der 4 BA Ko B 145, vol. 637, Bd. 1 und Bd. 2 (1951-1960): Verhalten deutscher Reisender im Ausland. Darin: Schreiben des GK Mailand ans AA am 16.04.1952 betr. weiterer Artikel im ‚Corriere della Sera' über Touristen, hier besonders ‚Rondini d'oltremare e rondini turisti. (Ma non fanno primavera)'. 5 BA Ko B 145, vol. 637: Botschaft Paris ans AA im Juli 1952. 6 BA Ko B 145, vol. 637. In der ‚Neuen Zeitung' vom 09.08.1952 erschien der Artikel 'Ein Knigge für Auslandsreisende' über ein kleines Heft, das amerikanischen Touristen mit auf die Reise gegeben wurde. Darin standen ein paar Verhaltensmaßregeln, die den Reisenden als 'Botschafter guten Willens' ausweisen sollten. Tipps zu Trinkgeldwesen, zum Klassenwesen in ausländischen Zügen, Kleidungsfragen und auch eine Aufzählung von Dingen, über die man nicht sprechen sollte sowie Tipps zu politischen Diskussionen. Insgesamt, so das Fazit, handele es sich um eine Reihe von ruhigen, objektiven, sachlichen und mit Tatsachen oder Zahlen belegten Antworten auf einige schwierige Fragen. 7 Ebd. 8 Ebd. ‚Leitsätze für Auslandsreisende' des Deutschen Reisebüro-Verbands 9 kam 1958 eine Broschüre mit dem Titel ‚Italien ist kein Museum' in Umlauf, die seitens der deutschen Botschaft in Rom als "psychologisch wirkungsvoll" und "jeden belehrenden Ton und jede Kritik an deutschen Touristen" vermeidend mit feinem Humor glänze. 10 Zu Beginn der 60er Jahre wurde erneut Material gesammelt für eine Informationsschrift mit dem Titel 'Willkommen in Italien'. 11 Im Zuge des erneuten Aufkommens der antideutschen Filme flaute diese Art der Aufklärung peu à peu ab, obwohl sie weiterhin ihre Berechtigung gehabt hätte. Das zeigt sich beispielsweise unter anderem darin, dass die Botschaft Rom im Frühjahr 1961 nach Bonn meldete, dass es immer wieder zu Beschädigungen italienischer Kunstwerke durch deutsche Touristen käme, was dem Image Deutschlands nicht zuträglich wäre. 12 Doch nun kämpfte das Auswärtige Amt auf diplomatischer Ebene um die differenzierte Darstellung der Deutschen, was nicht immer erfolgreich war.
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