In a letter to Robert Klopstock written in June 1921 while staying in Matliary, Franz Kafka refle... more In a letter to Robert Klopstock written in June 1921 while staying in Matliary, Franz Kafka reflected on the biblical figure of Abraham and implicitly responded to Søren Kierkegaard’s description of the patriarch as a Christian hero of faith by drawing his own portrait of an alternative Abraham. Kafka’s text, quoted here in the German original and in an English translation, is the object of a discussion between four scholars who develop a dialogue about the Jewish and Christian aspects of Kafka’s text.
Bekanntlich erreichten zwei Männer, von denen der eine stark, aber blind und der andere lahm und ... more Bekanntlich erreichten zwei Männer, von denen der eine stark, aber blind und der andere lahm und schwächlich war, aber gut sehen konnte, das Gastmahl des Königs indem der eine, auf dem Rücken des anderen sitzend, den Weg wies, den der andere beging. Die Parabel der komplementären Unzulänglichkeiten hat einen glücklichen Ausgang und eine einsichtige Moral. Sie gehört in eine Welt, in der unversehrte Ganzheit die Norm und Gebrechen die überwindbare Ausnahme sind. Wenn angesichts der Zeugnisse des Massenmords Juristen nach dem Dichter rufen, damit er « Worte hergebe, für das, was geschah » 2 während von Seiten der Literaten die Dichtung selbst der Barbarei angeklagt und von Dichtern -wie beredt auch immerzum Verstummen verurteilt wird, weil sie dem Geschehenen nicht gerecht werden kann, dann erscheint anstelle der rettenden Komplementarität der sprachlose Abgrund einer beschädigten Zeit. Vom Eingeständnis der Grenzen des eigenen Diskurses, das gleichermassen im Ruf der Juristen nach dem Dichter und in der poetischen Forderung des « Gerechtwerdens » zum Ausdruck gelangt, erhoffen sich beide, Jurisprudenz und Poesie, den Vollzug jenes Sprechakts, der durch die eigene Selbstentmächtigung die Würde der jeweiligen Sprache wiederherzustellen vermag. Stark aber blind, oder gezwungenermassen sturblickend ist die Sprache der Justiz. Der allegorischen Blindheit der Justitia entsprechend, ist ihr Blickfeld gesetzmässig abgesteckt und vorgegeben, weil kodifiziert ist, was für sie als Beobachtung gelten darf. Ihre Stärke, das Schwert in der Hand, liegt in ihrer tatkräftigen Konsequenz. Auf folgerichtiges Handeln ausgerichtet, hat sie auch angesichts letztlich nicht vollends ersichtlicher, weil weder identifizierend nachvollziehbarer noch mitgefühlter Schuldzusammenhänge und Leiderfahrungen Urteile zu fällen, die Auswirkungen in der Wirklichkeit haben. Lahm und schwächlich, aber sehend ist die Sprache der Dichtung. Der nur scheinbar blinde 1 Seher sieht tiefer und weiter, seiner einfühlenden Vorstellungskraft sind keine Grenzen gesetzt, doch bleibt sein Schauen zumindest unmittelbar folgenlos. Gerade deshalb jedoch ist es vielleicht ihm beschieden, offenzuhalten, was der Nachkommenschaft lebendig bleiben soll, während die Justiz ausgleichend und befriedend zum Abschluss bringt was gerichtet gehört um die verstörte Ordnung wiederherzustellen. Verstört und verstörend bleiben aber kann die Dichtung, wenn in ihr wie in Marie-Luise Kaschnitz' Gedichtzyklus Zoon Politikon das Vergessene nicht angekündigt, aktenkundig und ad acta gelegt wird, sonder wenn es einbricht, Feiertags, und Rechenschaft verlangt, etwa aus dem Mund der Kinder, die am Morgen, und auch morgen noch aufstehen werden und aufständisch fragen, « Wie konntet ihr nur ? » 3 « Nun aber tagts » Marie Luise Kaschnitz besuchte am 4. und 21. Dezember 1964 den Auschwitzprozess. 4 In einem 1970 verfassten Rückblick auf das Jahr 1964 hält Kaschnitz ihre Eindrücke dieser Erfahrung fest. Sie schildert die nüchterne Ermittlung des Tatbestands anhand einer Lagerkarte, auf der « gewisse Entfernungen und gewisse Möglichkeiten, etwas gehört oder gesehen zu haben » gemessen wurden und beschreibt die Diskrepanz zwischen dem Zittern der Opfer im Zeugenstand und dem hoch-und übermütigen Verhalten der Angeklagten. 5 Nach ihren eigenen Angaben entstand der Gedichtzyklus Zoon Politikon aus Anlass des Auschwitzprozesses. 6 Der Zyklus kann in Analogie zur Bedeutung des Prozesses als einschneidender Akt der Selbstanklage gelesen werden, die das Gerichtsverfahren im nationalen Selbstverständnis auch bedeuteten konnte, aber auch als kritische Reaktion auf das, was der Prozess aus Kaschnitz' Sicht nicht leistete und aufgrund der spezifischen Einschränkungen des juristischen Diskurses vielleicht auch nicht leisten kann. Als mit dem Prozess einhergehender Akt der Selbstbezichtigung und der Bekenntnis eigener Verantwortlichkeit ist der Zyklus vor allem im Vergleich zu Kaschnitz' 1945 erschienenem Essay mit dem Titel « Von der Schuld » zu lesen. 7
... Show full item record. Title: Feminist revisions of modernism. Author: Liska, Vivian. Date: 1... more ... Show full item record. Title: Feminist revisions of modernism. Author: Liska, Vivian. Date: 1995. ... Recommended Citation. Liska, Vivian - Feminist revisions of modernism - In: The turn of the century = Le tournant du siècle / Berg, C. [edit.] . - Berlin : De Gruyter, 1995 . - p. 66-76. ...
Wir Künstler sind die Lieblinge Gottes, die Kinder der Marien aller Lande. Wir spielen mit seinen... more Wir Künstler sind die Lieblinge Gottes, die Kinder der Marien aller Lande. Wir spielen mit seinen erhabenen Schöpfungen und kramen in seinem bunten Morgen und goldenem Abend. Aber der Bürger bleibt Gottes Stiefsohn, unser vernünftiger Bruder, der Störefried. Er kann nicht hemisch werden mit uns, er und seine Schwester nicht. 1 Else Lasker-Schülers lyrische Darstellung biblischer Frauenfiguren steht in einer literarischen Tradition, die die ursprünglichen biblischen Erzählungen aufgreift und gegen den Strich bürstet, um auf diese Weise Wertvorstellungen in Frage zu stellen, die sich, wenn auch in veränderter Form, seit biblischen Zeiten bis in die eigene Gegenwart durchgesetzt haben. Wenn die meisten künstlerischen Gestaltungen biblischer Motive sich in der westlichen Tradition den ursprünglich intendierten, bzw. religiös vereinnahmten Wertvorstellungen gegenüber auch unterstützend oder zumindest affirmativ verhalten, so gibt es doch, und nicht erst seit der Moderne, andere, die die Autorität dieses Gedankenguts in Frage stellen. An dieser In-Fragestellung waren häufig auch weibliche Autoren beteiligt. So zeigt etwa Pamela Norris in ihrem jüngst erschienenen Buch The Story of Eve 2 , wie Autorinnen von der im 11. Jahrhundert schreibenden Hildegard von Bingen über die Romantikerin Mary Shelley bis zu Gegenwartsautorinnen wie Angela Carter und Margaret Atwood die biblische Schöpfungsgeschichte gegen den Strich gebürstet haben, um die Ehre Evas, der "Mutter aller Dinge", nachträglich zu retten. Auch Else Lasker-Schüler hat sich an dieser Kontrafaktur der Schöpfungsgeschichte beteiligt, doch geht es uns hier in erster Linie um ihre Gestaltung anderer Frauenfiguren aus dem Alten Testament Wenigen Büchern wurde so einhellig eine patriarchalische Grundeinstellung nachgesagt wie der hebräischen Bibel, dem Alten Testament. Diese männliche Vormachtstellung der Bibel ist noch bei einem Philosophen nachzulesen, der aufgrund der Radikalität seines Differenzdenkens und seiner Alteritätsauffassung häufig zu den Postmodernen gerechnet wird und einen wichtigen Einfluss auf bedeutende zeitgenössische Denker ausgeübt hat. In seinem Essay "Le Judaïsme et le féminin" beschreibt der französisch-jüdische Philosoph Emmanuel Levinas den biblischen Ursprung der jüdischen Bestimmung des Weiblichen: 1 Die Züge der jüdischen Frau sind bestimmt von den anziehenden weiblichen Gestalten des Alten Testaments. Die Ehefrauen der Patriarchen, Miriam und Deborah, die Prophetinnen, Tamar [...], Noëmie, Ruth, die Moabiterin, Michal, die Tochter Sauls, Abigail [...], Sulamit, viele andere -haben im Vollzug der biblischen Finalität eine aktive Rolle und situieren sich an den Scharnieren der heiligen Geschichte. 3 Lévinas betont daraufhin den Unterschied dieser Rolle zu anderen orientalischen Weiblichkeitsbestimmungen der gleichen Ära, in denen der Frau eine gänzlich passive, untergeordnete Position zugewiesen ist. Doch worin besteht für Lévinas diese Rolle der biblischen Frauen ? Lesen wir weiter: Ohne die harte Entscheidung Sarahs [Hagar und deren Sohn Ismaël zu verbannen] wäre Isaak von den wilden Spielen und dem Lachen seines Bruders mitgerissen worden, ohne die List Rebekkas hätte Esau über Israel [Jakob] triumphiert [...], David und der Prinz der Gerechtigkeit [-gemeint ist der Messias -], der eines Tages als sein Nachkomme geboren wird, wären unmöglich ohne die Hartnäckigkeit Tamars, ohne Ruth, der Getreuen [...]. Alle Wegweiser dieses schwierigen Pfads, auf dem der Zug der messianischen Geschichte tausend Mal entgleisen hätte können, wurden von Frauen gehütet und verordnet. 4
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... Author: Liska, Vivian. Date: 2012. ... Liska, Vivian - The blind and the lame : Marie Luise K... more ... Author: Liska, Vivian. Date: 2012. ... Liska, Vivian - The blind and the lame : Marie Luise Kaschnitzs **Zoon Politikon** - In: Jewish lifeworlds and Jewish thought : Festschrift presented to Karl E. Grözinger on the occasion of his 70th birthday / Riemer, Nathanael [edit.] . ...
Page 1. A Travel Guide to Palestine Walter Benjamin in Israel Vivian Liska and Tamara Eisenberg I... more Page 1. A Travel Guide to Palestine Walter Benjamin in Israel Vivian Liska and Tamara Eisenberg I Introduction ... What I do not understand when I get one of your letters I will understand later and it will only be more enduring for that. 1 Walter Benjamin never reached Palestine. ...
... Author: Liska, Vivian. Date: 1997. ... Liska, Vivian - "Johnson, kennt einer Johnson... more ... Author: Liska, Vivian. Date: 1997. ... Liska, Vivian - "Johnson, kennt einer Johnson?" Erzählreflexion und Wirklichkeitssuche in Uwe Johnsons Roman **Mutmassungen über Jakob** - In: Beiträge zum Werkverständnis und Materialien zur Rezeptionsgeschichte / Gansel, C. [edit.] . ...
For centuries the Sirens' irresistible song resonates through the echo chambers of philosophical ... more For centuries the Sirens' irresistible song resonates through the echo chambers of philosophical and literary texts. It derives its power from the fusion of an absolute medium -the pure voice or presence -with the promise of an equally absolute message -the knowledge of »everything that happens on earth«. Homer's tale of the Sirens has enticed the most cunning spirits to interpretations until this day. This article discusses some of its newer readings, packaged as a message in a bottle (Adorno), an endless loop (Blanchot) or a spherical bubble (Sloterdijk), and juxtaposes them to Kafka's Silence of the Sirens. This little history of the Sirens is an investigation into the more recent changes of the enticements, dangers and powers of their song and into what this song knows about the knowledge of literature as the medium that transports it. »Komm. Nur einmal. Komm«, ruft die Wasserfrau. Bei Ingeborg Bachmann heißt sie Undine, und sie ruft Hans. 1 Sie ruft jedes Mal wenn einer in die Nähe kommt, und er heißt immer Hans und er kommt, obwohl er doch auf dem Weg nach Hause ist, wo Frau und Kinder, Betrieb und Besitz auf ihn warten. Wenn Hans den Ruf hört, kommt er, und wenn er einmal kommt, geht er seinem Verderben entgegen, oder vielmehr dem Verderben desjenigen, für das Hans steht und das er doch, zu sich kommend, erreichen will. »Komm«, rufen die Sirenen allen Seeleuten zu, die an ihnen vorbeifahren, »komm«, rufen sie Odysseus zu, der doch heimkehren will zur treuen Gemahlin und seinen noch unmündigen Kindern. »Komm, vielgepriesener Odysseus«, legt Homer seinen Verführerinnen in den Mund und begründet mit diesem abgründigen Lockruf eine Urszene der Literatur. 2 »Viens«, heißt es am Beginn von Jacques Derridas Parages, und die andere Stimme fragt: »M'as tu appellé?« Einer der beiden Sprechenden, der eine -oder besser: die andere -wiederholt nach einiger Zeit, verwirrt: »Viens. Je ne l'entends plus, ce mot, l'ai-je entendu? A-t-il été dit? Par qui? Il est écrit déja, et c'est pourquoi je suis perdue«. 3 Verloren, weil nicht mehr gewusst wird, aber auch verloren an die Verlockung des Nicht-Wissens. Der geschriebene Ruf schafft eine 1 Ingeborg Bachmann, Undine geht. In: Dies., Das dreißigste Jahr. Erzählungen. Alle weiteren Zitate werden mit der Sigle Od direkt im Text nachgewiesen. 3 Jacques Derrida, Parages. Paris 1986, S. 21f. Verwirrung, die jede Aussage vom rechten Weg ihrer Bestimmung abbringt und nur in der Literatur willkommen ist. Nicht mehr der weiblich-naturhafte Gesang verlockt in diesem »viens« auf Irrwege, in die Irre führt vielmehr der Schrift gewordene Ruf die offenbar noch unmittelbare Erkennbarkeit erwartende Frau. Verloren, verwirrt, verleitet ins Unerkannte und Unkennbare ist sie, wenn »komm« geschrieben steht, wenn keine sonore Präsenz mehr für die Aussage und die Intentionalität des Worts bürgt, wenn nicht mehr auszumachen ist, ob es ein Ruf ist oder ein Zitat, ein Befehl oder der Beginn einer Beweisführung, und wer -Mann, Frau, überhaupt jemand?gerufen hat. Die Wasserfrau und ihr Ruf sind hier selbst zur zwitterhaften Schrift geworden, zur Literatur, an deren Anfängen Homers Sirenen-Episode steht, die seither unterwegs ist und so manchen verlockt hat, ohne dass sie selbst je nach Hause geführt worden wäre. Denn wenn der sirenische Lockruf auch verheißt, dass die Vorbeifahrenden im Lauschen nach ihrem Gesang »erfreut und reicher an Wissen« (Od199) heimkehren werden, so hat keine der Begegnungen mit den Sirenen als Schrift, als Literatur diesen Gesang endgültig zu sich und also heimgeführt. Und so hallt der schriftgewordene Gesang mit seinem buchstäblichen Ruf weiter, die listigsten Geister zu Deutungen verlockend bis in unsere Zeit. Von einigen dieser jüngeren Begegnungen, verpackt als Flaschenpost, Endlosschleife oder Sphärenblase soll hier die Rede sein. Erkunden soll diese kleine Sirenengeschichte den jüngeren Wandel der Verlockungen, der Gefahren und der Macht des Sirenengesangs -und was dieser jeweils vom Wissen der Literatur weiß, die ihn trägt.
... Show full item record. Title: Ce qui compte. Author: Liska, Vivian. Date: 2004. ... There are... more ... Show full item record. Title: Ce qui compte. Author: Liska, Vivian. Date: 2004. ... There are no files associated with this item. Recommended Citation. Liska, Vivian - Ce qui compte - In: Ba'al milim = Meester van het woord / Graef, de, Katrien [edit.] . - Gent : University of Gent, 2004 . ...
... Show full item record. Title: The archive as tool and monument. Author: Liska, Vivian. Date: ... more ... Show full item record. Title: The archive as tool and monument. Author: Liska, Vivian. Date: 2003. ... Recommended Citation. Liska, Vivian - The archive as tool and monument - In: Newsletter Fortunoff Video Archive for Holocaust Testimonies . - New Haven, Conn. ...
In a letter to Robert Klopstock written in June 1921 while staying in Matliary, Franz Kafka refle... more In a letter to Robert Klopstock written in June 1921 while staying in Matliary, Franz Kafka reflected on the biblical figure of Abraham and implicitly responded to Søren Kierkegaard’s description of the patriarch as a Christian hero of faith by drawing his own portrait of an alternative Abraham. Kafka’s text, quoted here in the German original and in an English translation, is the object of a discussion between four scholars who develop a dialogue about the Jewish and Christian aspects of Kafka’s text.
Bekanntlich erreichten zwei Männer, von denen der eine stark, aber blind und der andere lahm und ... more Bekanntlich erreichten zwei Männer, von denen der eine stark, aber blind und der andere lahm und schwächlich war, aber gut sehen konnte, das Gastmahl des Königs indem der eine, auf dem Rücken des anderen sitzend, den Weg wies, den der andere beging. Die Parabel der komplementären Unzulänglichkeiten hat einen glücklichen Ausgang und eine einsichtige Moral. Sie gehört in eine Welt, in der unversehrte Ganzheit die Norm und Gebrechen die überwindbare Ausnahme sind. Wenn angesichts der Zeugnisse des Massenmords Juristen nach dem Dichter rufen, damit er « Worte hergebe, für das, was geschah » 2 während von Seiten der Literaten die Dichtung selbst der Barbarei angeklagt und von Dichtern -wie beredt auch immerzum Verstummen verurteilt wird, weil sie dem Geschehenen nicht gerecht werden kann, dann erscheint anstelle der rettenden Komplementarität der sprachlose Abgrund einer beschädigten Zeit. Vom Eingeständnis der Grenzen des eigenen Diskurses, das gleichermassen im Ruf der Juristen nach dem Dichter und in der poetischen Forderung des « Gerechtwerdens » zum Ausdruck gelangt, erhoffen sich beide, Jurisprudenz und Poesie, den Vollzug jenes Sprechakts, der durch die eigene Selbstentmächtigung die Würde der jeweiligen Sprache wiederherzustellen vermag. Stark aber blind, oder gezwungenermassen sturblickend ist die Sprache der Justiz. Der allegorischen Blindheit der Justitia entsprechend, ist ihr Blickfeld gesetzmässig abgesteckt und vorgegeben, weil kodifiziert ist, was für sie als Beobachtung gelten darf. Ihre Stärke, das Schwert in der Hand, liegt in ihrer tatkräftigen Konsequenz. Auf folgerichtiges Handeln ausgerichtet, hat sie auch angesichts letztlich nicht vollends ersichtlicher, weil weder identifizierend nachvollziehbarer noch mitgefühlter Schuldzusammenhänge und Leiderfahrungen Urteile zu fällen, die Auswirkungen in der Wirklichkeit haben. Lahm und schwächlich, aber sehend ist die Sprache der Dichtung. Der nur scheinbar blinde 1 Seher sieht tiefer und weiter, seiner einfühlenden Vorstellungskraft sind keine Grenzen gesetzt, doch bleibt sein Schauen zumindest unmittelbar folgenlos. Gerade deshalb jedoch ist es vielleicht ihm beschieden, offenzuhalten, was der Nachkommenschaft lebendig bleiben soll, während die Justiz ausgleichend und befriedend zum Abschluss bringt was gerichtet gehört um die verstörte Ordnung wiederherzustellen. Verstört und verstörend bleiben aber kann die Dichtung, wenn in ihr wie in Marie-Luise Kaschnitz' Gedichtzyklus Zoon Politikon das Vergessene nicht angekündigt, aktenkundig und ad acta gelegt wird, sonder wenn es einbricht, Feiertags, und Rechenschaft verlangt, etwa aus dem Mund der Kinder, die am Morgen, und auch morgen noch aufstehen werden und aufständisch fragen, « Wie konntet ihr nur ? » 3 « Nun aber tagts » Marie Luise Kaschnitz besuchte am 4. und 21. Dezember 1964 den Auschwitzprozess. 4 In einem 1970 verfassten Rückblick auf das Jahr 1964 hält Kaschnitz ihre Eindrücke dieser Erfahrung fest. Sie schildert die nüchterne Ermittlung des Tatbestands anhand einer Lagerkarte, auf der « gewisse Entfernungen und gewisse Möglichkeiten, etwas gehört oder gesehen zu haben » gemessen wurden und beschreibt die Diskrepanz zwischen dem Zittern der Opfer im Zeugenstand und dem hoch-und übermütigen Verhalten der Angeklagten. 5 Nach ihren eigenen Angaben entstand der Gedichtzyklus Zoon Politikon aus Anlass des Auschwitzprozesses. 6 Der Zyklus kann in Analogie zur Bedeutung des Prozesses als einschneidender Akt der Selbstanklage gelesen werden, die das Gerichtsverfahren im nationalen Selbstverständnis auch bedeuteten konnte, aber auch als kritische Reaktion auf das, was der Prozess aus Kaschnitz' Sicht nicht leistete und aufgrund der spezifischen Einschränkungen des juristischen Diskurses vielleicht auch nicht leisten kann. Als mit dem Prozess einhergehender Akt der Selbstbezichtigung und der Bekenntnis eigener Verantwortlichkeit ist der Zyklus vor allem im Vergleich zu Kaschnitz' 1945 erschienenem Essay mit dem Titel « Von der Schuld » zu lesen. 7
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Wir Künstler sind die Lieblinge Gottes, die Kinder der Marien aller Lande. Wir spielen mit seinen... more Wir Künstler sind die Lieblinge Gottes, die Kinder der Marien aller Lande. Wir spielen mit seinen erhabenen Schöpfungen und kramen in seinem bunten Morgen und goldenem Abend. Aber der Bürger bleibt Gottes Stiefsohn, unser vernünftiger Bruder, der Störefried. Er kann nicht hemisch werden mit uns, er und seine Schwester nicht. 1 Else Lasker-Schülers lyrische Darstellung biblischer Frauenfiguren steht in einer literarischen Tradition, die die ursprünglichen biblischen Erzählungen aufgreift und gegen den Strich bürstet, um auf diese Weise Wertvorstellungen in Frage zu stellen, die sich, wenn auch in veränderter Form, seit biblischen Zeiten bis in die eigene Gegenwart durchgesetzt haben. Wenn die meisten künstlerischen Gestaltungen biblischer Motive sich in der westlichen Tradition den ursprünglich intendierten, bzw. religiös vereinnahmten Wertvorstellungen gegenüber auch unterstützend oder zumindest affirmativ verhalten, so gibt es doch, und nicht erst seit der Moderne, andere, die die Autorität dieses Gedankenguts in Frage stellen. An dieser In-Fragestellung waren häufig auch weibliche Autoren beteiligt. So zeigt etwa Pamela Norris in ihrem jüngst erschienenen Buch The Story of Eve 2 , wie Autorinnen von der im 11. Jahrhundert schreibenden Hildegard von Bingen über die Romantikerin Mary Shelley bis zu Gegenwartsautorinnen wie Angela Carter und Margaret Atwood die biblische Schöpfungsgeschichte gegen den Strich gebürstet haben, um die Ehre Evas, der "Mutter aller Dinge", nachträglich zu retten. Auch Else Lasker-Schüler hat sich an dieser Kontrafaktur der Schöpfungsgeschichte beteiligt, doch geht es uns hier in erster Linie um ihre Gestaltung anderer Frauenfiguren aus dem Alten Testament Wenigen Büchern wurde so einhellig eine patriarchalische Grundeinstellung nachgesagt wie der hebräischen Bibel, dem Alten Testament. Diese männliche Vormachtstellung der Bibel ist noch bei einem Philosophen nachzulesen, der aufgrund der Radikalität seines Differenzdenkens und seiner Alteritätsauffassung häufig zu den Postmodernen gerechnet wird und einen wichtigen Einfluss auf bedeutende zeitgenössische Denker ausgeübt hat. In seinem Essay "Le Judaïsme et le féminin" beschreibt der französisch-jüdische Philosoph Emmanuel Levinas den biblischen Ursprung der jüdischen Bestimmung des Weiblichen: 1 Die Züge der jüdischen Frau sind bestimmt von den anziehenden weiblichen Gestalten des Alten Testaments. Die Ehefrauen der Patriarchen, Miriam und Deborah, die Prophetinnen, Tamar [...], Noëmie, Ruth, die Moabiterin, Michal, die Tochter Sauls, Abigail [...], Sulamit, viele andere -haben im Vollzug der biblischen Finalität eine aktive Rolle und situieren sich an den Scharnieren der heiligen Geschichte. 3 Lévinas betont daraufhin den Unterschied dieser Rolle zu anderen orientalischen Weiblichkeitsbestimmungen der gleichen Ära, in denen der Frau eine gänzlich passive, untergeordnete Position zugewiesen ist. Doch worin besteht für Lévinas diese Rolle der biblischen Frauen ? Lesen wir weiter: Ohne die harte Entscheidung Sarahs [Hagar und deren Sohn Ismaël zu verbannen] wäre Isaak von den wilden Spielen und dem Lachen seines Bruders mitgerissen worden, ohne die List Rebekkas hätte Esau über Israel [Jakob] triumphiert [...], David und der Prinz der Gerechtigkeit [-gemeint ist der Messias -], der eines Tages als sein Nachkomme geboren wird, wären unmöglich ohne die Hartnäckigkeit Tamars, ohne Ruth, der Getreuen [...]. Alle Wegweiser dieses schwierigen Pfads, auf dem der Zug der messianischen Geschichte tausend Mal entgleisen hätte können, wurden von Frauen gehütet und verordnet. 4
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Host Gilad Halpern and Vivian Liska, professor of German literature and the director of the Insti... more Host Gilad Halpern and Vivian Liska, professor of German literature and the director of the Institute of Jewish Studies at the University of Antwerp, Belgium, discuss one of the themes featuring in her forthcoming book, German Jewish Thought and its Aftermath: A Precarious Legacy: How can Jewish thought extract itself from a generations-long paradox that sees exile as a blessing and a curse at the same time?
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