Papers by Felix Wiedemann

Von November 1951 bis März 1952 standen fünf ehemalige Beamte des Reichsjustizministeriums vor de... more Von November 1951 bis März 1952 standen fünf ehemalige Beamte des Reichsjustizministeriums vor dem Landgericht Wiesbaden, die sich wegen der Ermordung von über 15.000 als "asozial" geltenden Justizhäftlingen zu verantworten hatten. Die Angeklagten hatten sich an ihrer Auslieferung aus dem Strafvollzug an die Gestapo zur "Vernichtung durch Arbeit" in Konzentrationslagern beteiligt. Das Gericht sprach die Angeklagten frei. Felix Wiedemann ordnet den Wiesbadener Prozess in die vergangenheitspolitischen Debatten der damaligen Zeit ein, untersucht die Narrative über Täter und Opfer und fragt nach dem Fortleben nationalsozialistischer Moralbegriffe in der frühen Bundesrepublik. nnnn Felix Wiedemann "Anständige" Täter -"asoziale" Opfer Der Wiesbadener Juristenprozess 1951/52 und die Aufarbeitung des Mords an Strafgefangenen im Nationalsozialismus I. Einleitung Dass der gelernte Former Joseph Schmidt aus dem westfälischen Städtchen Werne einmal wichtiger Zeuge der Anklage in einem Mordprozess werden sollte, hätte er vermutlich selbst nicht erwartet. 1 Eigentlich gehörte er nämlich zu jenen, die Michel Foucault einmal als "infame Menschen" bezeichnet hat: Existenzen, "die dazu bestimmt sind, ohne Spur zu vergehen" -es sei denn, es kommt zu einer Berührung mit der Macht. 2 Das war bei Schmidt gleich mehrfach der Fall: Zwischen 1916 und 1920 war er einige Male wegen versuchten Betrugs und Diebstahls belangt worden. Aus dieser Reihe kleinerer Delikte sticht jedoch deutlich seine Verurteilung von 1936 vor dem Schwurgericht Frankenthal (Pfalz) zu zwölf Jahren Zuchthaus wegen Mordversuchs an seiner Ehefrau hervor. Über die Hintergründe dieser Tat ist nichts bekannt -nur, dass er zugleich vorhatte, selbst aus dem Leben zu scheiden, und während der Haft mehrere weitere Suizidversuche unternahm. 3 Im Herbst 1942 erhielt das Zuchthaus Bruchsal, wo Schmidt seine Strafe absaß, Besuch von einem Ministerialbeamten aus dem Reichsjustizministerium. Nach einem kurzen Blick in die Akten und einer oberflächlichen Muste-1 Der Beitrag basiert auf meinem im Mai 2018 am Fachbereich Geschichts-und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin gehaltenen Habilitationsvortrag. Für Hilfe bei der Recherche möchte ich mich herzlich bei Manfred Pult und Johann Zilien vom Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (künftig: HHStAW) bedanken. 2 Michel Foucault, Das Leben der infamen Menschen, Berlin 2001, hier S. 13 f. 3 HHStAW, Abt. 468, Nr. 426-1, Bl. 26-36; hier auch Auszüge aus dem Strafregister Josef Schmidts. Laut Schreiben der Staatsanwaltschaft Wiesbaden an die Staatsanwaltschaft Bochum vom 21.10.1948 sind sämtliche Akten des Schwurgerichts Frankenthal durch Kriegseinwirkungen verloren gegangen (ebenda, Bl. 97).
Im Jahr 1860 warf der Baseler Theologe Johann Georg Müller in einer kleinen Schrift die Frage auf... more Im Jahr 1860 warf der Baseler Theologe Johann Georg Müller in einer kleinen Schrift die Frage auf, wer eigentlich die Semiten seien und mit welchem Recht man überhaupt von semitischen Sprachen und Völkern sprechen könne. 2 In den Altertumswissenschaften -und nicht nur dort -bezeichnen sogenannte Völkerfamilien 3 wie Semiten, Hamiten oder Indogermanen unscharf konturierte Kollektive in großmaßstäblicher Perspektive. Sie fungieren gleichsam als Variablen in den Algorithmen der historischen Erzählung. Dieser Beitrag untersucht die Verwendung solcher Variablen am Beispiel der Forschungen zum Alten Orient im 19. und frühen 20. Jahrhundert.

Um veränderte sich die historiographische Darstellung von Migration. Wurden Wan-derungen zuvor al... more Um veränderte sich die historiographische Darstellung von Migration. Wurden Wan-derungen zuvor als singuläre Ereignisse vorgestellt, die sich linear erzählen lassen, ver-schwanden nun die Grenzen zwischen den einzelnen Wanderungen und verdichteten sich in der Vorstellung wiederkehrender oder permanenter Migrationen. In der Geschichts-schreibung zum Alten Orient führte dies zur Vorstellung, wonach dem Orient ein spe-zifischer Rhythmus eingeschrieben sei, der eine nachhaltige historische Entwicklung un-möglich mache. Keineswegs lässt sich dieses Modell als bloßes Produkt einer kolonialen oder ‚orientalistischen' Historiographie begreifen. Seine Verwendung in differenten politi-schen Kontexten weist vielmehr auf die grundsätzliche ideologische Offenheit historiogra-phischer Erzählmuster hin. marked a change in the historiographical representation of migration. Before this time, migrations had been portrayed as singular events that could be told in a linear way, but now the boundaries between individual migrations disappeared, solidifying into the representation of recurrent or permanent migrations. In the historiography of the ancient Near East, this led the Near East to be ascribed a specific rhythm that made lasting historical development impossible. This model cannot be conceived as a mere product of colonial or 'orientalist' historiography by any means; to the contrary, its use in various political contexts points to the fundamental ideological openness of historiographical narrative patterns.

Band 9 Weise Frauen und weibliches Wissen Zur Fiktion von Wissenstransfers in feministischen Hexe... more Band 9 Weise Frauen und weibliches Wissen Zur Fiktion von Wissenstransfers in feministischen Hexendeutungen und ihren realen rezeptionsgeschichtlichen Hintergründen Felix Wiedemann Unter dem Titel »Wir Hexen« erschien 1976 ein programmatischer Artikel der bekannten linken Journalistin und »Emma«-Redakteurin Ingrid Strobl. 1 Darin bekennt sich die Autorin freimütig zur Tradition der Hexen und spricht dem Wissen um deren Verfolgung eine wichtige Funktion bei der Ausbildung eines politischen Bewusstseins von Frauen in der Gegenwart zu. Wie nicht anders zu erwarten, wird als zentrales Motiv der Hexenverfolgung der patriarchale Frauenhass identifiziert: Die Hexenprozesse werden als »Krieg gegen das weibliche Geschlecht« 2 bezeichnet, dem nahezu 30 Millionen Frauen zum Opfer gefallen seien 3 -ein vermeintlich dem patriarchalen Vergessen anheimgegebener Krieg, an den es gerade angesichts des aktuellen Kampfes um Gleichberechtigung zu erinnern gelte. Die Spezifik dieses monströsen Verbrechens jedoch scheint damit noch nicht hinreichend erklärt, ist der Autorin zufolge doch die gesamte Geschichte des Patriarchats von derartigen Kämpfen durchzogen. Was diese Episode jedoch -neben dem schieren Ausmaß -von früheren unterschieden habe, sei die Gerichtetheit gegen spezifische Formen und Sphären eines weiblichen Wissens: »Im Rahmen von Medizin, Magie und alter Religion hatten die Frauen matriarchales Wissen bis in die beginnende Neuzeit herübergerettet.« 4
Topoi research group B-4 Space – Identity – Locality focuses its research on the interconnections... more Topoi research group B-4 Space – Identity – Locality focuses its research on the interconnections between knowledge, space and identities. A multiplicity of sources – texts, images, architecture and objects – are analyzed both in their historical context and for their historiographic value. Following a brief description of the projects, key concepts of knowledge, space and identity are outlined as they relate to our specific research themes.We use ‘trialectics’ to emphasize that knowledge, space and identity constitute and influence each other. Concrete configurations of this constantly changing interplay of factors are illustrated by two case studies – the ritual compositions from Kizzuwatna (present southern Turkey) and the coin hoard of Krepost (present Bulgaria).
Eine Beziehungs- und Konfliktgeschichte, 2012

The last decades have seen considerable debate among theorists and historiographers about the ext... more The last decades have seen considerable debate among theorists and historiographers about the extent to which historians resort to literary modes of representation and how far historical accounts owe their persuasiveness and explanatory power to narrative structures. As a result, the investigation of historical accounts using methods drawn from literary studies has become a highly diversified and rather confusing field. There is, of course, no reason to believe that the tendency to resort to particular narrative patterns has played an less important a role in the field of archaeology. Nevertheless, it is only recently that scholars have begun to apply narratological concepts in their investigations of the history of archaeology. A brief look at archaeological representations of human migrations demonstrates the usefulness of such approaches. Since these accounts usually cover long periods of time and encompass several historical actors and spaces, archaeologists have made use of certain narrative strategies in order to arrange their facts and to transform them into more or less coherent stories.

Erzählungen von Herkun und Wanderungen der Völker gehörten immer schon zu den zentralen Motiven ... more Erzählungen von Herkun und Wanderungen der Völker gehörten immer schon zu den zentralen Motiven in Darstellungen der Vergangenheit -das gilt für mythische Überlieferungen ebenso wie für moderne historiographische Abhandlungen. Vor dem Hintergrund des modernen Nationalismus und Kolonialismus hat die Thematik schließlich im . und . Jahrhundert zusätzliche Brisanz erhalten. Entsprechend avancierten Massenmigrationen oder sogenannte Völkerwanderungen zu den zentralen Feldern altertumswissenschalicher Forschung. Dabei zielten diese Studien vornehmlich auf eine kritische Überprüfung der antiken Überlieferungen. Unabhängig von den behandelten historischen Kontexten lassen sich hingegen auch in der wissenschalichen Literatur bestimmte wiederkehrende Muster erkennen, wie Herkun und Migrationen verschiedener Völker jeweils dargestellt und erzählt worden sind. Am Beispiel der Wissenschaen vom Alten Orient (d. h. Assyriologie und Vorderasiatische Archäologie) aus dem . und frühen . Jahrhundert soll im Folgenden sowohl die Ähnlichkeit entsprechender Wanderungsnarrative als auch deren fortwährende Verhaung an den alten Überlieferungen und Quellen aufgezeigt werden.

The term 'anti-Semitism' indicates how far the anti-Jewish literature of the late nineteenth and ... more The term 'anti-Semitism' indicates how far the anti-Jewish literature of the late nineteenth and early twentieth centuries was charged with themes, figures, and stereotypes from contemporary discourses on the Orient. An increasing tendency to 'orientalise' the European Jews had raised questions about the supposed origin of the Jewish people in the Near East and its relationship to other -current or historical -peoples. Focusing on the Nazi racial scientist Ludwig Ferdinand Clauß, the article draws attention to the impact of Near Eastern anthropology, ethnology, and archaeology in the Age of Empire on modern anti-Semitism and sheds light on structural convergences and differences between colonial or 'Orientalist' discourses and anti-Semitism in general. With reference to the scholarly literature of the time, Clauß made a sharp distinction between 'Oriental' or 'Semitic' Arabs and 'Near Eastern' Jews. Thereby, the romanticised Arab Orient served as an antipole to a 'Nordic' Europe, and as such was finally able to advance to a positive alternative. The Jewish Orient, on the other hand, embodied a threatening ambivalence and contrariety, which from the very beginning precluded romanticisation and identification.

Zusammenfassung: Fragen nach der Herkunft verschiedener historischer Völker und ihren Wanderungen... more Zusammenfassung: Fragen nach der Herkunft verschiedener historischer Völker und ihren Wanderungen durch Raum und Zeit haben immer schon eine wichtige Rolle in der Archäologie gespielt. Insbesondere Archäologen des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts versuchten, Wanderungsrouten bestimmter historischer Völker zu identifi zieren und ethnohistorische Kartographien ganzer Regionen zu erstellen. Unabhängig vom behandelten historischen Gegenstand weisen diese Abhandlungen oft bemerkenswerte Ähnlichkeiten in der Art und Weise auf, wie Wanderung dargestellt und erzählt wird. Am Beispiel der Vorderasiatischen Archäologie in Deutschland um 1900 werden im Folgenden zentrale historisch-archäologische Wanderungsnarrative vor dem Hintergrund ihres kulturellen und politischen Kontextes untersucht. Im Zentrum der archäologischen Debatte über Wanderungen im Alten Orient standen vor allem zwei Th emenfelder: Die Frage nach der vermeintlichen Herkunft und den Wanderungswegen der ›semitischen Völker‹ sowie die ethnohistorische Kartographie Kleinasiens in der Antike. Dabei lassen die entsprechenden Darstellungen zahlreiche sich wiederholende Rollen-und Erzählmuster erkennen, die in verschiedenen historiographischen Kontexten der Zeit verbreitet waren. Nicht zuletzt aber weist der archäologische Diskurs über Wanderungen im Alten Orient bemerkenswerte Parallelen zu zeitgenössischen Th eorien über die Herkunft der Juden auf und muss entsprechend in den Kontext der zeitgenössischen Debatte um den aufk ommenden Antisemitismus gestellt werden. Abstract: Questions as to the origins of diff erent historical peoples and their movements through time and space have always played a vital role in archaeology. Especially late 19 th and * Der Beitrag beruht auf Forschungen während eines Fellowships des Berliner Exzellenzclusters TOPOI 2010.
Eingang gefunden haben und welche Rolle dieser Aspekt bei der Etablierung des europäischen Beduin... more Eingang gefunden haben und welche Rolle dieser Aspekt bei der Etablierung des europäischen Beduinenbildes gespielt hat. Zuvor gilt es allerdings zunächst, die zeitgenössischen Debatte um die Bedeutung der ‚Ehre' wie auch die Rolle, die der Orient als Referenzobjekt in diesem Zusammenhang spielte, kurz zu skizzieren.
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Papers by Felix Wiedemann
Reflections on historical migrations have always been shaped by certain political, scientific and economic contexts. In my presentation I will focus on classical and ancient studies in the late 19th and early 20th centuries: Against the backdrop of contemporary mass movements caused by industrialisation and colonisation, migrations became a central explanatory category in human history. Not least, they were used to elucidate the rise and fall of great Empires. Following this narrative pattern, the founding of an empire as well as its final destruction was connected to the immigration of a certain people or a whole range of peoples. Furthermore, these mass movements seemed to follow certain historical rhythms or principles which consequently produced the ups and downs of Empires. Migrations thus advanced to become a driving force in human history. However, this historiographical or archaeological “migrationism” did not relate to fixed political and scientific positions or movements and the relating narrations could be told from very different perspectives and ideological positions. I want to demonstrate this with reference to examples from classical and ancient studies of that time.
One of the fields in which older concepts continued to be highly important was the ethnology and history of the Near East. In my presentation I want to demonstrate this with a look at Sigrid Hunke, one of the most popular German authors on Islam and the Near East up to the 1980s. Hunke was a former student of the well-known racial scientist Ludwig Ferdinand Clauß who followed a highly idiosyncratic approach to racial theory: Based on the rejection of pure anthropological definitions of race he focussed on supposedly internal traits to construct racial difference: far from being just a matter of physical features ‘race’ appeared as a kind of internal structure or constitutive idea that he believed connected body and soul, the external and the internal. Clauß’ main field had been the racial cartography of the Near East, and in this context he heavily contributed to the question of the racial character of the Jews. Hunke choose a slightly different terminology, but basically followed and maintained the concepts and ideas of her teacher: Accordingly, the Jews (respectively their historical ancestors) belonged mainly to a ‘Near Eastern’ type of mankind – a race caught between an eternal conflict between spirit and flesh from which these peoples wanted to be redeemed. Hunke adopted this model for her revision of the religious history of the Near East, but instead of mentioning the Jews she transferred Clauß’ model into the more remote past of the ancient Near East. By focussing on such terminological substitutions, I also intend to demonstrate which elements of racial theory continued to permeate post-war writings on the Near East and which ones were tacitly filed away.
Wie zu zeigen sein wird, manifestiert sich das Wiederkehr-Motiv in den Wissenschaften vom Alten Orient um 1900 nachgerade in Reflexionen über die Rolle von „Völkerwanderungen“ in der Geschichte der Region. Seit langem hatten Anthropologen, Archäologen und Assyriologen versucht, den Orient durch Unterscheidung verschiedener Einwanderungsschichten ethnohistorisch zu kartographieren. Mit Hilfe des „kinematogra¬phischen Zeitraffereffektes“ (Paul Ricœur) wurden dabei in der Regel äußerst langfristige Prozesse – tatsächliche oder vermeintliche Migrationen bestimmter Gruppen ¬– zu distinktiven Ereignissen verdichtet, so dass etwa von der aramäischen Wanderung gesprochen werden konnte. Diese Wanderungen schienen sowohl zeitlich als auch räumlich eindeutig identifizierbar und ließen sich entsprechend kartographisch repräsentieren. Die Vielfalt und Komplexität der ausgemachten Wanderungen avancierte um 1900 indes zum Ausgangspunkt einer nachhaltigen narrativen Verschiebung: Zunehmend verschwanden die Grenzen zwischen den vormals als singuläre Ereignisse vorgestellten und kartographierten Wanderungen und verdichteten sich in der Vorstellung wiederkehrender oder permanenter Migrationen, die einer historischen Regelmäßigkeit zu folgen schienen. Von entscheidender Bedeutung war dabei die Koppelung der Wanderungszyklen mit tradierten Spekulationen über Aufstieg und Niedergang der orientalischen Reiche und Kulturen. Demnach avancierten Völkerwanderungen zum entscheidenden Faktor in der Geschichte des Orients, die der Region ihren scheinbar monotonen und durch Wiederholung charakterisierten Rhythmus vorzugeben schienen.
Indes sollte man vorsichtig sein, dieses Erzählmuster für ein reines Produkt „orientalistischer“ Histo-riographie zu halten. Das Wiederkehr-Motiv gehört schließlich zu den allgemeinen Charakteristika kulturpessimistischer Narrative um 1900 und ist keineswegs auf Repräsentationen der Geschichte des Orients begrenzt. Vor diesem Hintergrund wäre nach analogen Funktionen von Völkerwanderungen in anderen historiographischen Kontexten der Zeit zu fragen.
In my presentation I will focus on the sharp distinction between the supposed two main “rac-es” of the Near East: the “Oriental” or “Semitic race” and the “Hittite” or “Near Eastern race”. According to this classification the Jews appeared as a mixed, but predominantly “Near East-ern” population. Initially introduced by the anthropologist and archaeologist Felix von Lus-chan in order to disapprove anti-Semitic speculations about a distinct Jewish race, this theory was soon adopted by anti-Semites who now claimed that the dangerousness of the Jews would lie in the particular character of the “Jewish mixture”. Furthermore, the new racial cartography of the region was used to made sharp distinctions between the predominantly “Near Eastern” Jews and ¬the “Oriental” Arabs – a distinction which not least affected the discussion about the emerging conflict in Palestine in the 1920s and 1930s.
In my presentation I will demonstrate such visualisation and localisation of historical peoples by examining German Near Eastern archaeology at the turn of the 20th century. Excavating is always an act of visualizing the past; and the spectacular excavations of ancient representations of human beings seemed to give authentic impressions of the physical appearance of ancient Near Eastern peoples like the Babylonians, Hittites or Hebrews. Accordingly, statues and reliefs were not taken as artificial or typological portrayals but perceived as exact representations of past peoples and examined with the methods of physical anthropology. I will focus on investigations of the representations of the ancient Hittites, which were used by the famous anthropologist and archaeologist Felix von Luschan to construct a distinct “Hittite” or “Near Eastern” race. Most important in this context is the fact that this concept became very influential in the scholarly discourse on the “anthropology of the Jews”, and thus was ultimately adopted by anti-Semitic race scientists.
With respect to the völkisch literature of the time, one of the most influential racial cartographies of the Orient was formulated by the racial scientist Ludwig Ferdinand Clauß – a highly prominent author on race in the 1920th and 1930th, but mostly disregarded in research. After spending four years with Bedouins in the Arabian Desert Clauß constructed a racially divided (“double”) Orient and – unlike anti-Semitic mainstream authors – made a sharp distinction between Arabs and Jews. In my presentation I want to discuss his writings against the backdrop of older discussions in the orientalistic and anthropological literature of the time, and to focus on the structural overlaps and differences between “Orientalism” and anti-Semitism. Finally, it can be shown how Clauß’ model fitted well into the national-socialist policy toward the Arab and Islamic world.
This included borrowings from the natural sciences, and therefore archeological methods seemed to be modeled rather on exact empirical data than on vague hermeneutical operations. In order to distinguish different ethnic groups the likewise young science of physical anthropology appeared to be most attractive for archaeologists. Anthropology, in contrast to hermeneutic philology, used external – physical – features to divide mankind in different “races” and to create seemingly objective classifications and cartographies. These methods were finally adopted by archaeologists and applied to the remains of ancient Mesopotamia: Whereas the objects of anthropological research were mostly living people or sometimes bone finds, the objects of this kind of archaeological research were the ancient monuments. In doing so, statues, reliefs and other depictions of humans were examined with anthropological methods (most important: the measurement of skulls and noses). However, there were two important modifications: First, in contrast to anthropology, the data obtained by archaeologists were not used to map the spatial distribution of different “races” in the present, but in the past. And second, whereas anthropology was usually restricted to so called “natural peoples” (Naturvölker), who were – by definition – believed to have no history, archaeologists expanded these methods to the study of “historical” or “cultural peoples” (Kulturvölker) and created ethno-historical narratives: The central objective was to identify those “races” which were believed to have been the main bearers of Mesopotamian civilization and to trace their way back to supposed geographical and historical origins. In this sense, racial mapping implied a certain way of connecting temporal and spatial analysis as well as natural sciences and the humanities – and, last but not least, the historical sciences with the ambiguous discourse on “race” at the turn of the 20th century.
However, for writing the history of the rise (and maybe also: the decline) of racial mapping in 19th and 20th centuries Near Eastern archeology the very heterogeneous intellectual and scientific contexts out of which it had emerged should be taken into account. For this reason – and not least due to the fact that Near Eastern archeology was at that time still a “science in the making” whose proponents came from very different intellectual backgrounds – a pure “internalistic” approach, restricted to the analysis of archaeological thought and practices in the narrow sense, seems to be insufficient. Rather, a more “externalistic” approach should be applied, focused on the cultural, intellectual and political context of the time and based on the methods of intellectual history. It is not least this “multidisciplinarity” of racial mapping and its place at the crossroads of different scientific and intellectual traditions and mindsets, which makes it a particularly interesting object for historical research.
Die Evidenz und Plausibilität dieses Repräsentationsmodells korrespondierte dabei nachhaltig mit ambivalent strukturierten kulturhistorischen Narrative über die Rolle der Beduinen innerhalb der Geschichte des alten Orients: In scharfer Abgrenzung zu den kulturellen Zentren der Küsten- und Flusslandschaften avancierten die Wüstennomaden zum Inbegriff und zu den eigentlichen Trägern einer „ursprünglichen“ arabischen Kultur oder gar zu den „reinsten“ Vertretern einer „semitischen Rasse“. Dabei wurde den Wüstennomaden die kulturhistorische Rolle zugewiesen, die Geschichte des orientalischen Raums durch regelmäßige „Ausbrüche“ aus der Wüste nachhaltig bestimmt zu haben. Innerhalb eines periodischen Modells von Kulturgründung und Kulturzerstörung lässt sich wiederum eine kulturpessimistische Sichtweise, welche die Bedrohung durch beduinische „Völkerfluten“ für die (alt)orientalischen Hochkulturen in den Vordergrund stellt, von einer kulturkritischen Variante unterscheiden, die auf eine positive „Regeneration“ und Verjüngung der dekadenten orientalischen Stadtkulturen abstellte und die Nomaden in dieser Hinsicht teilweise sogar mit den Germanen der Völkerwanderungszeit analogisierte.
Unter dem Begriff Rassenseelenkunde hat der völkische Ideologe Ludwig Ferdinand Clauß schließlich Ende der 1920er Jahre versucht, derartige Vorstellungen in Form eines distinktiven rassenwissenschaftlichen Ansatzes zu bündeln. Selbst kein Natur- sondern Geisteswissenschaftler mit einschlägig völkischem Hintergrund, adaptierte er in seiner zentralen Abhandlung Rasse und Seele (1926) diverse Modelle und Termini vorwiegend geisteswissenschaftlicher Provenienz. So konstruierte er ‚Rasse‘ als eine Art inneres Strukturprinzip von Körper und Seele und operierte mit Begriffen aus Ästhetik und Gestaltpsychologie. Als ehemaliger Schüler und Assistent Edmund Husserls präsentierte er seinen Ansatz schließlich gar als Beitrag zur philosophischen Phänomenologie und bezeichnete die Rassenseelenkunde als „platonische Ideenschau“. Dabei wurde das Modell von einem vorgeblich wertneutralen rassistischen Relativismus getragen, der die „Reinheit“ der einzelnen „Rassen“ zum höchsten Gut erhob und jeden „artfremden“ Einfluss – sei es durch direkte „Rassenmischung“ oder kulturelle Adaptionen – radikal ablehnte.
Bemerkenswerterweise fungierten Fotos – also Abbildungen des Äußeren – als wichtigstes Material dieses Ansatzes. Mit dem Ziel, den „Leib von innen her“ zu betrachten, versuchte Clauß, aus Körperhaltungen von Menschen verschiedener Herkunft auf innere, verborgene „Stile“, „Gestalten“ und „Gesetze“ zu schließen, die wiederum die Grundlage seiner Rassenklassifizierung bildeten. Die meisten dieser Bilder hatte er in verschiedenen Regionen Deutschlands sowie während eines langjährigen Aufenthalts im arabischen Raum selbst fotografiert. Die scharfe Unterscheidung zwischen Juden und Arabern, die im Zentrum seiner „rassenseelischen“ Kartographie des Orients stand, kann zudem als wichtige Schnittstelle zum rassenantisemitischen Diskurs angesehen werden.
Clauß propagierte seinen Ansatz sowohl in humanwissenschaftlichen als auch in völkischen Organen, und auch wenn er unter den Rassenwissenschaftlern ein Außenseiter blieb, avancierte er im Nationalsozialismus schließlich zu einem der wichtigsten rassenkundlichen Autoren. Der Beitrag wird die Rassenseelenkunde in den wissenschafts- und ideologiegeschichtlichen Kontextes einordnen und aufzeigen, auf welche Weise hier ‚Äußeres‘ und ‚Inneres‘, Leib und Seele, Sichtbares und Unsichtbares miteinander in Beziehung gesetzt wurde.