Papers by Joanna Nowotny
Closure. Kieler e-Journal für Comicforschung. Spezialausgabe „The Crumbs – Obszönität und Tabubruch“ (Gastherausgeberinnen Kalina Kupczynska und Véronique Sina), 2020
Joanna Nowotny wirft einen kritischen Blick auf die 2010 von Sophie Crumb veröffentlichte autobio... more Joanna Nowotny wirft einen kritischen Blick auf die 2010 von Sophie Crumb veröffentlichte autobiografische Sammlung "The Evolution of a Crazy Artist". Wie Nowotny veranschaulicht, handelt es sich hierbei um ein Künstlerinnen-Porträt, das in der anhaltenden Auseinandersetzung mit den obszönen und tabubrechenden Comics von Aline Kominsky-Crumb und Robert Crumb entsteht. Die von Sophie Crumb versammelten Zeichnungen können demnach als ›Nach-Zeichnungen‹ verstanden werden, die sowohl als Hommage an als auch Abgrenzung von dem Comic-Schaffen ihrer Eltern dienen.

Closure. Kieler e-Journal für Comicforschung, 2019
English
The paper pits the utopian and revolutionary potential of the cyborg in Donna Haraway’s ... more English
The paper pits the utopian and revolutionary potential of the cyborg in Donna Haraway’s "Cyborg Manifesto" against a contemporary and highly acclaimed superhero series in order to discuss intersectional aspects of the crossing of boundaries between man and machine. At the centre of the analysis is "The Vision", a self-contained and highly praised series by Tom King, Gabriel Hernandez Walta, Michael Walsh and Jordie Bellaire, published by Marvel in 2015/16. In "The Vision", cyborgs or androids want to be human, which demonstrates the artificiality of what is supposedly natural. In three steps, the paper provides an answer to the question of what has become of Haraway’s revolutionary cyborg dreams today: first, posthuman conceptions of identity are up for debate; second, the paper deals with male creation myths; third, repetition or replication is identified as the process that shapes "The Vision" not only on a content level, but also on a formal level. Finally, in a synthesis, criteria of revolutionary and conservative narratives of the posthuman are established. They enable us to discuss figures and figurations at the interface of the human and the mechanical, the organic and the artificial on a scale in other narratives as well, and to place them on a scale from Frankenstein’s 'creature' to Haraway’s cyborg. The aim of the paper is therefore not only a close reading of "The Vision"; the paper is also about media-typical aspects, about what comics can represent in a specific way, and about narratives concerning the boundaries between man and machine in a broader context.
Deutsch
Der Aufsatz hält das utopische und revolutionäre Potenzial, das dem Cyborg in den Achtzigern in Donna Haraways "Cyborg Manifesto" zukam, gegen eine zeitgenössische und hochgelobte Superheldenserie, um gendertheoretische und intersektionale Aspekte der Grenzüberschreitung zwischen Mensch und Maschine zu diskutieren. Im Zentrum der Analyse steht "The Vision", eine narrativ in sich geschlossene und hochgelobte Serie von Tom King, Gabriel Hernandez Walta, Michael Walsh und Jordie Bellaire, die 2015/16 bei Marvel erschien. In "The Vision" geht Menschlichkeit auf Cyborgs oder Androiden über – künstliche Lebewesen wollen Menschen sein und führen die Künstlichkeit des vermeintlich Natürlichen vor. In drei Schritten gibt der Aufsatz eine exemplarische Antwort auf die Frage, was aus den widerständigen Cyborg-Träumen von Haraway heute geworden ist: Erstens stehen posthumane Identitätsentwürfe zur Disposition; zweitens geht es um männliche Schöpfungsmythen; drittens wird die Repetition oder Replizierung als das Verfahren ausgewiesen, das "The Vision" nicht nur auf einer inhaltlichen, sondern auch auf einer formalen Ebene bestimmt. In einer Synthese werden zuletzt Kriterien revolutionärer und konservativer Narrative des Posthumanen erarbeitet, die es erlauben sollen, Figuren und Figurationen an der Schnittstelle des Menschlichen und Maschinellen, des Organischen und Künstlichen auch in anderen Erzählungen auf einer Skala zu verorten: von Frankensteins 'Kreatur' zu Haraways Cyborg. Ziel ist also nicht nur ein close reading von "The Vision"; es geht immer auch um medientypische Aspekte, um das, was Comics auf spezifische Art ins Bild setzen können, sowie um Narrative über die Grenzen zwischen Mensch und Maschine in einem breiteren Kontext.

Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 2019
This is a pre-print of an article published in Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissensc... more This is a pre-print of an article published in Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. The final authenticated and edited version is available online at: https://doi.org/10.1007/s41245-019-00082-2
Uwe Timms Novelle "Die Entdeckung der Currywurst" (1993) über das Kriegsende in Hamburg wurde euphorisch und breit rezipiert. Der Text, in dessen Zentrum die intergenerationelle Tradierung geschichtlichen Wissens steht, ist mittlerweile selbst zum Vehikel der Wissensvermittlung geworden: Er gehört zu den klassischen Schullektüren. Die vorliegende Analyse unternimmt eine kritische Relektüre, die auf blinde Flecken der Rezeption hinweist-in den Medien, der Forschung sowie im Rahmen der didaktischen Vermittlung. "Die Entdeckung der Currywurst" erzählt von der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg, doch die Shoah und die deutschen Verbrechen kommen kaum in der Novelle vor. Die (wenigen) Passagen, die sich deutscher Schuld und der Shoah annehmen, sind bis in die Details der Wortwahl problematisch, wie im Rückgriff auf Erkenntnisse aus der Gedächtnis-und Kommunikationsforschung aufgezeigt wird.
Uwe Timm's novella "Die Entdeckung der Currywurst" (1993) about the end of the war in Hamburg was enthusiastically received. The text, which focuses on the intergenerational transmission of historical knowledge, has itself become a vehicle for the transfer of knowledge, as it is often read in schools. This paper undertakes a critical re-reading, which points to aspects that have hitherto been ignored − in the media, in academic research and within the framework of didactics. "Die Entdeckung der Currywurst" deals with remembering the Second World War, but the Shoah and the German crimes hardly appear in the novella. The (few) passages that do deal with German guilt and the Shoah are problematic, which will be demonstrated in this paper with recourse to findings from cultural memory research.

Weimarer Beiträge, 2018
Die Rede von einer ›Kultur der Digitalität‹ 2 unterstellt, dass im digitalen Raum (oder, eingeden... more Die Rede von einer ›Kultur der Digitalität‹ 2 unterstellt, dass im digitalen Raum (oder, eingedenk der Ortlosigkeit digitaler Kommunikation, im Nicht-Raum) neue Handlungsräume, Weltbezüge und Deutungsmuster entstehen. Ein von Referenzialität, Gemeinschaftlichkeit und schematisierender ›Algorithmizität‹ 3 geprägtes, spezifisch ›digitales‹ Phänomen sind die sogenannten memes (zu deutsch Meme): Zumeist humoristisch angelegte Bild-, Ton-, Text-oder Videobeiträge (oder auch Kombinationen all dieser Elemente), die sich im Netz in Windeseile, das heißt ›viral‹, verbreiten und im Zuge dieses Verbreitungsprozesses vielfältige Modifikationen erfahren. Der Begriff des meme ist indes nicht neuartig; es handelt sich um einen von Richard Dawkins im Jahr 1976 geprägten Neologismus. Bei Dawkins erfüllt das meme im sozialen Raum die Funktion, die dem Gen im biologischen Raum zukommt: Es bezeichnet einen Bewusstseinsinhalt, der durch Kommunikation weitergegeben wird, sich vervielfältigt und somit soziokulturell ›vererbbar‹, damit auch Gegenstand einer soziokulturellen Evolution wird. Zwecks etymologischer Legitimierung seines Neologismus verweist Dawkins auf den Aspekt der mimesis beziehungsweise der »imitation« 4 , der Weiterverbreitung eines Inhalts mittels Kopieren. Die Semantik des meme entwickelte sich nach dem Siegeszug des Internets freilich in Richtungen, die Dawkins nicht vorhersehen konnte.

Queer(ing) Popular Culture. Themenschwerpunktheft Navigationen – Zeitschrift für Medien- und Kulturwissenschaften 1 (hg. v. Sebastian Zilles), 2018
Privatversion JN, ohne Seitenzahlen der veröffentlichten Version 1 »It's called a ›Devil's Threes... more Privatversion JN, ohne Seitenzahlen der veröffentlichten Version 1 »It's called a ›Devil's Threesome‹ for a reason« Transgression und Queerness in der Fernsehserie Lucifer -Ein Essay Der Teufel hat seinen Job an den Nagel gehängt. Die Prämisse der Fernsehserie Lucifer (Fox, 2016-), eine humoristische Mischung aus Krimi und Fantasy, ist bestechend: Lucifer (Tom Ellis) verlässt die Hölle und zieht mit seiner getreuen Dämonin Mazikeen (Lesley-Ann Brandt) nach Los Angeles, die Metropole der Stars und Sternchen, um ein neues, menschliches Leben zu beginnen. In der Hölle war Lucifer nie sonderlich glücklich, hat ihn doch sein wütender Gottvater nach Rebellionsversuchen dorthin verbannt und gezwungen, die Selbstbestrafungen unglücklicher, von Gewissensbissen zerfressener Menschen zu überwachen. Jean-Paul Sartres berühmte Formel aus dem Theaterstück Huis Clos (1943), die Hölle seien die anderen, ließe sich mit Blick auf Lucifer variieren zu: Die Hölle findet jeder Mensch in sich selbst, und der Teufel möchte am liebsten nichts damit zu tun haben. Angelangt in Los Angeles und ausgestattet mit dem Namen des Himmelskörpers, nach dem er im Lateinischen benannt ist, der Venus, macht sich Lucifer Morningstar schnell einen Ruf als Verführer und schlauer Geschäftsmann. Mehrfach wird angedeutet, sein erstes Geschäft in der Menschenwelt sei die Prostitution gewesen. Als die Zuschauer_in Lucifer trifft, ist er erfolgreicher Clubbesitzer mit einer Unmenge Geld. Schon die erste Szene des Pilots bringt die Macht auf den Punkt, die Lucifer als reichem, weißem Mann zukommt. Aus einem stilvollen Cabriolet mit dem treffenden Nummernschild »Fallin1« besticht Lucifer einen Polizisten, der ihn wegen zu schnellen Fahrens büßen will. Erst nach einer Weile lässt sich Lucifer breitschlagen, die laute Musik herunterzudrehen, mit der er durch den großstädtischen Verkehr braust; und schon kurz darauf hat sich das Problem erledigt, denn dem dicken Bündel Dollarscheine, das Lucifer aus seinem eleganten Sakko zaubert, kann der Ordnungshüter nicht widerstehen. Doch nicht nur das Geld verleiht Lucifer Macht. Der Polizist wird nach einem Blick in die Augen des Teufels gefügig und willig, ihm seine tiefsten Sehnsüchte zu offenbaren. Damit diskreditiert er sich: Denn auch er genießt anscheinend bisweilen das zu schnelle Fahren und bedient sich zu diesem Zweck der Polizeisirene, ohne dass tatsächlich ein Notfall vorläge. Wenn die Queer Theory den Fokus auf »mismatches between sex, gender and desire« legt, wie eine Introduction zum Thema es formuliert (Annamarie Jagose, 1996), dann ist die Teufelsfigur in der Serie Lucifer inhärent queer: Ihre übermenschliche Fähigkeit besteht darin, menschliche Begehrlichkeiten manifest werden zu lassen, die der normativen Ordnung im einen oder anderen Sinn widersprechen. Manchmal, wie in dieser ersten Szene, stehen Privatversion JN, ohne Seitenzahlen der veröffentlichten Version

Action! Artefakt, Ereignis, Erlebnis (hg. v. Ingrid Tomkowiak, Brigitte Frizzoni, Manuel Trummer) , 2017
Das interaktive Medium Computerspiel vermag ein großes und ambivalentes affektives Potenzial frei... more Das interaktive Medium Computerspiel vermag ein großes und ambivalentes affektives Potenzial freizusetzen. Wie spielerisches Handeln interpretiert, analysiert und kanalisiert wird und ob man solche ludischen Handlungen mit Genuss, Indifferenz, Befremden oder gar Abscheu vollzieht und wahrnimmt -das sind zumindest in der Schweiz längst keine abstrakten ästhetischen Fragen mehr. Es sind vielmehr Kernpunkte einer politischen Diskussion, die in der teilweisen Kriminalisierung eines Mediums münden könnte, dessen Jahresumsatz mittlerweile denjenigen Hollywoods deutlich übertrifft. 1 Denn seit dem 18. März 2010 ist der Bundesrat eigentlich beauftragt, bestimmte Formen spielerischer Tätigkeit platterdings zu verbieten, oder genauer: Er ist beauftragt, dem Parlament eine gesetzliche Grundlage vorzulegen, die es erlaubt, die Herstellung, das Anpreisen, die Einfuhr, den Verkauf und die Weitergabe von Spielprogrammen zu verbieten, in denen grausame Gewalttätigkeiten gegen Menschen und menschenähnliche Wesen zum Spielerfolg beitragen. 2

German Quarterly, 2017
Quarterly. The final authenticated and edited version is available online at: https://doi.org/10.... more Quarterly. The final authenticated and edited version is available online at: https://doi.org/10.1111/gequ.12018 Ein "Prozess" der Selbstwerdung Kafkas verdeckt-literarische Kierkegaard-Rezeption I. Kafkas Kierkegaard-Rezeption Mitte des 19. Jahrhunderts, zur Zeit ihrer Erstveröffentlichung auf Dänisch, waren Kierkegaards Werke ausserhalb Skandinaviens praktisch unbeachtet geblieben. Nach 1900 jedoch erlebten sie eine Renaissance, die ihresgleichen sucht. 1 Gerade auch Schriftsteller studierten nach der Jahrhundertwende zuhauf Kierkegaard; seine literarische Rezeption ist dennoch erst marginal erforscht. 2 Dass auch Kafka vor diesem Hintergrund Kierkegaard studierte, ist bekannt. Gerade in der ersten Zeit der Kafka-Interpretation in der Nachfolge Max Brods 3 gibt es eine nicht unermessliche Menge an Forschung zum Thema, sei sie religiös-existenzialistisch fundiert 4 oder biographistisch ausgerichtet. Wieso sollte die Fragestellung, die in neuerer Zeit weitgehend aus dem Fokus der Forschung geraten ist, 5 also noch einmal aufgewärmt werden? Die älteste explizite Äusserung Kafkas über Kierkegaard findet sich in einem Tagebucheintrag vom 21. August 1913: Kafka schreibt, dass Kierkegaards "Fall" seinem eigenen "sehr ähnlich" sei und Kierkegaard ihn in seinem Lebensentwurf wie ein "Freund" "bestätig[e]". 6 Dieser identifikatorische Anknüpfungspunkt, der zahlreichen Sekundärtexten eine Basis bot, liegt wohl vor allem im Kafka und Kierkegaard gemeinsamen Verlobungsdesaster. 7 Nur wenige Monate nach seiner ersten Kierkegaard-Lektüre löste Kafka ein erstes Mal die Verlobung zu Felice Bauer auf. Kafka liest Kierkegaard zuerst durch die Linse autobiographischer Zeugnisse − unter dem Titel Buch des Richters versammelt − und damit wie viele deutschsprachige Interpreten ohne besondere Sensibilität für die vielschichtige Struktur der Pseudonymität und indirekten Mitteilung, die für Kierkegaards Werk charakteristisch ist. 8 Der anfängliche Enthusiasmus weicht zunehmend einer ambivalenten Einstellung; Zweifel Kafkas vor allem an Kierkegaards Erlösergestus manifestieren sich. 9 Doch trotz seiner kritischen Distanz studiert Kafka Kierkegaard in den darauf folgenden Jahren immer wieder und sehr gründlich. So schreibt er Ende März 1918 an Max Brod höchst anerkennend von der "Durchreflektiertheit" der Kierkegaardʼschen Gedankengänge, von der "Macht seiner Terminologie, seiner Begriffsentdeckungen". 10 Eine solche Aufmerksamkeit Kafkas für 2 KAFKAS VERDECKT-LITERARISCHE KIERKEGAARD-REZEPTION Kierkegaards "Begriffsentdeckungen", die er sich zum Teil und offensichtlich tief beeindruckt sogar in seine literarischen Notizhefte notierte, 11 legt es nahe, Kafkas Texte und Kierkegaards Terminologie Wort für Wort abzugleichen. 12 Trotz solcher Hinweise auf eine genaue und produktive Lektüre nehmen sich über den gesamten Zeitraum der Kafka-Forschung nur sehr wenige Texte einer impliziten Rezeption Kierkegaards an 13oft werden bloss mehr oder weniger explizite Verweise diskutiert, etwa die Aphorismen, die Kafka in Zürau notierte, oder seine in Anlehnung an Furcht und Zittern verfassten Abraham-Variationen. 14 Eine Beziehung zwischen Kafkas literarischem und Kierkegaards literarisch-philosophischem Werk wird somit bis heute selten ernsthaft diskutiert, sondern vielmehr als Gemeinplatz vorausgesetzt. 15 Hier soll die These plausibilisiert werden, dass Kafkas generativ-esoterische 16 Kierkegaard-Rezeption viel weiter ging als gemeinhin angenommen und literarisch höchst fruchtbar war. 17 Diese Behauptung fusst auf einer in der Kafka-Forschung neuen methodischen Überlegung. Kierkegaards Philosophie lässt sich, sehr verkürzt gesagt, in eine ‚positive' und eine ‚negative' Seite gliedern. An ihrer ‚positiven' Seite, namentlich der Auflösung oder zumindest Relativierung einer existenziellen Krisensituation durch den Sprung zu einem Absoluten, den Sprung zum christlichen Gott, hat sich Kafka offensichtlich gestossen. 18 Dass er sich mit Kierkegaards erzchristlicher Lösung des Existenzproblems nicht abfinden konnte, liegt buchstäblich auf der Hand: "Ich bin nicht von der […] sinkenden Hand des Christentums ins Leben geführt worden wie Kierkegaard". 19 Die ‚negativen' Seiten von Kierkegaards Philosophie aber, also die literarischen Beschreibungen und philosophischen sowie psychologischen Analysen der krisenhaften conditio humana und der Verzweiflung, die für Existenzphilosophen des 20. Jahrhunderts wie Jean-Paul Sartre und Martin Heidegger anschlussfähig waren, sind vom religionsphilosophischen ‚Sprung' aus dieser Krise durchaus zu unterscheiden. Vor allem zwischen diesem ‚negativen' Teil des Kierkegaard'schen Werks und Kafkas Schriften finden sich erstaunliche, bis in den Wortlaut reichende Parallelen. Sehr schematisiert lassen sich drei poetologische Verfahren identifizieren, die in einer produktiven Transformation und Adaptation der Texte, Begrifflichkeit und Konzepte Kierkegaards angewendet werden und die allgemein als Teil der literarischen Rezeption Kierkegaards zu verstehen sind: Zitat, Parodie und Wiederverwörtlichung. Exemplarisch aufgezeigt werden diese Aneignungsverfahren an Kafkas Proceß-Fragment -K.'s Prozess wird eine neue Bedeutungsdimension abgewonnen, wenn er als Kierkegaard'scher "Prozess[]" 20 der Selbstwerdung eines Verzweifelten gedeutet wird, dem in Form der

SPELL, Swiss Papers in English Language and Literature, Sonderheft American Communities: Between the Popular and the Political (hg. v. Julia Straub und Lukas Etter), 2017
From its creation in the late 1930s onwards, the figure of the superhero has become increasingly ... more From its creation in the late 1930s onwards, the figure of the superhero has become increasingly ambiguous and problematic. Especially in two crucial periods of recent history – the height of the Cold War in the 1980s as well as after 9/11 – superheroes are presented as precarious, dubious characters that have lost the ability to fulfill traditional heroic functions such as conveying social norms and moral values, and regulating the use of violence. To reinforce their social relevance and to reestablish their bond with the (usually US-American) community, modern superhero narratives focus on the very relationship of superheroes and the population. Seminal publications of the genre such as Alan Moore’s "Watchmen" (1986/87), Frank Miller’s "The Dark Knight Returns" (1986) and Mark Millar’s "Civil War" (2006/07) open up a discussion of what heroism means and how it relates to ‘ordinary’ people. In them, the question arises if superheroes are even capable of speaking for their communities. Analyzing the relationship between superheroes and their communities contributes to understanding how superhero narratives have become a hugely influential medium of social debate.

Starting after 1900, there is an intense and fruitful discussion of the philosophy and literature... more Starting after 1900, there is an intense and fruitful discussion of the philosophy and literature of the ‚Christian author‘ Kierkegaard amongst Jewish intellectuals in many different fields. This begs the question of why and in what way Kierkegaard’s work became particularly relevant in the context of Jewish Modernity. The paper outlines some ways in which Kierkegaard could be appropriated into Jewish thinking, paying particular attention to the discourse of Orientalism. By assimilating Kierkegaard’s thinking to orientalist notions of ‚Jewish thought‘ that were constructed in opposition to ‚Christian‘ or ‚western‘ thought, writers like Martin Buber, Max Brod, Gershom Scholem or Lev Shestov see him as a mediator between Judaism and Christianity, or, in more extreme cases, explicitly claim him as ‚Jewish‘. The Jewish reception of Kierkegaard therefore gives prime examples of how differences between ‚Jewish‘ and ‚Christian‘ thinking get constructed through debates concerned with identity.

Dieser Aufsatz befasst sich mit der Altersdarstellung in zwei beispielhaften Generationenromanen ... more Dieser Aufsatz befasst sich mit der Altersdarstellung in zwei beispielhaften Generationenromanen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, Clemens Setz’ Die Frequenzen (2009) und Tilman Rammstedts Der Kaiser von China (2008). Drei Aspekte stehen im Zentrum der Analyse: Erstens ist in Einklang mit der soziologischen Forschung zu beobachten, dass Alter in der Gegenwartsliteratur nicht als bloße biologische Tatsache, sondern als soziale Leistung begriffen wird. Je nachdem, ob und wie gut diese Leistung erbracht wird, entwirft die Gegenwartsliteratur Bilder eines „guten“ und „schlechten“ Alter(n)s. Um die Problemstellung adäquat zu erfassen, werden zweitens spezifische diskurs- und wissensgeschichtliche Kontexte fruchtbar gemacht, denn Alter wird etwa in Abhängigkeit von Gender unterschiedlich funktionalisiert. Der Fokus unserer Untersuchung liegt auf „männlichen“ Alterungsprozessen, deren Prekarität in der Forschung zu aktuellen Generationenromanen noch kaum registriert wurde. Drittens zeigt die vorliegende Arbeit, dass das Alter mit gattungsspezifischen Schreibverfahren des Generationenromans der Gegenwartsliteratur assoziiert ist, insbesondere mit der „therapeutischen“ Narrativierung der Familiengeschichte.
Yahya Elsaghe, Ulrich Boss und Florian Heiniger (Hgg.), Matriarchatsfiktionen. Johann Jakob Bachofen und die deutsche Literatur des 20. Jahrhunderts, Basel: Schwabe, 2018, 2018
Florian Lehmann (Hg.), Ordnungen des Unheimlichen. Kultur – Literatur – Medien. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2016, S. 149−167 [Konnex. Studien im Schnittbereich von Literatur, Kultur und Natur; Bd. 15].
What does [Shestov] spend his time studying? Always neurotics. Already, his first book on Shakesp... more What does [Shestov] spend his time studying? Always neurotics. Already, his first book on Shakespeare and Brandes […] is an attempt to analyze two neurotics. […] [N]ow he is busy with Kierkegaard whose entire life was a constantly increasing neurosis. […] Brandes was a friend of Kierkegaard. Brandes discovered Nietzsche. Do you see the logical sequence in my brother's work? From Brandes to Kierkegaard which means back to Brandes. Without psychoanalysis it would all be one big puzzle, but in our day it is not hard to see that in analyzing his literary patients Lev was using them as masks. In other words, what he was really occupied with was himself, with his auto-analysis. 1
Conference Presentations by Joanna Nowotny
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Papers by Joanna Nowotny
The paper pits the utopian and revolutionary potential of the cyborg in Donna Haraway’s "Cyborg Manifesto" against a contemporary and highly acclaimed superhero series in order to discuss intersectional aspects of the crossing of boundaries between man and machine. At the centre of the analysis is "The Vision", a self-contained and highly praised series by Tom King, Gabriel Hernandez Walta, Michael Walsh and Jordie Bellaire, published by Marvel in 2015/16. In "The Vision", cyborgs or androids want to be human, which demonstrates the artificiality of what is supposedly natural. In three steps, the paper provides an answer to the question of what has become of Haraway’s revolutionary cyborg dreams today: first, posthuman conceptions of identity are up for debate; second, the paper deals with male creation myths; third, repetition or replication is identified as the process that shapes "The Vision" not only on a content level, but also on a formal level. Finally, in a synthesis, criteria of revolutionary and conservative narratives of the posthuman are established. They enable us to discuss figures and figurations at the interface of the human and the mechanical, the organic and the artificial on a scale in other narratives as well, and to place them on a scale from Frankenstein’s 'creature' to Haraway’s cyborg. The aim of the paper is therefore not only a close reading of "The Vision"; the paper is also about media-typical aspects, about what comics can represent in a specific way, and about narratives concerning the boundaries between man and machine in a broader context.
Deutsch
Der Aufsatz hält das utopische und revolutionäre Potenzial, das dem Cyborg in den Achtzigern in Donna Haraways "Cyborg Manifesto" zukam, gegen eine zeitgenössische und hochgelobte Superheldenserie, um gendertheoretische und intersektionale Aspekte der Grenzüberschreitung zwischen Mensch und Maschine zu diskutieren. Im Zentrum der Analyse steht "The Vision", eine narrativ in sich geschlossene und hochgelobte Serie von Tom King, Gabriel Hernandez Walta, Michael Walsh und Jordie Bellaire, die 2015/16 bei Marvel erschien. In "The Vision" geht Menschlichkeit auf Cyborgs oder Androiden über – künstliche Lebewesen wollen Menschen sein und führen die Künstlichkeit des vermeintlich Natürlichen vor. In drei Schritten gibt der Aufsatz eine exemplarische Antwort auf die Frage, was aus den widerständigen Cyborg-Träumen von Haraway heute geworden ist: Erstens stehen posthumane Identitätsentwürfe zur Disposition; zweitens geht es um männliche Schöpfungsmythen; drittens wird die Repetition oder Replizierung als das Verfahren ausgewiesen, das "The Vision" nicht nur auf einer inhaltlichen, sondern auch auf einer formalen Ebene bestimmt. In einer Synthese werden zuletzt Kriterien revolutionärer und konservativer Narrative des Posthumanen erarbeitet, die es erlauben sollen, Figuren und Figurationen an der Schnittstelle des Menschlichen und Maschinellen, des Organischen und Künstlichen auch in anderen Erzählungen auf einer Skala zu verorten: von Frankensteins 'Kreatur' zu Haraways Cyborg. Ziel ist also nicht nur ein close reading von "The Vision"; es geht immer auch um medientypische Aspekte, um das, was Comics auf spezifische Art ins Bild setzen können, sowie um Narrative über die Grenzen zwischen Mensch und Maschine in einem breiteren Kontext.
Uwe Timms Novelle "Die Entdeckung der Currywurst" (1993) über das Kriegsende in Hamburg wurde euphorisch und breit rezipiert. Der Text, in dessen Zentrum die intergenerationelle Tradierung geschichtlichen Wissens steht, ist mittlerweile selbst zum Vehikel der Wissensvermittlung geworden: Er gehört zu den klassischen Schullektüren. Die vorliegende Analyse unternimmt eine kritische Relektüre, die auf blinde Flecken der Rezeption hinweist-in den Medien, der Forschung sowie im Rahmen der didaktischen Vermittlung. "Die Entdeckung der Currywurst" erzählt von der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg, doch die Shoah und die deutschen Verbrechen kommen kaum in der Novelle vor. Die (wenigen) Passagen, die sich deutscher Schuld und der Shoah annehmen, sind bis in die Details der Wortwahl problematisch, wie im Rückgriff auf Erkenntnisse aus der Gedächtnis-und Kommunikationsforschung aufgezeigt wird.
Uwe Timm's novella "Die Entdeckung der Currywurst" (1993) about the end of the war in Hamburg was enthusiastically received. The text, which focuses on the intergenerational transmission of historical knowledge, has itself become a vehicle for the transfer of knowledge, as it is often read in schools. This paper undertakes a critical re-reading, which points to aspects that have hitherto been ignored − in the media, in academic research and within the framework of didactics. "Die Entdeckung der Currywurst" deals with remembering the Second World War, but the Shoah and the German crimes hardly appear in the novella. The (few) passages that do deal with German guilt and the Shoah are problematic, which will be demonstrated in this paper with recourse to findings from cultural memory research.
Conference Presentations by Joanna Nowotny
The paper pits the utopian and revolutionary potential of the cyborg in Donna Haraway’s "Cyborg Manifesto" against a contemporary and highly acclaimed superhero series in order to discuss intersectional aspects of the crossing of boundaries between man and machine. At the centre of the analysis is "The Vision", a self-contained and highly praised series by Tom King, Gabriel Hernandez Walta, Michael Walsh and Jordie Bellaire, published by Marvel in 2015/16. In "The Vision", cyborgs or androids want to be human, which demonstrates the artificiality of what is supposedly natural. In three steps, the paper provides an answer to the question of what has become of Haraway’s revolutionary cyborg dreams today: first, posthuman conceptions of identity are up for debate; second, the paper deals with male creation myths; third, repetition or replication is identified as the process that shapes "The Vision" not only on a content level, but also on a formal level. Finally, in a synthesis, criteria of revolutionary and conservative narratives of the posthuman are established. They enable us to discuss figures and figurations at the interface of the human and the mechanical, the organic and the artificial on a scale in other narratives as well, and to place them on a scale from Frankenstein’s 'creature' to Haraway’s cyborg. The aim of the paper is therefore not only a close reading of "The Vision"; the paper is also about media-typical aspects, about what comics can represent in a specific way, and about narratives concerning the boundaries between man and machine in a broader context.
Deutsch
Der Aufsatz hält das utopische und revolutionäre Potenzial, das dem Cyborg in den Achtzigern in Donna Haraways "Cyborg Manifesto" zukam, gegen eine zeitgenössische und hochgelobte Superheldenserie, um gendertheoretische und intersektionale Aspekte der Grenzüberschreitung zwischen Mensch und Maschine zu diskutieren. Im Zentrum der Analyse steht "The Vision", eine narrativ in sich geschlossene und hochgelobte Serie von Tom King, Gabriel Hernandez Walta, Michael Walsh und Jordie Bellaire, die 2015/16 bei Marvel erschien. In "The Vision" geht Menschlichkeit auf Cyborgs oder Androiden über – künstliche Lebewesen wollen Menschen sein und führen die Künstlichkeit des vermeintlich Natürlichen vor. In drei Schritten gibt der Aufsatz eine exemplarische Antwort auf die Frage, was aus den widerständigen Cyborg-Träumen von Haraway heute geworden ist: Erstens stehen posthumane Identitätsentwürfe zur Disposition; zweitens geht es um männliche Schöpfungsmythen; drittens wird die Repetition oder Replizierung als das Verfahren ausgewiesen, das "The Vision" nicht nur auf einer inhaltlichen, sondern auch auf einer formalen Ebene bestimmt. In einer Synthese werden zuletzt Kriterien revolutionärer und konservativer Narrative des Posthumanen erarbeitet, die es erlauben sollen, Figuren und Figurationen an der Schnittstelle des Menschlichen und Maschinellen, des Organischen und Künstlichen auch in anderen Erzählungen auf einer Skala zu verorten: von Frankensteins 'Kreatur' zu Haraways Cyborg. Ziel ist also nicht nur ein close reading von "The Vision"; es geht immer auch um medientypische Aspekte, um das, was Comics auf spezifische Art ins Bild setzen können, sowie um Narrative über die Grenzen zwischen Mensch und Maschine in einem breiteren Kontext.
Uwe Timms Novelle "Die Entdeckung der Currywurst" (1993) über das Kriegsende in Hamburg wurde euphorisch und breit rezipiert. Der Text, in dessen Zentrum die intergenerationelle Tradierung geschichtlichen Wissens steht, ist mittlerweile selbst zum Vehikel der Wissensvermittlung geworden: Er gehört zu den klassischen Schullektüren. Die vorliegende Analyse unternimmt eine kritische Relektüre, die auf blinde Flecken der Rezeption hinweist-in den Medien, der Forschung sowie im Rahmen der didaktischen Vermittlung. "Die Entdeckung der Currywurst" erzählt von der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg, doch die Shoah und die deutschen Verbrechen kommen kaum in der Novelle vor. Die (wenigen) Passagen, die sich deutscher Schuld und der Shoah annehmen, sind bis in die Details der Wortwahl problematisch, wie im Rückgriff auf Erkenntnisse aus der Gedächtnis-und Kommunikationsforschung aufgezeigt wird.
Uwe Timm's novella "Die Entdeckung der Currywurst" (1993) about the end of the war in Hamburg was enthusiastically received. The text, which focuses on the intergenerational transmission of historical knowledge, has itself become a vehicle for the transfer of knowledge, as it is often read in schools. This paper undertakes a critical re-reading, which points to aspects that have hitherto been ignored − in the media, in academic research and within the framework of didactics. "Die Entdeckung der Currywurst" deals with remembering the Second World War, but the Shoah and the German crimes hardly appear in the novella. The (few) passages that do deal with German guilt and the Shoah are problematic, which will be demonstrated in this paper with recourse to findings from cultural memory research.